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Rückenwind für Schottlands Separatisten

Seit einem Jahr wird Schottland von Separatisten regiert: Die Scottish National Party, SNP, verdrängte am 3. Mai 2007 haarscharf die Labour-Partei von der Macht und bildet seither eine Minderheitsregierung unter der Führung von Alex Salmond. Er hat versprochen, 2010 ein Referendum über die schottische Unabhängigkeit abzuhalten. Und hier bewegt sich einiges: Die geschlagene und demoralisierte Labour-Partei hat in den letzten Tagen überraschend zugesagt, eine solche Volksbefragung zu ermöglichen - wenn auch lieber früher. Labour hat nämlich Angst, dass nach einem Wahlsieg der Konservativen in London die Idee der Unabhängigkeit in Schottland populärer werden könnte. Martin Alioth versucht zu ergründen, was die Schotten denn so anders macht. Und er sprach mit dem Ersten Minister, Alex Salmond:

09.05.2008
    Die Tron Kirk an der Royal Mile in Edinburg schlägt die Stunde. Hier versammeln sich die Bürger zu Hogmanay, am Sylvester, mit einem Gläschen Whisky. Vielleicht können wir hier Spuren finden, die uns die Andersartigkeit der Schotten begründen? Unser Fährtenleser ist Eberhard Bort, der an der hiesigen Universität schottische Politik und Kultur vermittelt.

    "Es war die Union, 1707, ja? Vorher war Schottland vom Im- und Export zu diesen Inseln hier ausgeschlossen, durch die Naval Acts des 17. Jahrhunderts. Schottland hat dann versucht, zwischen 1695 und 1700 eine eigene Kolonie zu gründen. Am Panama. In Darien. Das ging katastrophal schief, hat ein paar tausend Leben gekostet und die Schotten vielleicht einen Drittel bis die Hälfte des verfügbaren Vermögens. Einer der Hauptgründe, warum Schottland in die Union eingewilligt hat mit England, weil man gesagt hat, wir können das allein nicht, England ist zu mächtig."

    Es war also keine ganz freiwillige Heirat, und heute sagen auch gewisse prominente Engländer, die Ehe sei zerrüttet. Aber Schottland wurde dank der Union zu einem der Vorreiter der Industrialisierung. Im sogenannten Central Belt, der Gegend zwischen Edinburg und Glasgow, wurde die Moderne geschmiedet. Die Gesellschaft war stark von protestantischen Werten durchdrungen, denn der Reformator John Knox, ein Schüler Calvins, schuf eine mächtige Kirche.

    Eberhart Bort hat den Besucher nun ins Museum der kleinen Leute an der Royal Mile geführt. Die schottische Aufklärung, erklärt er, habe ein ganz eigenes Gesellschaftsverständnis geprägt, das sich vom englischen unterscheide.

    "Es geht zurück auf den Fakt, dass der Begriff Civil Society, Zivilgesellschaft, hier in Edinburg geprägt wurde, in der Aufklärung. Die Soziologie als Wissenschaft wurde hier begründet, in Edinburg. Und insgesamt hat sich in Schottland, ja, so ein Begriff von Kohäsion in der Gesellschaft gehalten, Solidarität. Wenn man allen möglichen Erhebungen nachgeht, kann man sagen, dass in Schottland, wenn es darum geht, ob die Gewerkschaften Einfluss haben sollten, ob die Regierung regulierend eingreifen und nivellierend eingreifen soll, dass eine egalitärere Gesellschaft da ist."

    Vielleicht ist das der Grund, warum die schottische Nationalistenpartei sozialdemokratisch ist und nicht wie andere derartige Gruppierungen fremdenfeindlich und rechts. Die schottische Politik findet links von der Mitte statt. Aber reicht das alles, um die Unabhängigkeit zu rechtfertigen? Alex Salmond, der Erste Minister Schottlands, hat keinen Zweifel:

    Schottland sei tausend Jahre lang selbständig gewesen vor der freiwilligen Union mit England. Und damals ging es um das Kolonialreich und Freihandel. Jetzt sei das Weltreich weg und der Handel sei international geregelt. Auch für die Verteidigung sei Schottland nicht mehr auf England angewiesen.

    Die Beweggründe für die Union seien verschwunden, alles deute auf Unabhängigkeit nach dem Vorbild der Schweiz oder der schottischen Nachbarn von Irland bis Skandinavien, wo er einen Bogen des Wohlstandes ausmacht.

    Und dann kommt die Spitze, die in Schottland nie weit von der Oberfläche entfernt ist:

    Schottland sei kein englischer Kanton, sondern eine Nation; und die sollten unabhängig sein. -

    Zufällige Gespräche mit Passanten in der verkehrsfreien Buchanan Street in Glasgow ergeben eine überraschend große Begeisterung für Schottlands Unabhängigkeit. Aber die richtigen Meinungsumfragen beweisen, dass es auf die Fragestellung ankommt: Bei romantischen Formulierungen bekennt sich neuerdings sogar eine relative Mehrheit zur Abspaltung von England, aber wenn gefragt wird, ob man lieber das jetzige Parlament mit erweiterten Kompetenzen hätte, dann schwingt diese Option obenauf. Der Austritt aus dem Vereinigten Königreich ist - noch - kein Herzenswunsch, aber Salmonds SNP wird immer populärer und könnte schließlich dazu verknurrt werden, noch viele Jahre lang ein britisches Schottland zu regieren.