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Flucht nach Deutschland
Wie ukrainische Ruderer in Hannover trainieren

Zahlreiche ukrainische Nationalteams versuchen trotz des Krieges weiterhin an Wettbewerben teilzunehmen. Auch das U19-Nachwuchsteam im Rudern will bei der Europameisterschaft im Mai antreten. Auf Einladung des Deutschen Ruderverbandes ist fast das komplette Team nach Hannover gekommen.

Von Bastian Brandau |
Pavlo Bolotov (Schlagposition) trainiert mit seinem ukrainische Junioren-Achter in Hannover.
Pavlo Bolotov (Schlagposition) trainiert mit seinem ukrainische Junioren-Achter in Hannover. (Hannoverscher Ruder-Club von 1880 e.V./Marcel Kipke)
Acht Ruderer stoßen ihr Boot vom Steg des Deutschen Ruderclubs von 1884 in Hannover-Linden. Die Mannschaft schlüpft in die im Boot fixierten Schuhe, der Steuermann stöpselt sein Headset in die Lautsprecheranlage. Flussabwärts geht es zur nächsten Schleuse. Angeleitet von einem Trainerteam im Motorboot, bei dessen Bekleidung ebenso wie bei den Ruderern die Farben blau und gelb dominieren. Auch vier der acht Ruderblätter sind in den ukrainischen Nationalfarben lackiert, die vier weiteren in den Farben des gastgebenden Vereins Blau-weiß-rot.   
Eine Juniorenmannschaft, die zur Saisonvorbereitung an einem anderen Ort trainiert – an sich nichts Ungewöhnliches. Doch die ukrainischen U-19-Nationalruderer, die an diesem Morgen unter den Kommandos ihres Steuermanns Pavlo Subit trainieren, sind Mitte März nach Hannover geflohen – nach dem russischen Überfall auf ihre Heimat.

Das meiste Material ist in Charkiw geblieben

„Das Wasser ist das Gleiche, die Fahrregeln sind die Gleichen. Der wesentliche Unterschied ist, dass das Boot, in dem wir jetzt trainieren dürfen, wesentlich besser ist.“
Die ukrainischen Ruderer trainieren nun in Hannover.
Sportliche Routine: Die Ruderer kennen sich inzwischen aus an den Bootshäusern in Hannover (Hannoverscher Ruder-Club von 1880 e.V./Marcel Kipke)
Der gelbe Achter: zur Verfügung gestellt von einer bekannten deutschen Bootswerft. Als das Betreuerteam und rund zwei Dutzend Sportlerinnen und Sportler aus der Ukraine fliehen, können sie praktisch kein Material mitnehmen aus dem Ruder-Trainingszentrum im umkämpften Charkiw: Nur die vier blau-gelb lackierten Riemen, die auch an diesem Vormittag im Einsatz sind, transportieren sie auf dem Dach eines Kleinbusses.
Auch die Direktorin des ukrainischen Ruderverbandes, Iryna Dotsenko ist mit nach Hannover geflohen. „Als der Krieg ausbrach, haben wir die Anfrage gestellt an den Deutschen Ruderverband. Und so wurden wir hier aufgenommen. Wir sind Mario Woldt sehr dankbar, dass er uns sehr eng begleitet.“

Praktische Hilfe vor Ort - von der Jugendherberge bis zum Bootsmaterial

Mario Woldt ist beim Deutschen Ruderverband für den Leistungssport zuständig. Jetzt druckt er beim gemeinsamen Interview in der Geschäftsstelle auch mal Anträge für den Gang zur Ausländerbehörde aus. „Hier arbeiten wirklich alle sehr gut Hand in Hand. Wir haben die Vereine vor Ort, DRC, HRC, Angaria, die hier sehr, sehr gut unterstützen. Die ihre Bootshäuser aufmachen, Bootsmaterial zur Verfügung stellen.“
Nachdem der Kontakt zum Ukrainischen Verband zustande gekommen war, habe man überlegt, sagt Woldt, wo man die U-19-Nationalmannschaft am besten unterbringen könne – und sich für den Verbandssitz Hannover entschieden.
„Die Stadt hat mit der Jugendherberge sehr eng zusammengearbeitet, dass die Mannschaft dort auch komplett unterkommen kann. Landessportbund und OSP unterstützen sportlich auch mit.“

Flucht ohne Eltern

Nach und nach ist die ukrainische Gruppe in Hannover auf 35 Personen angewachsen. Von der Jugendherberge können sie zu Fuß zu den Rudervereinen gehen, wo sie zweimal am Tag auf dem Wasser trainieren. Dazu Gymnastik und Krafttraining am nahen Olympiastützpunkt. Zwischendurch verfolgen sie den Schulunterricht in der Ukraine online, erzählt Schlagmann Pavlo Bolotov. „Und wir versuchen jeden Tag Kontakt zu halten zu Freunden und Verwandten. Und wir machen uns jeden Tag Sorgen um sie.“
Die minderjährigen Sportlerinnen und Sportler sind ohne Eltern geflohen. Man versuche, in Hannover für sie ein Stück Normalität zu organisieren, sagt Mario Woldt vom Deutschen Ruderverband. „Die Normalität bietet sicherlich der Sport erst mal selber, weil das ist das, was man kennt, was man macht. Es gibt die tägliche Struktur. Man hat seinen normalen Trainingsaufbau auch über die Zeit.“
Die ukrainischen Ruderer trainieren nun in Hannover.
Training auf dem Maschsee - die ukrainischen Juniorenruderer arbeiten in Hannover auf die EM in Italien hin. (Hannoverscher Ruder-Club von 1880 e.V./Marcel Kipke)
Und bei allem Weiteren versuchen auch die örtlichen Vereine zu helfen. „Dass die Sportler, dass die Gruppe Anschluss haben und dass man  versucht, so ein bisschen Rahmenprogramm auch dann zu organisieren, das lässt sich gut an.“

Nächstes Ziel: EM in Italien

Ein Helferkreis hat sich gebildet, um viele praktische Probleme zu lösen. Spenden wurden gesammelt. Vereinsmitglied Anton Voronchuk übersetzt, auch bei diesen Interviews. Und im Gegenzug helfen die ukrainischen Ruderer an diesem Morgen zum Beispiel, das Motorboot der Vereins-Trainingsgruppe vom Steg zu schieben. Die Einladung zum Anrudern am Ende des Monats hat der Deutsche Ruderclub auf Ukrainisch auf seiner Website veröffentlicht.
Schlagmann Pavlo Bolotov: „Ich bin sehr berührt, wie wir hier empfangen wurden, welche Bedingungen uns hier zur Verfügung stehen, welches Equipment wir hier bekommen. Essen, Trinken, die Verpflegung rund ums Training ist teilweise besser als in unserer Heimat. Ich bin sehr dankbar und wir wollen unser Bestes geben, um Deutschland nicht zu enttäuschen.“   
Sportliches Ziel ist der Start bei den Junioren-Europameisterschaften im italienischen Varese im Mai „In der aktuellen Situation kann man nicht längerfristig planen. Man lebt in den Tag hinein, plant Schritt für Schritt. Und der nächste planbare Schritt sind die Europameisterschaften. Und was darüber hinaus geht, ist momentan nicht planbar.“