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Roter Ostersamstag

40 lange Jahre lastete die Diktatur Francos auf Spanien. Bannerträger des Widerstands waren seit dem Ende des Bürgerkriegs die Kommunisten. Zu Tausenden kämpften sie im Untergrund und wurden in Gefängnissen gefoltert und ermordet. Als Franco schließlich starb und König Juan Carlos die Demokratisierung einleitete, führte kein Weg an der Kommunistischen Partei vorbei.

Von Stefan Fuchs | 09.04.2007
    Dem populären Radiomoderator Alejo García Ortega stockt die Stimme. Er unterbricht sich, kann die Meldung der Nachrichtenagenturen kaum glauben. Es ist der 9. April 1977, ein Ostersamstag. Als "Sábado Santo Rojo", als Roter Ostersamstag wird er in die Geschichte Spaniens eingehen. 17 Monate nach dem Tod des Diktators Franco wird mit der Kommunistischen Partei Spaniens, der Erzfeind der Falangisten, einst erbitterter Gegner im Bürgerkrieg, wieder zur legalen politischen Oppositionspartei.

    "Unmöglich, in fünf Minuten zu schaffen, was wir in 40 Jahren hätten erreichen können: den Berg der Verleumdungen abzutragen, den man in all dieser Zeit gegen uns aufgehäuft hat. Die Kommunistische Partei ist jetzt zugelassen und nimmt an den kommenden Wahlen teil. Was ist in diesem Land geschehen? Hat das Blatt sich gewendet? Haben die Verlierer des Krieges vor 40 Jahren einen späten Sieg davongetragen? Nichts von alledem! Weder hat das Blatt sich gewendet, noch gewinnt man einen Krieg, der vor so langer Zeit verloren wurde. Es ist einfach ein anderes Spanien. Die Mehrheit der heute Lebenden hat nicht am Krieg teilgenommen. Sie und auch wir wollen jetzt ein freies und demokratisches Spanien, ein friedliches Spanien, in dem wir alle leben, unsere Meinung äußern und demokratisch miteinander umgehen können, indem wir die Rechte und Ansichten der anderen respektieren."

    Der Generalsekretär der Kommunistischen Partei Spaniens, Santiago Carrillo Solares, ist eine lebende Legende. Als politischer Kommissar hat er im Bürgerkrieg die Verteidigung Madrids gegen die Franco-Truppen organisiert. Für die Falangisten ist er die Verkörperung des Bösen. Was er im Frühjahr 1977 beschwört, ist mehr Hoffnung als Wirklichkeit. Immer noch bluten die Wunden des Krieges. Der Übergang zur parlamentarischen Demokratie unter der Führung des Königs Juan Carlos gleicht einem Tanz auf rohen Eiern. Kurz zuvor haben Falangisten kommunistische Anwälte ermordet, Streiks und Attentate der baskischen Unabhängigkeitskämpfer erschüttern das Land. Die Militärs drohen mit einem Putsch.

    "Die Alten sagen, es gäbe zwei Spanien, die eine alte Rechnung miteinander offen haben; die Alten sagen, dieses Land brauche einen Stock und eine harte Hand, um das Schlimmste zu verhindern; aber ich habe nur Menschen gesehen, die leiden und die der Schmerz und die Angst verstummen lassen."

    "Freiheit, Freiheit ohne Zorn! Behaltet eure Angst und euren Zorn, denn es gibt Freiheit ohne Zorn!"

    "La generación quemada", die "verbrannte Generation" der Verlierer des Bürgerkriegs tut sich schwer, ihre Wut hinunterzuschlucken, auf Wiedergutmachung zu verzichten. Der Schriftsteller Juan Goytisolo gilt unter den spanischen Linken als Ketzer. Schon früh prophezeit er ein unerwartet banales Ende der Diktatur.

    "Unter der Franco-Diktatur hat sich eine tiefgreifende soziale Umwälzung vollzogen. Mit den Technokraten des Opus Dei übernahmen katholische Calvinisten das Ruder. Ihnen ging es ausschließlich ums Geld. Sie haben die Beziehung zwischen Geld und Katholizismus vom Ruch der Sünde befreit. Dazu kamen tausende Touristen, die Spanien besuchten, und viele Spanier, die als Gastarbeiter die Lebensverhältnisse im Rest Europas kennen lernten. Mit diesem Wandel der Mentalitäten war das Regime ein schreiender Anachronismus, lange bevor es zusammenbrach. Das heißt, sowohl die Republikaner als auch ihre Gegner auf Seiten Francos wurden letztlich von der Geschichte an der Nase herumgeführt."

    Hinter den Kulissen hat es Verhandlungen über die Bedingungen der Wiederzulassung der Kommunisten gegeben. Die Partei muss auf ihre Forderung nach einer Rückkehr zur Republik verzichten, lässt sich auf die konstitutionelle Monarchie einschwören. Überdies hat Carrillo die Partei zum Eurokommunismus geführt, hat der Doktrin des Marxismus-Leninismus abgeschworen. Ein pluralistischer Sozialismus steht jetzt im Wahlprogramm. Aber die Wähler honorieren den Reformkurs nicht. Jämmerliche neun Prozent erringen die Kommunisten bei den ersten demokratischen Wahlen, weit abgeschlagen von der neu gegründeten Partei der Sozialdemokraten. Acht Jahre später wird Santiago Carrillo von der eigenen Partei in die Wüste geschickt.