Sonntag, 19. Mai 2024

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Rotkohl und Tierversuch

Das Euroscience Open Forum ESOF will nicht nur Wissenschaftler verschiedener Disziplinen an einen Tisch bringen, es will vor allem auch den Bürger auf der Straße ansprechen. Einige Labors in und um München nahmen das Treffen zum Anlass, ihre Tore für das gemeine Publikum zu öffnen. Mit dabei: die beiden Max-Planck-Institut für Biochemie und für Neurobiologie in Martinsried im Süden von München.

Von Frank Grotelüschen | 19.07.2006
    Sophia schneidet Rotkohl. Sie trägt einen weißen Kittel, Laborbrille und Handschuhe aus Latex. Damit sieht Sophia aus wie eine Profiforscherin. Doch sie ist erst zehn und geht noch zur Schule. Sophia gehört zu einer Gruppe von Kids, die einen Platz im Kinderlabor erheischt haben. Doktorandin Anja Hanisch leitet die Steppkes an:

    "Jetzt wirf die ganzen Schnipsel einfach rein. Dann warten wir fünf Minuten, lassen wir's ein bisschen kochen. Und dann werdet ihr sehen, dass das Wasser bis dahin richtig dunkel grünlich-bläulich geworden ist."

    Fünf Minuten später gießt Sophia die Brühe durch einen Kaffeefilter. Anja Hanisch verteilt die grün-blaue Suppe auf lauter Reagenzgläschen und zeigt auf diverse Flaschen auf dem Labortisch.

    "Cola, Bitter Lemon, wir haben einen Spritzer Zitronensaft. Wir haben auch Abflussreiniger mit der Natronlauge drin. Diese Flüssigkeiten werden wir jeweils in eines dieser Gläschen reinfüllen. Das könnt ihr alle selbstständig ausprobieren. Und dann wollen wir beobachten, was mit dieser blau-grünen Flüssigkeit passiert."

    Hochkonzentriert hantieren die Laborknirpse mit Reagenzglas und Pipette. Sophia lässt etwas Bitter Lemon in eines der Reagenzgläser tröpfeln - und staunt nicht schlecht.

    "Das wird ganz lila!"

    Ins nächste Gläschen kommen ein paar Tropfen Orangenlimonade.

    "Das wird auch ganz lila - oder auch ein bisschen rosa!"

    Dann ein paar Spritze Zitrone.

    "Also das wird jetzt ganz kräftig rosa, das sieht man ganz kräftig!"

    Anja Hanisch erklärt, wie er funktioniert - der Farbentrick mit dem Rotkohl:

    "Der Rotkohl an sich, diese Flüssigkeit, ist ja dieses Grün-blaue. Wenn du eine Säure dazutust wie Zitronenlimonade, wirst du sehen: Die Farbe verändert sich immer in Richtung rosafarben. Also weißt du: Was du reingetan hast, war tatsächlich sauer. Wenn du jetzt aber etwas von diesem Abflussreiniger reintust: Der Abflussreiniger enthält Natronlauge. Und Natronlauge ist nicht sauer, sondern basisch. Das ist die einzige Substanz, bei der dein Rotkohl sich nicht rosa verfärbt, sondern - probier's einfach selber aus."

    Neugierig schüttet Sophia ein paar Krümel Abflussreiniger in ihr letztes Gläschen. Und:

    "Es wird ziemlich grün!"

    Sophia hat spielend gelernt. Sie hat gerade - wissenschaftlich formuliert - den pH-Wert getestet.

    "Also sehr toll. Die verschiedenen bunten Farben finde ich toll."

    Derweil schlendern die großen Besucher durchs Foyer des Instituts. Hier geht es zu wie auf einem Marktplatz. Ein Stand neben dem anderen, die Forscher halten ihre Ergebnisse feil wie reife Früchte. Wie entsteht Krebs? Was ist ein Neurochip? Wie funktioniert die Müllabfuhr der Zelle? Und welche Waffen haben Killerzellen? Dann stellen sich Mitarbeiter mit Schildern auf - die Führungen stehen an. Die Destinationen klingen exotisch: "Molekulare Strukturbiologie", "Membran-Biochemie", "molekulare Medizin". Auf einem Schild aber steht schlicht "Tierhaus".

    Ein Grüppchen von 15 Leuten lässt sich durch den Innenhof zu einem anderen Gebäude geleiten. Am Eingang wartet Heinz Brandstädter, der Tierarzt von Martinsried.

    "Das Tierhaus ist eine Serviceabteilung hier im Institut und hat die Aufgabe, dass wir uns um die Tiere kümmern, die für die Forschung erforderlich sind."

    Wir lernen, dass Versuchstiere kerngesund sein müssen. Kranke Tiere könnten die Ergebnisse verfälschen. Deshalb wohnen die Tiere in keimfreien Ställen, die man nur durch Schleusen betreten kann.

    "Wir sind hier in einer Vorgangsschleuse. Hier können wir noch rein. Weiter geht es nicht mehr. Wenn wir in diesen Raum wollten, müssten wir unter die Dusche und uns dann vermummen mit Haarschutz, Mundschutz, Handschuhen - wie im Operationssaal im Krankenhaus."

    Durch das kleine Bullauge einer Tür erheischen wir einen Blick in einen Stall: Dutzende von Plastikkästen kaum größer als Schuhkartons, in jedem zehn bis zwölf Labormäuse, akribisch sortiert nach Lebensalter.

    "Die haben da ja doch ziemlich wenig Platz. Ist denn das artgerecht genug, wenn da zwölf Mäuse in so einem kleinen Käfig sind?"

    "Bei der Auswahl des Käfigtyps wurde auch auf die Bedürfnisse der Tiere mit geachtet. Ist natürlich ein Unterschied, ein Areal in freier Natur. Aber wenn man mal die Wohnhöhle anschaut, die ist deutlich kleiner als was es hier ist."
    10.000 Tiere leben hier im Schnitt, zumeist Mäuse und Ratten, aber auch Kaninchen, Ziegen und Frösche. Man bemüht sich, so wenig Tierversuche wie möglich zu machen, betont Brandstädter. Dennoch: Ganz behaglich schient den Besuchern nicht zumute zu sein. Die meisten schauen doch ein wenig skeptisch durch das Bullauge zu den Mäusen.

    "Klar sind da kritische Fragen. Wir öffnen auch bewusst das Tierhaus, soweit wir das aus hygienischen Gründen können. Wir halten es für wichtig, dass sich die Leute sich vor Ort informieren. können. Jeder soll sich dann die Meinung selber bilden."