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Rotterdam
Eine Markthalle als überdimensionales Hufeisen

Die Markthal im niederländischen Rotterdam ist 40 Meter hoch, 60 Meter breit und 100 Meter tief. Sie bietet 100 internationalen Ständen Platz und auch 230 Wohnungen. Und durch ihre Hufeisenform ist sie ein echter architektonischer Hingucker.

Von Nicole de Bock | 02.08.2015
    Blick in die Markthal von Rotterdam.
    Blick in die Markthal von Rotterdam. (picture alliance / dpa / Jerry Lampen)
    "Ja, das ist natürlich etwas total Neues. Das ist eine neue Form. Es ist ein Hufeisen, aber dann 100 Meter tief."
    Ich stehe mit Jacob van Rijs, Architekt und Stadtplaner, vor der neuen Markthal in Rotterdam. Van Rijs ist einer der drei Gründer des Rotterdamer Architektenbüro MVRDV, das die Markthal entworfen hat. Aufgabe war es, eine überdachte Markthalle zu kreieren und dies irgendwie mit dem Bau neuer Wohnungen zu kombinieren. Was da jetzt in der Nähe der Metrostation Blaak entstanden ist, sprengt die kühnsten Vorstellungen einer Markthalle. Das Gebäude sieht aus wie ein gewaltiges Hufeisen, 40 Meter hoch, 60 Meter breit und 100 Meter tief. Im Hohlraum des Hufeisens findet das Marktgeschehen statt. Im Korpus des Hufeisens sind hunderte von Wohnungen untergebracht. Der Naturstein, der draußen den Boden bedeckt, setzt sich in der Halle fort. Durch große Drehtüren in der gläsernen Front kommt man hinein.
    "Die Wohnungen machen diesen Bogen, diesen riesen Bogen, wodurch die Markthalle vielmehr Kubikmeter hat. Wir haben eine riesen Halle wie Central Station in New York oder die Galeria in Milan. Die Abmessungen sind eigentlich wie eine Kathedrale für Lebensmittel."
    Viele verschiedene Gerüche und Geräusche strömen einem entgegen. In der Halle bieten gut 100 internationale Stände ihre Ware feil. Hier bekommt man nicht nur echten Holland Gouda oder Tulpen, sondern auch Bio-Fleisch, Nüsse, Brotspezialitäten, Hollandse Nieuwe und ein außergewöhnliches Angebot an Obst und Gemüse aus aller Welt. Die Decke der Markthal zeigt über die gesamte Fläche ein buntes Fresco des Künstlers Arno Coenen. "Füllhorn" heißt das riesige Computerbild, das nicht weniger als zwei Fußballfelder groß ist.
    "Es gibt eine gebogene Decke mit einer Vielfalt von Obst und Gemüse, aber auch Garnelen und Fischen, zum Beispiel ein riesen Apfel mit einer Breite von vier Metern. Trauben, Mangos, es ist wie ein Dach in der Sixtinischen Kapelle in Italien, eine fast religiöse Erfahrung, wobei die Lebensmittel aus dem Himmel fallen."
    Spezialitäten aus aller Welt
    An den Marktständen findet man den Inhalt des Füllhorns in echt wieder. Neben Frischprodukten gibt es allerlei Spezialitäten und Leckereien aus Europa und Übersee. An einem italienischen Stand will ein Pärchen aus Zeeland sizilianische Cremeröllchen kaufen:
    - Frau: "Cannoli will ich kaufen, ich kenne es nicht, noch nie gesehen. Der Verkäufer sagt, dass es süß ist, also, ich probiere es einmal."
    - Mann: "Ich finde es super hier. Wir kommen aus Zeeland und sind zum ersten Mal in der Markthal. Es ist toll, hier mal einen Tag herum zu laufen und überall etwas zu kaufen. Das Gebäude ist groß, sehr eindrucksvoll, aber auch gesellig. Schön, um hier den Abend zu verbringen."
    Die Markthal ist bis 20 Uhr geöffnet, die Restaurants, die auch von der Außenseite betreten werden können, bis 22 Uhr. Den ganzen Tag kann man in der Markthal an fast allen Marktständen nicht nur Ware kaufen, sondern auch lecker essen und trinken. Zum Beispiel in der türkischen Food Bar:
    Blick in die neue Markthal (Markhalle) von Rotterdam
    Blick in die neue Markthal (Markhalle) von Rotterdam (Ossip van Duivenbode)
    "Wir verkaufen mediterranische Gerichte. Wir haben eine Bar, wo man ein Urlaubsgefühl bekommt. Wir möchten Wärme haben hier in der Markthal. Da sorgen wir für."
    An einem Stand einige Meter weiter wählt ein Mann verschiedenes Gemüse und Fleisch, welches vor seinen Augen in einem Wok zubereitet werden.
