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Rotierende Kugeln im All

Physik. - Am 21. April 2004 wurde vom US-Luftwaffenstützpunkt Vandenberg die Nasa-Raumsonde "Gravity Probe B" ins All geschossen. Mit an Bord: vier ultrapräzise Kreiselkompasse. Diese so genannten Gyroskope sollen hochpräzise eine der wesentlichen Aussagen von Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie prüfen: die durch massereiche Objekte wie Planeten erzeugte Krümmung des Raums.

Von Ralf Krauter | 15.02.2005
    Es ist die ruhigste Umgebung, die es je für ein Experiment gegeben hat: eine berührungsfreie Aufhängung hält Erschütterungen fern. Ein Bleimantel schirmt äußere Magnetfelder ab. Flüssiges Helium hält die Temperatur konstant bei minus 271,3 Grad Celsius - 1,8 Grad über dem absoluten Nullpunkt. Und all das nur, damit sich die vier Tischtennisball großen Kugeln an Bord der Raumsonde Gravity Probe B möglichst ungestört drehen können. Mit 10.000 Umdrehungen pro Minute rotieren die Gyroskope aus Quarzglas. Dank reibungsfreier Lagerung würden sie in 1000 Jahren nur ein Prozent ihrer Drehgeschwindigkeit verlieren. Perfektere Kreisel gab es noch nie.

    Einsteins Theorie sagt zwei unterschiedliche Effekte voraus, die Gyroskope an Bord eines Satelliten beeinflussen sollten. Das erste ist der geodätische Effekt. Dahinter verbirgt sich die durch die Erdmasse hervorgerufene Krümmung des Raumes. Der zweite Effekt ist der so genannte Lense-Thirring-Effekt. Demnach verhält sich die Raumzeit wie zähflüssiger Sirup und wird von der rotierenden Erde teilweise mitgeschleift. Mit Gravity Probe B wollen wir beide Effekte extrem genau messen.

    ...erklärt Francis Everitt von der Stanford Universität. Der Satellit sieht aus wie eine überdimensionale Thermosflasche mit Solarpanelen. Nach mehrmonatigen Testläufen hat im September 2004 die Messphase begonnen. Seitdem registrieren hochempfindlichen Magnetsensoren an Bord die Orientierung der rotierenden Quarzkugeln. Ohne den Einfluss der beiden relativistischen Effekte, müssten ihre Drehachsen immer in dieselbe Richtung zeigen.

    Zu Beginn der einjährigen Messung haben wir die Drehachsen der vier Kreiselkompasse im All so ausgerichtet, dass sie in Richtung eines Fixsterns zeigen, den wir mit einem Teleskop an Bord von Gravity Probe B anpeilen. Die beiden relativistischen Effekte führen nun dazu, dass sich die Orientierung der Drehachsen allmählich verändert. Im Prinzip ist es also ein sehr einfaches Experiment. Wir haben einen Fixstern, ein Teleskop und vier rotierende Kugeln.

    Wenn Einstein Recht hat, müsste der geodätische Effekt die Rotationsachsen der Kreisel innerhalb eines Jahres um einen Winkel von etwa zwei Tausendstel Grad aus ihrer ursprünglichen Richtung kippen. Der Lense-Thirring-Effekt ist noch viel winziger und macht pro Jahr nur rund elf Millionstel eines Winkelgrades aus, das entspricht ungefähr der Verschiebung eines einen Kilometer entfernten Objektes um eine Haaresbreite. Solche aberwitzig kleinen Abweichungen zu messen, ist eine enorme Herausforderung. Vom ersten Vorschlag, Einsteins Theorien mit Kreiseln im All zu testen, bis zur tatsächlichen Umsetzung vergingen deshalb knapp 50 Jahre. Insgesamt 79 Doktorarbeiten lieferten Stück für Stück das technologische Know-How.

    Wir mussten Gyroskope entwickeln, die zehn Millionen mal präziser sind, als die besten Kreiselkompasse auf der Erde. Wir mussten ein Teleskop bauen, dass einen Fixstern tausendmal genauer anpeilen kann als alle existierenden Teleskope im All. Wir mussten all das in einer riesigen Kühlbox unterbringen, weil das Experiment mit flüssigem Helium auf 1,8 Grad über dem absoluten Nullpunkt gekühlt wird.

    Es ist die größte Thermosflasche die je ins All geschossen wurde: drei Tonnen schwer und so groß wie ein Kleinbus. Francis Everitt ist überzeugt, dass der ehemalige Patentamtsangestellte Albert Einstein die technischen Meisterleistungen mit Interesse verfolgt hätte, die den Präzisionstest seiner Vorhersagen überhaupt erst möglich gemacht haben. Ob Gravity Probe B die Allgemeine Relativitätstheorie bestätigt oder nicht, dürfte Ende 2005 feststehen. Bis dahin verrät Francis Everitt nur soviel: die rotierenden Kugeln kippen tatsächlich allmählich aus ihrer Ausgangslage. Aber ob so schnell wie von Einstein prophezeit, das kann er noch nicht sagen.