Donnerstag, 25. April 2024

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Querelen im Ruderverband
Eskalation im Ruderboot

Der Deutschen Ruderverband steht nach einem sportlich tief enttäuschenden Jahr und internen Unruhen vor einer Phase der Selbsterneuerung. Selbst der Deutschlandachter kann aktuell nicht mit Erfolgen aufwarten.

Von Daniel Theweleit | 25.09.2022
Der Deutschlandachter in lockerer Fahrt.
Der Deutschlandachter konnte weder bei der EM noch bei der WM überzeugen. (Oryk HAIST / IMAGO)
Eigentlich wäre dieses letzte Krisensignal nicht mehr notwendig gewesen, um den beklagenswerten Zustand des deutschen Ruderns zu illustrieren: Am Freitagmittag verpasste der legendäre Deutschlandachter zum ersten Mal seit 23 Jahren den Endlauf bei einer Weltmeisterschaft. Wie so viele andere Boote des Deutschen Ruderverbandes (DRV), in dem schon vor der Weltmeisterschaft ein offener Streit ausgebrochen war. Oliver Zeidler, einer der wenigen Athleten, die noch in der Weltspitze mitfahren, hatte im Bayerischen Rundfunk bereits im August schwere Vorwürfe erhoben. Im Verband herrsche ein Klima der Angst, sagte Zeidler, etliche Athlet*innen:
„trauen sich eben nicht ihren Mund aufzumachen, wenn wirklich was so katastrophal läuft, wie es momentan bei uns im Verband läuft. Und das ist ein großes, großes Problem, dass da einfach Druck auf die Athleten ausgeübt wird, nur weil sie ihre Meinung sagen, weil sie mündige Athleten sein wollen und sich dann halt nicht trauen, weil sie ihre Miete nicht mehr bezahlen können.“
Zeidlers Schwester Marie-Sophie sagte die WM ab, nachdem ihr angedroht worden sei, „dass sie aus der Sportförderung rausfällt. Sie hat jetzt das Glück, dass sie hier bei der Landespolizei ist und die hinter ihr stehen, glücklicherweise. Dass da der DRV auch nicht rankommt. Aber da ist halt kein Vertrauensverhältnis mehr da und sie sieht da keine Grundlage für eine weitere Zusammenarbeit. Und dann hat sie die Reißleine gezogen.“

Vorstandsvorsitzender Petri: "Dann hat man auch Fehler gemacht"

Anderer Ruderer schlossen sich dieser Kritik an. Die Sportler*innen klagen darüber, dass sie gezwungen werden, ihr soziales Umfeld zu verlassen, um die optimale Förderung an den Stützpunkten zu erhalten. Und statt in Gesprächen auf Augenhöhe nach Lösungen zu suchen, werde Druck ausgeübt. Moritz Petri, der Vorstandsvorsitzende des DRV, räumt ein:
„Ganz offensichtlich, wenn es so eskaliert, dann hat man auch Fehler gemacht, auch wir als Verband und allen voran selbstverständlich in der Kommunikation mit den Athletinnen und Athleten.“
Einige der dringend nötigen Reformen seien aber schon auf den Weg gebracht worden, sagt Verbandschef Petri. Zum Beispiel soll ein hauptamtlicher Vorstand die Ehrenamtler in dem Gremium ersetzen, die dann nur noch in einem Aufsichtsrat mitwirken werden. Vor allem aber wurde erkannt, dass die Sportlerinnen und Sportler wie mündige Menschen wahrgenommen werden müssen, deren Sorgen und Ideen Berücksichtigung finden, ohne dass Repressionen drohen.
„Ich werte es jetzt einfach mal als absolut positives Zeichen, dass die Athleten inzwischen auch ihren Mund aufmachen und ihre Positionen einfordern. So schmerzhaft es vielleicht im ersten Moment auch ist. Aber wir kommen endlich dahin, dass wir diese Kultur haben“, sagt Petri.

Fehlende Erfolge bedeuten finanzielle Einbußen

Aber noch herrscht Chaos. Als Reaktion auf die Unruhen schuf der DRV eine Expertenkommission, die in der vergangenen Woche wieder aufgelöst wurde, weil sie mit Leuten besetzt war, die selbst im Zentrum der Kritik stehen. Nun sollen externe Unternehmensberater dem Verband bei der Selbsterneuerung helfen. Ob personelle Veränderungen auf der Ebene der sportlichen Leitung und bei den Trainern folgen, wird sich dann zeigen. Hinzu kommt, dass in dieser belastenden Situation fehlende Erfolge auch finanzielle Einbußen zur Folge haben.
Wobei der DRV-Ehrenvorsitzende Wolfgang Maennig, ein Professor für Wirtschaftswissenschaften, glaubt, dass viele Probleme gar nicht direkt mit dem Verband zu tun haben. Es stünden schon aufgrund der demographischen Entwicklung immer weniger Jugendliche zur Verfügung als in früheren Jahrzehnten, außerdem gebe es
„sehr viel mehr Sportarten als damals, die einfach auch hipper sind, wo vielleicht auch die Eintritts-Barrieren leichter sind, wo man schneller reinkommt, weil sie zum Beispiel auf der Straße geschehen, weil sie in der nächsten Turnhalle geschehen und nicht erst in dem etwas weiter entfernten Ruderverein.“
Die Chance auf Erfolg in einer Randsportart wie Rudern konkurriere zunehmend mit anderen Möglichkeiten, Anerkennung zu bekommen, nicht zuletzt in den sozialen Medien. In so einer Welt muss der Verband womöglich grundsätzlich lernen, stärker auf veränderte Bedürfnisse einzugehen. Beispielsweise mit einem Image, das analog zum weiterhin sehr erfolgreichen Kanusport Naturerlebnisse und Abenteuer in Aussicht stellt, statt Podiumsplätze bei lokalen Nachwuchsrennen.

Zentrailisierung überdenken

Und in der Nationalmannschaft müsse das Konzept der Zentralisierung, das nach der Leistungssportreform des Deutschen Olympischen Sportbundes von 2016 in vielen Sportarten als Problem empfunden wird, überdacht werden, sagt Maennig:
„Natürlich braucht es eine Art Zentralisierung zu einem bestimmten Zeitpunkt, über den man auch diskutieren muss. Aber die Frage ist ja, ob diese Zentralisierung immer an Institutionen gebunden sein muss oder ob die athletenorientiert sein könnte.“
Ein ernsthafter Austausch aller Beteiligten zu solchen Ideen hat erstaunlicherweise nie stattgefunden. Der frühere Olympiasieger Maennig sagt, es sei:
„schon so, dass einige Athleten und ich gebe das einfach mal so wertneutral weiter sich nicht richtig angehört fühlen. Und das ist sicherlich eine der zentralen Aufgaben des Verbandes, und zwar vonseiten der Trainer und des Sportdirektors, aber auch der Funktionsträger, die Athleten wirklich anzuhören und mit ihnen eine gemeinsame Lösung zu suchen.“ Offen ist, ob nicht schon zu viel Vertrauen verspielt wurde.