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Rückkehr an den Ort des Schreckens

Der Krieg in Bosnien begann im April 1992 und trieb binnen weniger Monate über 2 Millionen Menschen in die Flucht. 1995 gescah das Massaker von Srebrenica – es wurde zum Symbol der Unmenschlichkeit: Binnen weniger Stunden ermordeten Serben 8000 bosnische Männer. Unter den Augen der holländischen UNO-Blauhelme. Srebrenica wurde so auch zum Symbol für das Versagen der internationalen Staatengemeinschaft.

Von Eberhard Nembach |
    Heute ist Bosnien-Herzegowina ein staatliches Provisorium und ein UNO-Protektorat. Seit neun Jahren, seit dem Friedensabkommen von Dayton, bestimmt der Internationale Bosnien-Beauftragte die Geschicke der muslimisch-kroatischen Föderation und der Serbischen Teilrepublik. Die beiden Landesteile sind sich in alle den Jahren kaum näher gekommen – Hass und Misstrauen sitzen immer noch tief. Und doch kehrten mittlerweile eine Million Menschen zurück.

    Musik: "Vater, Mutter, wo seid Ihr – jede Nacht träume ich von Euch, sang das kleine Mädchen bei der Einweihung der Gedenkstätte in Srebrenica vor gut einem Jahr, auch Eherngast Bill Clinton hatte Tränen in den Augen. Die Gedenkstätte ist ein islamisches Heiligtum mit verzierten Marmorplatten, einem offenen Gebetsraum und vor allem: einem riesigen Gräberfeld. Die makabre Wahrheit ist, dass tausende ehemalige Bewohner von Srebrenica nur als Tote zurückkehren. In ganz Bosnien werden Massengräber untersucht, Knochen identifiziert, um den Angehörigen wenigstens Gewissheit zu geben und die Möglichkeit eines würdevollen Andenkens. Fast ein Jahrzehnt nach dem Massaker überschattet die Erinnerung daran noch immer auch den Alltag der Überlebenden. Die Wunden des Krieges sind noch sichtbar, Einschusslöcher an den Häusern, von denen einige auch imemr noch ganz zerstört sind, und viele leer stehen. Mehr als 30.000 Einwohner hatte die über mehrere Dörfer verstreute Gemeinde in den zerklüfteten und bewaldeten bosnischen Bergen. Heute hat Srebrenica nur noch rund 10.000 Einwohner. Dabei stellen in der einstigen Moslem-Enklave jetzt die Serben die Mehrheit – die Muslime wurden ja entweder umgebracht oder vertrieben. Erst rund 4500 Muslime sind nach Srebrenica zurückgekehrt, zum Beispiel auch der Gemeindevorsteher selbst. Abdulrahman Malkic hat das Massaker damals miterlebt…

    "Ich habe es nicht nur Erlebt, ich habe es auch nur mit Mühe und Not ÜBERlebt, erzählt Malkic. Es war ein ziemlich schwerer Weg in die Freiheit. Nach der Besetzung von Srebrenica ist er in den Wäldern umhergeirrt, landete schließlich in Serbien, wo er von der Polizei misshandelt und lange gefangen gehalten wurde… Jetzt versucht Malkic mühevoll, das Leben in Srebrenica neu zu organisieren. Um weitere Rückkehrer in die Gemeinde zu holen, braucht es zunächst einmal Wohnraum. Auf den zerstörten Häusern wurden mit internationalen Geldern neue gebaut – in ein solches Rückkehrerhaus ist auch die 16jährige Sanita letztes Jahr eingezogen, nachdem sie ihr halbes Leben als Vertriebene verbracht hat…

    Sanita, 15: "Wir waren in Tuzla. Jetzt haben wir in Sase ein Haus bekommen, das mit Spenden bezahlt wurde, ich und meine Mama. Mein Vater wurde verhaftet, so hat meine Mama mir das erzählt." …

    Sanita weint ein bisschen, darüber, was mit ihrem Vater nach der Verhaftung geschah, darüber redet sie nicht, daran mag sie nicht einmal denken. Die meisten Männer wurden ermordet, mit ihnen auch männliche Jugendliche und Greise. Aus einer solchen vaterlosen Rückkehrerfamilie stammt auch Sanitas Schulfreundin Aida Aida "Wir wohnen jetzt hier in Sase, früher habe ich in Grabovica gelebt. Las der Krieg war, sind wir damals weggezogen. Wir wurden da in einer Schule untergebracht, und haben da die ganze Zeit gelebt, in Grabovica, bis wir hierher zurückgekommen sind. Wir, das bin ich, mein Bruder, meine Schwester und meine Mama. Einen Papa habe ich nicht, der ist umgekommen – wie, weiß ich nicht genau." Was genau passiert ist damals, das will das Kriegsverbrechertribunal in Den Haag klären – die Hauptangeklagten, Radovan Karadzic und Ratko Mladic sind aber immer noch untergetaucht – sie werden von vielen Serben hier in Bosnien noch immer bewundert und sogar unterstützt. Dennoch: die jungen muslimischen Rückkehrerinnen, die mit engen Jeans und bunten T-Shirts genauso aufgemacht sind, wie ihre Altersgenossinnen in Deutschland, sagen: sie fühlen sich wohl, hier an der Schule in Srebrenica, wo ihre Lehrer zumeist Serben sind, wo fast alle Mitschüler Serben sind, und wo serbische Heilige streng von den Wänden herunterschauen. Immerhin gibt es jetzt auch Texte von muslimisch-bosnischen Schriftstellern in den Schulbüchern. Nein, Probleme mit den serbischen Schulkameraden haben sie nicht, sagen Sanita und Aida, alles super…

