Sonntag, 19. Mai 2024

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Rückenschmerzen durch falsche Behandlung

Medizin. - Rückenschmerzen kommen - etwa nach schwerem Heben oder langem Sitzen am Schreibtisch - und sie gehen auch wieder. Doch nicht immer, denn rund ein Drittel der Patienten leidet über Monate an einem kaputten Rücken, jeder zehnte wird die Schmerzen gar nicht mehr los. Schuld daran sind manchmal auch die Ärzte, warnen Experten auf dem Deutschen Schmerzkongress in Berlin.

05.10.2001
    Der Psychologe Dr. Paul Nilges vom DRK-Schmerz-Zentrum in Mainz ist sicher, dass langanhaltende Schmerzen im Rücken häufig entstehen, wenn das komplexe Zusammenspiel von Muskeln, Sehnen und Gelenken nicht mehr funktioniert. Mit einer Blutuntersuchung oder einem Röntgenbild lässt sich das nicht nachweisen. Kann die Quelle des Schmerzes nicht eindeutig bestimmt werden, nimmt der Arzt den Kranken und seine Beschwerden häufig nicht mehr so ernst. Umgekehrt ist es auch möglich, dass die Mediziner eine Auffälligkeit in den vielen Untersuchungsergebnissen zu schnell für die Wurzel des Problems halten, sagt Nilges: "Ein Beispiel war eine Patientin mit einem Defekt am Kniegelenk. Sie ging deswegen physiologisch etwas ungünstig, was sich über die Rückenmuskulatur auswirkte und zu Beschwerden führte. Es wurde eine Röntgenaufnahme gemacht und ein Bandscheibenvorfall festgestellt, der auch noch auf der richtigen Seite saß. Diese Patientin wurde gerade noch im letzten Moment vom OP-Tisch heruntergeholt."

    Ein akuter Bandscheibenvorfall kann unerträgliche Schmerzen verursachen. Reihenuntersuchungen zeigen aber, dass jeder vierte Dreißigjährige und jeder zweite Sechzigjährige einen unerkannten Bandscheibenvorfall hat. Es handelt sich offenbar um eine normale Alterserscheinung, die nicht unbedingt Beschwerden verursacht. Fällt sie aber bei einem Patienten mit chronischen Rückenschmerzen auf, wird schnell ein Zusammenhang vermutet und operiert. Ärzte tragen so zur Festigung der Beschwerden bei, lassen sie chronisch werden. Eine Studie am Kings College in London hat jetzt die Fallgeschichten von 125 Schmerzpatienten genau analysiert und dabei vier Problembereiche ausfindig gemacht, bei denen Ärzte den Patienten schaden können. Neben der Überdiagnostik sind das Fehler in der Verschreibung von Medikamenten, die Empfehlung von Bettruhe anstatt körperlicher Schonung sowohl bei chronischen Schmerzen wie beim akuten Hexenschuss und schließlich dass Ignorieren der Tatsache, dass chronische Schmerzen selten rein körperliche Ursachen haben. Paul Nilges sieht jedoch gerade in der Komplexität vieler chronischer Rückenleiden eine Chance, "weil viele Patienten denken, wenn man nichts findet, dann kann man auch nichts machen. Es ist aber eher andersherum, wenn man keine Einzelursache findet, im Sinne einer Pathologie, sondern wenn man viele Faktoren hat, dann hat man auch viele Ansatzpunkte, kann mit Krankengymnastik, physiotherapeutischen Verfahren arbeiten oder Entspannungsverfahren verordnen." In der Summe könnten die Behandlungen das Befinden des Patienten deutlich verbessern, so der Psychologe.

    [Quelle: Volkart Wildermuth]