Archiv


Roter Staub

Eine abgelegene staubige Kleinstadt in Südafrika. Die Wahrheitskommission hat sich angekündigt, und in ihrem Gefolge kehren drei Menschen in die Stadt zurück, die sich nur ungern mit ihrer Vergangenheit beschäftigen wollen. Sarah Barcant arbeitet als Staatsanwältin in New York. Sie kommt auf Bitten eines alten Freundes in ihren Geburtsort zurück, um Opfer der Apartheid vor der Wahrheitskommission zu vertreten. Die Juristin hat starke Zweifel an der Einrichtung solcher Kommissionen. Denn Ziel des Verfahrens ist nicht die gerechte Bestrafung der Täter. Die Anhörungen, bei denen sich Opfer und Täter gegenüber treten, sollen vielmehr der Versöhnung dienen. Zu den Tätern zählt der ehemalige Polizeioffizier der Stadt, Dirk Hendricks, dem Folter und Mord von ANC-Aktivisten zur Last gelegt werden. Er stellt sich dem Verfahren, weil er sich davon eine Amnestie verspricht. Sein Gegenüber ist Alex Mpondo, ein früheres Folteropfer von Hendricks. Mpondo ist inzwischen Parlamentsabgeordneter. Vor der Wahrheitskommission kommt es zum Showdown der beiden Protagonisten des Romans, den die Autorin Gillian Slovo mit britischer Ironie einen "aktualisierten Spaghetti-Western" nennt:

Wera Reusch |
    Ich habe mir bildlich einen Western vorgestellt - mit "Spaghetti-Western" meine ich einen dieser Filme von Sergio Leone, wo ein Mann, vorzugsweise Clint Eastwood, in die Stadt reitet, um für Gerechtigkeit zu sorgen, und wenn er die Stadt verlässt, bleiben ein oder zwei Tote zurück. Etwas davon hat sich in der Struktur des Buches niedergeschlagen. Aber es ist kein Mann, keine amerikanische Stadt und kein Pferd, sondern eine südafrikanische Version mit Garagen. Eine kleine Stadt, in die die Wahrheitskommission einreitet - das war meine bildliche Vorstellung.

    Tatsächlich scheint "Roter Staub" zunächst nur eine sprachlich leichtfüßige und routiniert gebaute Geschichte zu sein, die sich dank der zahlreichen Dialoge gut als Western, oder auch als Gerichtsdrama verfilmen ließe. Doch der erste Eindruck täuscht. Denn der Dreh- und Angelpunkt der Geschichte, das Aufeinandertreffen von Mpondo und Hendricks, folgt nicht dem simplen Schwarz-Weiß oder Gut-Böse-Schema amerikanischer Filme. Gillian Slovos Interesse ist es vielmehr, die komplexen psychologischen Verstrickungen zwischen Täter und Opfer auszuloten. Bemerkenswert ist vor allem, wie weit sie sich in der Beschreibung der Täterperspektive vorwagt. Bemerkenswert deshalb, weil die südafrikanische Autorin, die seit vielen Jahren in London lebt, selbst zu den Opfern des Apartheid-Regimes zählt. Als Tochter der beiden prominenten weißen Bürgerrechtler Joe Slovo und Ruth First war ihre Kindheit von Razzien, Verhaftungen und Prozessen geprägt. 1982 wurde ihre Mutter von einer Briefbombe des südafrikanischen Geheimdienstes im Exil getötet. Gillian Slovo kennt die Situation vor der Wahrheitskommission aus eigener Anschauung, denn 1998 trafen sie und ihre Schwestern dort auf die Mörder ihrer Mutter.

    Die Idee für das Buch hatte ich bereits, bevor ich selbst an der Wahrheitskommission teilnahm. Aber durch meine Teilnahme hat sich die Art und Weise, wie ich es geschrieben habe, sehr stark verändert. Denn da sind Dinge passiert, mit denen ich nicht gerechnet hatte. Es war klar, dass es alles andere als einfach sein würde, den Mördern meiner Mutter gegenüberzutreten, ihnen zuhören zu müssen und mitanzusehen, wie sie straffrei ausgingen. Aber was das Buch verändert hat war, dass ich drei Wochen lang mit diesen Männern in einem Raum verbracht habe. Ich sah sie jeden Morgen reinkommen, sah sie mit ihren Freunden reden, mit ihren Anwälten, ich stand hinter ihnen in der Kaffee-Schlange, hörte sie über meine Mutter sprechen, sah, wie sie uns anschauten. Und ich hatte plötzlich das Gefühl, sie zu kennen, sie in fast intimer Weise zu kennen - damit hatte ich nicht gerechnet. Und ich begann mich für diese Intimität zu interessieren, die zwischen alten Feinden entstehen kann.

    Die unerwartete Intimität zwischen Täter und Opfer ist das eigentliche Thema dieses Romans. Gillian Slovo schildert die Dynamik aus Hass und Schuldgefühlen, das Leugnen, Lügen und Verdrängen aus wechselnden Perspektiven und erzeugt dadurch eine beklemmende Intensität. Eine Spannung, die auch am Ende des Buches nicht aufgehoben ist. Der Kommission gelingt es nicht, die Wahrheit ans Licht zu bringen, denn keiner der Beteiligten scheint sie ertragen zu können. Offen bleibt auch, ob das Ziel der Versöhnung auf diesem Weg tatsächlich erreichbar ist - Sarah Barcant, die Figur des Romans, die eine Art Außenwahrnehmung repräsentiert, scheint davon nicht überzeugt.

    Mein persönlicher Eindruck von der Wahrheitskommission ist, dass es einige wundervolle Aspekte gibt, die wirklich zur Versöhnung beitrugen, dass es aber auch einige grausame Aspekte dabei gibt. Ich glaube nicht, dass es meine Aufgabe ist, zu entscheiden, ob die Wahrheitskommission gut oder schlecht ist, ich wollte ihre Komplexität darstellen. Mit Versöhnung ist in der Regel die Versöhnung des Landes gemeint, der Versuch eines Landes, die Vergangenheit nicht zu leugnen, um die Gegenwart und die Zukunft meistern zu können. Das ist ein ehrenwertes Anliegen. Aber ich glaube nicht, dass sich für die Menschen, die durch die Wahrheitskommission gegangen sind, die Dinge vereinfacht haben, dass sich ihr Hass, ihre Wut und ihr Schmerz aufgelöst haben. Das ist nicht passiert. Und mir geht es in diesem Buch nicht um die Wahrheitskommission als moralisches Universum, sondern um ihre Auswirkungen auf die Menschen.