    Trotzdem: Immer wieder werden die Busse mit den muslimischen Familien mit Steinen beworfen, wenn sie wieder zu einer Massen-Beerdigung auf dem Gräberfeld von Srebrenica anreisen. Zumindest einige Serben scheinen nicht zu wollen, dass die Muslime hier ihrer Opfer gedenken. Auch wenn keiner das offen zugibt - es herrscht noch längst kein Frieden zwischen Serben und Muslimen. Aber immerhin ein weitgehend gewaltfreier und mehr oder wenige ruhiger Alltag. Der ist bestimmt von Armut und Aussichtslosigkeit – für die Serben, die Srebrenica nie verlassen haben, genauso wie für die muslimischen Rückkehrer. Auch Aidas eher bescheidene Pläne für die Zukunft nach dem Mittelschulabschluss zerplatzen in Srebrenicas trauriger Wirklichkeit…

    Aida: "Ich wollte eigentlich gerne Friseuse lernen. Aber meine Mama hat gesagt, hier gibt es keine Möglichkeit, Friseuse zu werden. Also bleibt noch das Gymnasium oder sonst irgendwas." Ein Gymnasium gibt es nicht in Srebrenica, und sonst irgendwas wohl auch nicht…. In den wenigen traurigen Cafés hängen die jungen Leute herum, für einen Kaffee haben sie kein Geld. Längst pendeln viele der Rückkehrer-Kinder zu Schulen und Ausbildungsplätzen über die innerbosnische Grenze, in die muslimisch-kroatische Föderation, wo viele am Ende dann doch wieder landen. So ist die Rückkehr, hierher in die serbische Teilrepublik, oft nur eine Rückkehr auf Zeit. Das wird sich erst ändern, wenn Gemeindevorsteher Malkic den jungen Leuten Perspektiven hier am Ort bieten kann. Es ist schwer, über eine Perspektive für die Jungen zu reden, wenn schon ihre Eltern keine Arbeitsmöglichkeit haben, sagt Malkic. Nur mit Mühe konnte wenigstens ein teil der Buntmetall-Minen wieder in Betrieb genommen werden, die zu Titos Zeiten viele gut ausgebildete Jugoslawen nach Srebrenica brachten, wo es Geld und gute Arbeit gab, bevor Hass und krieg alles kaputt machten. In einer Fruchtfabrik und den Minen konnten immerhin rund 300 Arbeitsplätze geschaffen werden. Ein Fortschritt, wenn auch ein winziger. Gemeindevorsteher Malkic meint, dass die internationalen Hilfsgelder in Zukunft besser in direkte Wirtschafts und Infrastrukturprojekte gesteckt werden sollten, nicht in neue Versöhnungsprogramme: Arbeit und Zukunftsperspektiven, das sind die besten Voraussetzungen für Versöhnung, so sieht das nicht nur Malkic. Das Schmuckstück von Srebrenica, die schönste neue Anlage, für die das meiste Geld und die aufwändigste Planung nötig waren – das ist ausgerechnet die Gedenkstätte, mit den Marmorplatten und dem schön eingefassten modernen Brunnen: Die Zukunft von Srebrenica ist sichtbar verknüpft mit der Vergangenheit – ausgerechnet die Grabstätte wird zum Signal für neues Leben, sagt Gemeindevorstand Malkic ein wenig bitter: "Das ist jedenfalls ein Symbol neuer Hoffnung – und eines Neubeginns…"

    Das Gepäck von einer Hand in die andere Von einem Ort zum anderen. Doch immer enger zieht sich die Schlinge Die uns mit festem Strick aneinander bindet Mich und die Heimat.

    Die Hoffnung, mit dem Friedensvertrag von Dayton und dem Ende des Bosnien-Krieges den Rückfall in Nationalismus und ethnische Gewalt gestoppt zu haben – diese Hoffnung erwies sich als Illusion. 1999 begann der Krieg im Kosovo – dort, wo Slobodan Milosevic zehn Jahre zuvor den großserbischen Nationalstolz angestachelt hatte. Wieder machten sich Flüchtlingstrecks auf den Weg – binnen weniger Wochen hatten serbische Soldaten und Milizionäre über eine Million Kosovo-Albaner vertrieben. Und als die NATO ihren Angriff auf die Serben begann, verstärkte Belgrad noch den Druck auf die albanische Bevölkerung. Bis der Krieg nach 78 Tagen zu Ende ging. Dann begannen Flucht und Vertreibung unter umgekehrtem Vorzeichen. Jetzt flohen Serben aus dem Kosovo. Und die albanischen Flüchtlinge kehrten sprichwörtlich über Nacht zurück. Kosovo wurde zum Schauplatz der größten Reimmigration des 20. Jahrhunderts.