Ja: wir müssen unsere Flüchtlingspolitik überdenken - und ändern. Und es ist auch nicht nötig, Abschiebungen behutsam-bemüht als "Rückführung" zu deklarieren. Dies ändert aber nichts an der Tatsache, dass die Alternative Abschiebung oder Integration an der Realität vorbeigeht. Es stellt sich die Frage, woher Politiker und große Teile der Bevölkerung ihre Überzeugung nehmen, dass es für fast alle, die hier stranden, kein höheres Ziel gäbe, als den Rest ihrer Tage in Deutschland verbringen zu können. Denn ein Blick in die Geschichte zeigt: Für sehr viele der Geflohenen ist der Aufenthalt im Westen ein Ausweichen auf Zeit.
Wie breit die Spannweite der realitätsnahen Zwischenlösungen tatsächlich ist, könnte ein Blick in die Literatur deutscher Emigranten lehren, die im Dritten Reich vor dem Terror der Nazis in alle Welt geflohen waren. Für die meisten von ihnen war der Rauswurf aus dem eigenen Land kein Abschied für immer, sondern der Versuch, außer Landes zu "überwintern".
"Landflüchtig auf Abruf" hat Bertolt Brecht Deutschland zunächst umkreist, gleichsam in Rufweite zu den "Brüdern" und "Freunden" – und immer die möglichst schnelle Rückkehr im Blick: Dänemark, Schweden, Finnland sind erste Stationen. Er hat "das Geschäft des Exils" wie einen politischen Auftrag übernommen. Nüchtern. Beharrlich. Taktisch versiert. Denn:"Vertriebene sind wir, Verbannte /Und kein Heim, ein Exil soll das Land sein, das uns aufnahm". Auch über der Zeit seines Exils in den USA steht wie ein kategorischer Imperativ "Aber keiner von uns/ Wird hier bleiben".
Schwieriger Prozess der Rückkehr
Schriftsteller sind keine Sonderfälle, sie vermögen es nur, die Gedanken und Gefühle zehntausender anderer begrifflich prägnanter zu erfassen. So gesehen kommt ihrer Stimme generelle Bedeutung zu. Und das ungeduldige Warten auf den Tag der Rückkehr, auf die Wiederinbesitznahme des geraubten, besetzten Landes gehört zum zentralen Repertoire der Lebensentwürfe. Ob bei Anna Seghers, die nicht nur im Roman Transit den Weg zurück bereits vor der Abreise imaginierte. Ob bei Hilde Domin, die von einer Extremerfahrung sprach: "Der Zustand des Exilierten ist der einer ständigen Identifikationskrise. Der Ausspruch vieler Exilierter: 'Hier möchte ich nicht begraben sein.'" Im Nachkriegsdeutschland wurde sie zwar später geradezu als "Dichterin der Rückkehr" verehrt und gefeiert, litt aber zugleich darunter: Denn sie wusste, es war auch eine "Gratwanderung", dieser "Wiedereinzug in das Lebenszentrum der Verfolger".
Anders der tragische Fall von Stefan Zweig, der, in Brasilien liebevoll empfangen, genau in dem Moment Suizid beging, als klar war, dass eine Rückkehr für ihn nicht mehr möglich sein würde. Denn alles was für ihn Heimat ausmachte, war unwiederbringlich zerstört.
Der extrem schwierige Prozess der Rückkehr in ein mittlerweile verändertes, fremd gewordenes Vaterland, in dem der Zurückkommende alles andere als nur willkommen ist, soll und darf nicht verklärt werden. Wer zurückkehrt braucht einen Plan. Und er braucht Unterstützung. Die kann zum Beispiel so aussehen, dass man Geflohene als Mitbürger auf Zeit ansieht und sie, solange sie nicht in ihre Heimat zurückkehren können, fit für die Rückkehr macht. Ob als Architekten für die zerbombten Städte, ob als Handwerker für den Wiederaufbau, als Pfleger und Ärzte zur Verbesserung der Gesundheitsstandards in den betroffenen Gebieten. Wichtig ist es vor allem, Strukturen des Transits zu schaffen, ausgestaltete Räume der Überbrückung, Unterrichtung, also eine vorbereitete, begleitete, strategisch unterstützte Rückkehr zu ermöglichen. Das wäre nicht nur ein menschlicherer Weg als der, der nun praktiziert wird. Sondern es wäre auch eine überzeugendere Art der kulturellen Vermittlung der vielbeschworenen Werte unserer freiheitlichen, offenen Gesellschaft.