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Route der Migration

Das deutsch-türkische Anwerbeabkommen feiert in diesem Monat 50. Geburtstag. Mitarbeiter des Instituts für europäische Ethnologie an der Humboldt-Universität haben die Route der Migration in Ton- und Bilddokumenten nachgezeichnet.

Von Jutta Schwengsbier | 09.10.2011
    Frau Nitschke - Traum:

    "Ich dachte ich geh nach Deutschland. Das ist das reiche Land. Ich werde hier Geld verdienen. Ohne zu wissen, was für eine Wert dieses Geld haben. Und ich schicke zu meiner Mutter für meine kleine Geschwister. Geld. Damit die etwas mehr haben. Die gingen alle zur Schule."

    Für viele Einwanderer der ersten Generation war ihre Reise nach Deutschland zunächst ein vager Traum. Ein Traum vor allem, vom schnellen Geld. Deutschland suchte Anfang der 60er-Jahre Arbeitskräfte für seine nach dem Krieg neu gebauten Fabriken. Mit Anwerbeabkommen kamen Tausende billiger Arbeitskräfte aus Griechenland oder der Türkei. Die Neubürger mussten zunächst unter teils unwürdigen Wohn- und Arbeitsbedingungen hier leben. Denn ein dauerhafter Aufenthalt war eigentlich nicht vorgesehen. Doch aus den geplanten kurzfristig Arbeitseinsätzen wurde für viele ein ganzes Leben.

    "Uns hat eben interessiert, welche Techniken haben Leute angewandt, Strategien um hier zu bleiben. Um hier zu überleben. Um hier Leben zu organisieren. Um ihre Kinder in die Schule zu bringen., Um sich die Sprache anzueignen. Sie hatten dafür gesorgt unter sehr widrigen Bedingungen, nämlich unter den Bedingungen, dass ihr Aufenthalt hier eigentlich ständig unter Disposition stand , also man wollte eigentlich nicht, dass sie hier sind. Man wollte auch von uns, der zweiten Generation, dass sie irgendwann sozusagen nach Hause geht. Das war ja immer wieder die Frage: Wann geh ihr denn zurück. Und in dem Zusammenhang hat mich auch die Veränderung von Rassismus interessiert, in der Bundesrepublik im Verhältnis zu Migration."

    Manuela Bojadzijev hat ihre Promotion über die Migrationsgeschichte Deutschlands geschrieben und arbeitet jetzt als Assistenz-Professorin an der Humboldt Universität Berlin. Unter ihrer Leitung hat die Hauptstadt erstmals dokumentieren lassen, wie Einwanderer die Stadtgeschichte geprägt und verändert haben.

    "Man muss sich ja auch im Klaren sein, das im Jahr 2000 überhaupt erst die erste Bundesregierung anerkannte, das Deutschland ein Einwanderungsland ist. Bis dahin gab es auch in den historischen Wissenschaften kaum Wissen über die Migrationsgeschichte in Deutschland. Das hat überhaupt erst in den letzten zehn Jahren wirklich stark zugenomen. "

    Um die lange verdrängte Migrationsgeschichte ins Bewusstsein zu rücken, hat das Ausstellungsteam rote Container gewählt, die an strategischen Orten in Berlin aufgestellt sind. Wie Fremdkörper installiert, stehen die Ausstellungsräume zugleich als Symbol für Globalisierung und Transport, erläutert Cagla Ilk. Mit ihrem "Büro Milk" hat sich die Architektin auf künstlerische Interventionen im Stadtgebiet spezialisiert.

    "Ich möchte den Stolperstein nochmal betonen, den Migration mit eine rot lackierte Container so total sichtbar machen, dass man nicht so ohne den Kopf zu drehen so weiter läuft. Auf einem Seite haben wir immer Route der Migration markiert und auf dem andere Seite wir haben eine Fotostrecke, die den Geschichte des Ortes, diese Vielschichtigkeit betont. Mit in jedem Ort mindestens 15 Fotos und erklärende Texte dazu."

    Aus dem Fundus einer Kreuzberger Fotografin, die über fünf Jahrzehnte fast 300.000 Negative sammelte, hatten sich Studentinnen und Studenten auf die Suche nach den Menschen gemacht, die auf den Bildern zu sehen sind. Die von Ihnen in Seniorenwohnheimen gemachten Interviews spiegeln nun die Hoffnungen und Ängste der Einwanderer in Deutschland. Jeder der roten Container zeigt eine eigene, mit dem jeweiligen Ort verbundene besondere Geschichte.

    "In Hallesches Tor betonen wir die Kontrolle der Migration. Das ist genau dem Ort, wo vor 200 Jahren die Protestanten rein gelassen sind in den Stadt. Und dann haben wir aber auch die DDR Visa Stelle von den 60er und 70er. Und dann haben wir auch in den gleichen Ort immer noch glücklicherweise den bosnische Flüchtling auch eigene Papiere bekommen haben. Und dann jetzt kurdisch-alewitische Migration aus den Anatolien."

    Die Reise in den roten Containern entlang der "Route der Migration" spannt den Bogen von der Einwanderung der Hugenotten im 17. Jahrhundert zu den Zolltoren um die Stadtmauer, die Menschen und Waren im 18. Jahrhundert kontrollierten. Die roten Container zeigen aber auch die - oft vergeblichen - Versuche der jüngeren Geschichte, die Migration durch gesetzliche Vorgaben zu steuern.""

    "Das wichtige daran zu verstehen ist, dass die Migrationsformen sich auch ändern. Also man muss ja verstehen, das 1973 es zu nem Anwerbestopp kam, der quasi bis heute Geltung hat. Und das darüber bestimmte Formen legaler Migration kaum möglich sind. Und dann es zunehmend zu ner Einwanderung über das Asylgesetz kommt. Und da betrifft eben auch ganz massiv die Stadt Berlin. Durch die Einschränkung des Asylgesetzes 1993 es kaum noch Möglichkeiten gibt, überhaupt in die Bundesrepublik einzuwandern."

    Die Geschichte der Migration im Mikrokosmos Berlins macht deutlich: Deutschland ist schon lange ein Einwanderungsland. Die Ausstellung zeigt aber auch, wie schwer es der deutschen Mehrheitsgesellschaft immer noch fällt, die neuen Bürger als gleichberechtigt anzuerkennen. Eine Definition, Wer und Was deutsch sind, im Zeitalter globaler Migrationsbewegungen, steht noch aus. Berlin hat nun den Mut, sich als Hauptstadt einer multikulturellen und multiethnischen Bevölkerung zu feiern. In Folgeprojekten wollen die Ausstellungsmacher nichts weniger als die Geschichte Deutschlands umschreiben, mit Geschichten einer bislang weitgehend im verborgenen blühenden multikulturellen Gesellschaft.""