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Rote Karte ja, roter Faden nein

Birgit Becker: Gut ein Jahr hatten jetzt alle Beteiligten Zeit, den PISA-Schock zu verdauen. Seither haben alle möglichen Leute mehr oder weniger schlaue Vorschläge gemacht, wie der deutsche Nachwuchs aus der Bildungsmisere gerettet werden kann. Die GEW, Gewerkschaft für Bildung und Wissenschaft, hat nun zum Kongress "Qualität im Bildungswesen" nach Berlin eingeladen unter dem Titel: Fördern und Fordern. Perspektiven für das deutsche Bildungswesen. Dort werden unter anderem Bundespräsident Johannes Rau und Bundesbildungsministerin Edelgard Buhlman erwartet. Karl Heinz Heinemann ist für Campus und Karriere in Berlin. Herr Heinemann, worum geht es denn jetzt ganz konkret beim Kongress?

    Karl-Heinz Heinemann: Na ja, bevor es ganz konkret wird, geht es wirklich darum, wie Sie schon sagen, dass die GEW jetzt auch nach einem Jahr Bilanz ziehen und den Kultusministern den Spiegel vorhalten will, was sie denn eigentlich bisher geleistet haben und ob das denn überhaupt zureichend ist oder nicht. Dazu habe ich vor der Veranstaltung kurz mit der schulpolitischen Sprecherin, Marianne Demmer gesprochen:

    Wir haben die rote Karte gezeigt gekriegt und der rote Faden, in welche Richtung es gehen soll, fehlt. Wir sagen sehr deutlich, dass wir Qualität, also hohe Leistungsfähigkeit brauchen, aber zur Qualität gehört auch, dass wir Weltmeister in Chancengleichheit werden.

    Klar, die GEW will also auch das Chancengleichheitsthema wieder in den Mittelpunkt stellen, hat aber auch eine Reihe von konkreten Forderungen, die die GEW-Vorsitzende wohl in ihrer Rede vortragen wird, die auch eine Menge Geld kosten werden. Das Erste ist, kostenfreie, ganztägige Kindertagesstätten für alle Kinder ab drei oder vier Jahren. Das ist natürlich ein Brocken, an dem so schnell keine Landesregierung rangehen wird wollen. Das Zweite: Sie fordern jetzt ganz deutlich die zehnjährige Ganztagsschule für alle Kinder. Da ist also das finnische Modell im Hintergrund. Das heißt für die GEW auch, dass sie sich sozusagen von ihrem alten Leitbild Gesamtschule so ein bisschen verabschiedet hat und jetzt versucht, dieses skandinavische Modell zu übernehmen, wobei sie immer ganz deutlich sagen, dass sie jetzt Schluss machen wollen mit dem gleichschrittigen Lernen, also das was man der GEW immer unterstellt oder dieser Gesamtschulideologie immer unterstellt hat, Gleichmacherei und so weiter. Nein, individuelle Förderung, aber weg von dem Kastendenken - das wäre ganz unsinnig. Das hat Frau Stangel heute auch schon als Beispiel gebracht: Auch ein Klempner braucht ein bisschen konzeptionelles Denken und ein Chirurg muss auch handwerklich geschickt sein. Die klassische Arbeitsteilung haut nicht mehr hin. Sie fordern natürlich etwas für die Lehrerinnen und Lehrer, die sie vertreten. Ein verändertes Professionsbild, das heißt also, der Lehrer soll einer sein, der Lernen ermöglicht. Er braucht diagnostische Fähigkeiten in der Psychologie, also weg von diesem rein fachlichen Denken, von dem Philologen - den will die GEW so nicht mehr. Und er braucht natürlich - das sagen sie auch - mehr Wertschätzung in der Gesellschaft. Was auch für die GEW ein bisschen ein Umdenken ist, ist, dass sie sagen: mehr Verantwortung für die Bildungseinrichtungen, das heißt also, dass sie mehr Autonomie für die Schulen haben wollen und auch die Hochschulen unterstützen und dass sie sich ganz klar hinter diese Idee stellen.

    Becker: Was bedeutet das jetzt konkret auch für die Hochschulpolitik?

    Heinemann: Ja, für die Hochschulpolitik - das wird natürlich etwas stiefmütterlich behandelt. Das wird morgen ein Thema in der Arbeitsgruppe sein, aber die GEW stellt jetzt zehn Thesen vor, und in diesen Thesen steht: Mehr Studienanfänger, höhere Studienanfängerkurse und mehr akademische Abschlüsse brauchen wir. Da greift man noch mal eben auch auf die OECD-Zahlen zurück, die vor ein paar Wochen verabschiedet worden sind. Zum Thema Qualität beschäftigen sie sich vor allen Dingen mit den Akkreditierungsverfahren. Wie soll dadurch Qualitätssicherung in den Hochschulen geleistet werden? Sie wollen das Thema vor allen Dingen noch einmal grundsätzlich einordnen und sagen: Man muss nicht immer sagen, was man besser sein will, sondern man muss auch mal sagen, wofür Hochschulen eigentlich gut sein sollen. Das heißt also, sie wollen die inhaltliche Frage diskutieren, dass Hochschulen eben auch eine gesellschaftliche Verantwortung haben, dass Studierende eben eine umfassende Ausbildung brauchen und nicht nur eine enge schmalspurige Berufsqualifikation und dass sie dieses Akkreditierungsthema noch einmal in den Zusammenhang mit GATS und Bologna stellen. Also, zwei Stichworte nur. Dieser weltweite Globalisierungsprozess. Also soll Bildung ein Handelsgut werden. Wer bestimmt dann über die Qualitätskriterien - irgendwelche Handelsagenturen oder Bologna-Prozess, Europäisierung? Da werden eben bestimmte Verfahren für die Akkreditierung von Studiengängen, eben auch qualitative Verfahren verabredet und da schlägt sich die GEW eben eindeutig auf diese Seite. Das ist klar.

    Becker: Vielen Dank, Karl-Heinz Heinemann für die Vorschau auf den GEW-Kongress "Qualität im Bildungswesen" mit dem Untertitel "Fördern und Fordern, Perspektiven für das deutsche Bildungswesen".