    Dann steigt er mit seinem Teller über eine kleine Treppe aufs Dach des Wok-Standes, wo eine Terrasse zum gemütlichen Verweilen einlädt. Oben stellt man fest, dass viele Stände ein extra Stockwerk mit Terrasse haben. Hier sitzt man schön ruhig, hat einen guten Überblick auf das Markttreiben und kann das farbenfrohe Fresco an der Decke von etwas näher betrachten. Der Inhaber eines griechischen Marktstands mit Restaurant:
    "Es gefällt uns hier ausgezeichnet. Die Markthal hat sich zu einem geselligen Ort in Rotterdam entwickelt. Ich habe ausschließlich positive Erfahrungen. Es ist etwas ganz Besonderes, in einem so schönen Gebäude, ja dem zurzeit schönsten Gebäude in Rotterdam, zu arbeiten. Das macht uns Unternehmer mächtig stolz."
    Platz für 230 Wohnungen
    Die Markthal als eine der neuesten architektonischen Errungenschaften im bauwütigen Rotterdam wartet ebenfalls mit 230 Wohnungen auf. Sie können nicht nur von außen, sondern auch von der Halle aus über die Tiefgarage erreicht werden. Der Aufzug fährt zehn Stockwerke hoch bis zu den Penthäusern. Diese sind zweigeschossig, also insgesamt gibt es elf bewohnte Etagen im Hufeisen der Markthal. Architekt Jacob van Rijs zeigt mir oben eines der Fenster, die einen Blick direkt in die Markthal ermöglichen. Mir wird fast ein wenig schwindlig,
    "Die Fenster, das ist alles geschlossen. Das war zu kompliziert. Wir haben es versucht, um die Wohnungen ein bewegbares Fenster zu geben, wo man direkt die Sachen nach oben hießen kann - die Einkäufe - aber das war zu kompliziert."
    In der achten Etage begrüßt mich Stefan van Dorp und lädt mich in seiner schmucken Wohnung ein. Schon gleich im Korridor besticht ein Fenster mit mächtigem Ausblick.
    "Diese Eckwohnung bietet Ausblicke von drei verschiedenen Seiten. Im Korridor sieht man direkt in die Markthal. An der Stirnseite des Gebäudes guckt man auf die Maas und verschiedene Brücken. Die Längsseite gibt den Blick frei auf der Laurenskirche und die Binnenrotte. Wirklich fantastische Ausblicke."
    Außenansicht der neuen "Markthal" (Markthalle) in Rotterdam, großes längliches Gebäude in Form eines Hufeisens
    Die neue "Markthal" (Markthalle) in Rotterdam (Ossip van Duivenbode)
    Herr van Dorp hat noch untertrieben. Gerade an der Stirnseite des Gebäudes sind viele weitere architektonische Highlights der Stadt zu sehen. In direkter Nähe der Markthal stehen nämlich die berühmten Kubushäuser von Piet Blom mit dem dazugehörigen Turm in Form eines Bleistifts. Und man erblickt hier das sogenannte Weiße Haus, das erste Hochhaus Europas. Ob das Wohnen in der Markthal seine Essensgewohnheiten verändert hat, frage ich.
    "Unten in der Markthal ist das Angebot an frischen Lebensmitteln so riesig und dann gibt es auch viele Essenstände und Restaurants. Wenn Freunde zu Besuch sind, heißt es: nach unten auf einen Kaffee mit Kuchen oder dort einkaufen und oben gesellig selbst kochen. Alles ist drin."
    Weitere Bewohner der Markthal sind unter anderen Expatriates aus Südkorea, ein älteres Ehepaar das hier den Ruhestand genießt oder auch junge Leute, knapp 20 Jahre alt. Durch die Art der angebotenen Wohnungen hat man versucht einen natürlichen Social Mix hinzukriegen, eine Strategie, die wohl typisch ist für die Niederlande.
    Mini-Museum in der Tiefgarage
    Durch die Tiefgarage geht es nun zurück Richtung Markthal. Auf jedem der unterirdischen Stockwerke fallen kleine Vitrinen mit archäologischen Funden auf: Krüge, Werkzeuge, Schmuck oder Schuhe. Die Markthal wurde just an der Stelle gebaut, wo um 1300 die Stadt Rotterdam entstanden ist, dort wo damals ein Damm in dem Fluss Rotte errichtet wurde. Architekt Jacob van Rijs:
    "Das Gebäude steht auf dem ältesten Teil Rotterdams. Und es gab natürlich sehr viel Elemente, die gefunden wurden, von 1200 an, mehr als ungefähr 1000 Jahre alt. Und das war eigentlich ganz schön, um das zu verbinden mit der Tiefgarage. Nicht alles direkt im Museum zu bringen, aber mehr das Museum zu den Leuten zu bringen. So, hier gibt es ein Mini-Museum in einer Tiefgarage."
    Mit dem Projekt Markthal ist Rotterdam ein spektakuläres Bauwerk reicher, das auf originelle Weise einkaufen, speisen und wohnen kombiniert. Ein Tempel für gutes Essen und gutes Wohnen. Eine ultramoderne Kreation, die das etwas vergessene Stadtviertel um die Blaak-Metro-Station einen neuen Boom beschert. Mit Recht.