Archiv


Rückblick ins nationalistische Zeitalter

Die europäischen Staaten haben eine gemeinsame europäische Geschichte, doch die Erinnerung daran ist immer noch vom Blick durch die nationale Brille geprägt. Deshalb macht sich eine deutsch-französische Schulbuchkommission Gedanken über gemeinsame Geschichtsbücher und deshalb verfilmt Arte France jetzt den deutsch-französischen Krieg von 1870/71.

Von Antonia Koch |
    Es ist noch früh am Morgen. Bitche, die kleine lothringische Stadt unweit der deutschen Grenze schläft noch, während sich hoch oben auf der mächtigen Zitadelle, die den Ort überragt, eine Schar von Laiendarstellern bereit macht.

    Sie steigen in bayerische, französische, preußische Uniformen. Inszeniert wird die erste blutige Auseinandersetzung zwischen Deutschen und Franzosen. Der Krieg von 1870/71.

    Ein zu Unrecht vergessener Krieg, urteilt Regisseur Gérard Mordillat, der das Spektakel im Auftrag von Arte France und der Stadt Bitch inszeniert.

    "In Frankreich ist dieser Krieg vergessen, weil er mit einer Niederlage endete. Aber auch in Deutschland ist er seltsamerweise vergessen. Für ein Europa, das zusammenwächst und keinen Krieg mehr kennt, ist es aber sehr wichtig, genau zu wissen, wo wir herkommen. Ich glaube, dass es deshalb von Bedeutung ist, weil Bismarck nach 70/71 das Deutsche Reich gegründet hat und Deutschland sich bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges nicht viel verändert hat."

    Die Franzosen kennen in der Aufarbeitung historischer Ereignisse kaum Brüche. Hitler und seine menschenverachtende Vernichtungsmaschinerie in der Kontinuität von Bismarck zu sehen, wie es Gérard Mordillat tut, ist sicher eine eigenwillige Interpretation. Aus französischer Sicht sei dies allerdings nachvollziehbar, urteilt Gerd Wittenbrock, Direktor des deutsch-französischen Gymnasiums in Saarbrücken. Wittenbrock ist Mitglied der binationalen Expertenkommission, die sich daran gemacht hat, ein deutsch-französisches Geschichtsbuch zu erarbeiten.

    "In der Tat ist es so, das Bismarck lange Zeit sehr negativ, kritisch betrachtet wurde in Frankreich und den französischen Schulgeschichtsbüchern, weil er als verantwortlich gesehen wird für den Krieg und den Verlust von Elsaß-Lothringen."

    Der Regisseur hat sich zum Ziel gesetzt, die strategisch-militärische Leistung Bismarcks in anderem Licht erscheinen zu lassen. Mordillat spricht auch von Arroganz und Selbstüberschätzung der französischen Seite in diesem blutigen Konflikt. Die mehrstündige Produktion verbindet fiktive Szenen mit dokumentarischem Material. Sowohl französische als auch deutsche Historiker ordnen die Ereignisse ein. Diese Art Tandem-Lösung sei inzwischen Normalität. Gerd Wittenbrock.

    " Wir haben eine enge Vernetzung der Historiker in beiden Ländern. Gräben sind nicht mehr national sondern vielmehr politisch, ideologisch, konzeptionell, innerhalb der einzelnen Nationen verlaufend."

    Auch für das touristische Konzept der Stadt markiert der Film über die Belagerung der Festung einen neuen Ansatzpunkt.
    80.000 Touristen besuchen jährlich die Zitadelle; der überwiegende Teil davon sind deutsche Gäste. Und diese haben bei ihrem Rundgang und den Projektionen, die ihnen angeboten wurden, bislang vor allem eines gesehen, den hässlichen Deutschen. Er ist auch in diesem Film dabei, in der Rolle des Adjutanten eines bayerischen Oberst, der Monate lang gegen die Festung anrennt. René Jacques, Schauspieler am Staatstheater Saarbrücken.

    " Also es ist eine Art Süffisanz in diesem Charakter, der natürlich in der Art und Weise, wie er seine Handlung tut, sehr korrekt ist, aber in der Art und Weise seines Benehmens doch sehr spüren lässt, dass wir die stärkere Rasse sind als die Franzosen und das lasse ich in jedem Moment in den Worten dazwischen spüren."

    Der Adjutant, der die Franzosen dazu bewegen soll, ihren Widerstand gegen die Belagerung aufzugeben, bleibt der einzige Fiesling der Produktion. 1000 Statisten und Laiendarsteller - Franzosen wie Deutsche - wirken daran mit.

    "Wir haben vorhin grad gesagt, es ist wie auf dem Oktoberfest, lauter verkleidete Bayern. Es gibt auch Franzosen, die in bayerischen Uniformen laufen."

    Heinz Porath ist Mitglied einer historischen Darstellungsgruppe aus Süddeutschland, die öfter für Massenszenen dieser Art engagiert wird. Für die Laiendarsteller vor Ort ist es ein wenig mehr, als das bloße Abenteuer einmal in einer Filmproduktion mitgewirkt zu haben. Der Waffenschmied der Festung, Christoph Wilzius, im wahren Leben Berufsfeuerwehrmann.

    " Es ist unsere Geschichte von Bitch, da waren die Deutschen und die Franzosen hier. Das ist so. Jeder Bitcher hat diese Zitadelle ein bisschen im Blut . Aber die Zeit geht rum, jetzt sind wir in 2005 und die Deutsch-französische Freundschaft ist eine Realität, heute."