Freitag, 19. April 2024

Archiv

Ruanda
Zartes Sprießen der Kultur nach dem Völkermord

Von Cornelius Wüllenkemper | 21.08.2014
    Patrick Ruganintwali bei der Arbeit in seinem Atelier in einem Außenbezirk der ruandischen Hauptstadt Kigali. Der 30-Jährige klebt zwei gespaltene kleine Holzmasken von Frauengesichtern auf eine Leinwand. Dunkle Gestalten sind zu erkennen, im Hintergrund setzt sich ein warmes Licht ab.
    "Wenn du einmal am Grunde des Abgrunds angekommen bist, dort, wo es nicht mehr tiefer geht, dann muss es wieder aufwärts gehen. Darum geht es bei meinen zerbrochenen Gesichtern. Da ist etwas Düsteres, aber im Hintergrund sieht man ein Licht."
    Patrick wohnt und arbeitet im Haus seines Vaters. Seine Mutter ist gestorben, den Völkermord vor 20 Jahren hat er miterlebt. Mehr möchte er dazu nicht sagen. Seine Kunst, meint Patrick, sei wie eine Therapie, für ihn, aber auch für sein Land.
    "Kunst spielt dabei natürlich eine Rolle. Auch wenn manche Leute noch nicht verstanden haben, was das bedeutet. In Ruanda ist man erst dabei zu erkennen, dass Kunst nicht nur dafür da ist, Wohnraum zu dekorieren. Man muss auch die Botschaft dahinter verstehen."
    Mit der Kunst einigermaßen über Wasser halten
    Der ausgebildete Tourismusmanager hat bisher nie in seinem Beruf gearbeitet. Als einer der wenigen Maler Ruandas kann er sich durch seine Kunst einigermaßen über Wasser halten. Mittlerweile haben ihn seine Ausstellungen ins Nachbarland Uganda, aber auch nach Nizza und sogar nach Deutschland geführt. Seine Reisen bieten ihm zugleich die Möglichkeit, an neue Arbeitsmaterialien zu kommen.
    "In Ruanda bekommt man so gut wie keine Malutensilien. Dafür fahren wir nach Uganda. Immerhin spielt das Material eine wichtige Rolle für die Qualität des Werkes. In Ruanda gibt es Wandfarbe, aber keine Künstlerfarben. Rahmen und Leinwände findet man manchmal noch auf dem Wochenmarkt. Das Problem sind die Farben und die Pinsel."
    Ein Kunstmarkt entwickelt sich in Ruanda nur langsam. Vor allem sind es Ex-Pats und Mitarbeiter ausländischer Regierungen, die hier Gemälde irgendwo zwischen afrikanischer Folklore und moderner Pop-Art mit Kitsch-Faktor kaufen. Bildende Kunst, Gesang, Tanz und Poesie spielten vor nicht einmal 100 Jahren eine wichtige Rolle im ruandischen Königreich. Bereits unter den belgischen Kolonialherren sind diese Traditionen in den Hintergrund gedrängt worden. Spätestens seit dem furchtbaren Völkermord 1994 lag die Kulturproduktion dann gänzlich brach. Die Regierung unter Paul Kagamé hat zwar seitdem beeindruckende wirtschaftliche und infrastrukturelle Erfolge erzielt. Ein Budget für Kulturpolitik war im ehrgeizigen Aufbauprogramm bisher jedoch nicht vorgesehen.
    "Wir versuchen jetzt, unsere Tradition wiederzubeleben. Wir haben festgestellt, dass das in unserer Gesellschaft fehlt. Die Kultur ist ein Pfeiler des sozialen Zusammenhalts. Das hat auch die Regierung verstanden und beginnt jetzt uns zu unterstützen."
    Seminar für traditionelle Musik
    Sagt Ben Ngabo. Der Fünfzigjährige ist vor drei Monaten zum Leiter des Seminars für traditionelle Musik an der neu gegründeten Rwanda School of Arts and Music im Norden des Landes geworden. Das erste nennenswerte kulturelle Engagement des Staates seit Ruandas Stunde Null.
    "Früher spielte man diese Musik am Hof des Königs und bei den Festen der Dorfvorsteher. Wir wollen diese Tradition rehabilitieren. Wir brauchen ein neues Bewusstsein für unsere eigene Kultur. Besonders wichtig ist es dabei, die jungen Leute ins Boot zu holen. Konzerte und klassisches ruandisches Ballett gibt es heute entweder in den Bergen oder aber bei ausgesuchten Festen in der Stadt. Doch da haben junge Leute keinen Zutritt. Das wäre aber wichtig. Immerhin geht es um unsere Identität."
    Ngabo leitet derzeit eine Klasse von 30 Studenten in einem dreieinhalbjährigen Studiengang für traditionellen Gesang, Rhythmik und Melodieinstrumente, allen voran die traditionelle Trog-Zither Inanga. Ambitionierte Maler wie Patrick Ruganintwali, aber auch die neue Kunst-Hochschule sind erste Anzeichen dafür, dass das einst tief gespaltene Land sich auf seine kulturelle Identität besinnt und so eine mögliche gemeinsame Zukunftsperspektive entwickelt.