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Rückkehr zur Atomkraft

Die Regierung Berlusconi treibt den Bau von neuen Kernkraftwerken voran. Ungeklärt ist bislang jedoch die Frage des Standorts - und auch ein Atomendlager ist nicht in Sicht.

Von Karl Hoffmann | 21.09.2010
    Wo sie stehen sollen, weiß noch niemand. Aber die Regierung von Silvio Berlusconi ist fest entschlossen, demnächst mit dem Bau von vier Atomkraftwerken zu beginnen, denen weitere vier folgen sollen. Und schon gibt es heftigen Streit zwischen Atomkraftgegner und Befürwortern, sogar vor einem sprachlosen Fernsehpublikum:

    "Wir wissen ja nicht mal, wo wir den Atommüll lagern sollen."

    "Und ich schlage dir deine Visage kaputt, wenn du noch mal behauptest, ich sei ein Handlanger der Atomindustrie. Später nach der Sendung."

    Es geht um viel Geld, 30 bis 80 Milliarden Euro. Italiens allmächtige Bauindustrie drängt auf das ehrgeizige Energieprogramm mit lukrativen Aufträgen zur Erstellung von Atommeilern, die Stromerzeuger warnen vor künftigen Energieengpässen. Bis zum Jahr 2030 sehen sie ein Defizit von mehr als 150 Milliarden Kilowattstunden voraus, das zum Teil mit Atomkraft ausgeglichen werden müsse, wolle Italien die Vorgaben der Reduzierung von Emission einhalten.

    Mit dem Bau sollte sofort begonnen werden, damit spätestens im Jahr 2019 das erste Kernkraftwerk der neuesten Generation ans Netz gehen kann. Doch die Frage ist: wo? In Montalto di Castro nördlich von Rom stand ein fast fertiger Atommeiler, der dank des Referendums von 1987 über die Abschaffung der Kernenergie nie ans Netz ging. Montaltos Bürgermeister Angelo Brizi schließt eine Wiederaufnahme der Atompläne in seiner Gemeinde aus:

    "Atomkraft hier bei uns – also das wäre ein absoluter Rückschritt. Wir haben in der Zwischenzeit alle unsere Energie in die Landwirtschaft und den Tourismus gesteckt. Jetzt leben wir von den Tausenden von Besuchern, die zu uns kommen."

    Würde das nahegelegene, inzwischen mit Erdgas betriebene Elektrizitätswerk auf Kernbrennstoff umgestellt, käme der Fremdenverkehr in Montalto schnell zum Erliegen. Kampflos werden sich die Bürger an den geplanten, aber bisher streng geheim gehaltene Standorten, dem Willen der Regierung jedenfalls nicht beugen.
    Längst kursiert ein von mehreren Künstlern und Musikgruppen produzierter Song mit dem Titel "no nucleare", nein zur Atomkraft. Und der für das Atomprogramm zuständige Staatssekretär Stefano Saglia gibt zu, dass man derzeit mit der Zeitplanung noch erheblich im Verzug ist. Zum einen ein personelles Problem:

    "Wir konnten uns noch nicht einigen auf die personelle Besetzung der für den Bau der Atomkraftwerke zuständigen Kommission."

    Sprich: Der Postenschacher ist in vollem Gange. Und zweitens wäre da noch das ungelöste Problem der Endlagerung von circa 20.000 Kubikmeter hoch radioaktiven Brennstoffresten, die während des Betriebs der geplanten Kernkraftwerke anfallen werden.
    "In Italien sind wir noch schlechter dran, als in den anderen europäischen Ländern. Wir haben nicht mal ein Endlager für den schwach radioaktiven Abfall aus den Krankenhäusern. Ein Endlager unter der Erde lässt sich im Augenblick nirgendwo in Italien verwirklichen, denn auch wenn es die endgültige Lösung darstellt, gibt es doch bisher auf der ganzen Welt noch kein einziges solches Lager."

    Das Problem sollen die Reaktoren der neuesten Generation lösen, die nach einem italienisch-französischen Abkommen zwischen den Betreibern ENEL und EDF derzeit in Frankreich entwickelt und von Italien angekauft werden sollen. Angeblich sind sie bessere Brennstoffverwerter und produzieren deshalb weniger Abfall, der jedoch umso mehr strahlt.

    Die Wiedereinführung der Atomkraft treibt allerdings nur wenige Italiener auf die Straße. Eine grüne Partei, die die Massen mobilisieren müsste, gibt es nicht im Parlament. Regierung und Opposition sind in der Nuklearfrage einer Meinung. Nur Umweltorganisationen wie Greenpeace warnen vor dem Bau neuer Kernkraftwerke. Jüngst erlebten Urlauber an den Stränden bei Venedig eine Performance mit Sonnenschirmen, die zu einem riesigen No Nuke direkt an der Wasserkante gruppiert wurden. Greenpeace-Sprecher Alessandro Gianni meint:
    "Die Regierung will das Nuklearzeitalter wieder einführen, dabei brauchen wir die Atomkraft überhaupt nicht. Wir haben in Italien genug Sonne und Wind, mit denen wir saubere Energie produzieren können. Und damit können wir weiter auf den Tourismus als wichtigen Wirtschaftszweig bauen."

    Sollten die Kernkraftwerke am Ende doch nicht gebaut werden, so hoffen die Kernkraftgegner, dann vor allem aus Kostengründen. Alternative Energie ist schon jetzt billiger als die künftigen Kilowatt aus der geplanten Kernspaltung.