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Rückschlag bei Genomprojekt

Paläoanthropologie. – Die Bemühungen um das Genom des Neandertalers haben einen Rückschlag erlitten. Paläogenetiker berichten in der aktuellen Ausgabe der "Public Library of Science", das sich die beiden bisher umfangreichsten Genomstudien mit Neandertalererbgut widersprächen, obwohl sie auf Material desselben Fossils beruhten. Der Wissenschaftsjournalist Michael Stang erläutert den Bericht im Gespräch mit Gerd Pasch.

    Pasch: Herr Stang, was genau schreiben denn die amerikanischen Genetiker?

    Stang: Kernproblem sind im Prinzip zwei Veröffentlichungen aus dem vergangenen Jahr. Einmal im Fachblatt "Nature" einmal im Fachblatt "Science". Dort wurden jeweils eine Neandertaler-Probe aus einer Höhle in Kroatien in Vindija, die ist 38.000 Jahre alt, untersucht und publiziert. Und es wurde halt gesagt, so und so nah ist der eine Neandertaler mit uns verwandt. Und die Studie, die heute erschien, dort haben die Forscher einfach diese beiden Studien miteinander verglichen, die Daten einander gegenübergestellt, und gesehen, die sind nicht deckungsgleich.

    Obwohl die Proben von dem gleichen Individuum stammen, sind es unterschiedliche Menschen praktisch, die da analysiert wurden. Das heißt, das einfache Ergebnis: Eine dieser Daten muss falsch sein. Sie haben sich genauer angesehen: Und so wie es aussieht, ist diese "Nature"-Studie - da wurde vergangenes Jahr mit großem Aufwand auch eine Pressekonferenz gemacht, wir haben zum ersten Mal eine Million Basenpaare, nukleäre Basenpaare, also Zell-DNA vom Neandertaler gewonnen - und so wie es aussieht, war die Probe einfach, oder das Ergebnis einfach verschmutzt, das heißt mit moderner DNA eines Mitarbeiters wahrscheinlich kontaminiert.

    Pasch: Wie wird denn dieses Ergebnis heute mit dem neuen Wissen eingeordnet?

    Stang: Also, Fakt ist: diese eine Million Basenpaare, wo alle dachten, das ist ein Meilenstein in der Geschichte des Neandertaler-Genomprojektes, weil die verschmutzt sind, fallen die einfach aus dem Neandertaler-Genomprojekt heraus, und die müssen jetzt weiter suchen. Mittlerweile gibt es sehr viele Daten, aber die sagen auch, die Interpretation vergangenes Jahr, dass sich der Neandertaler oder die Vorfahren des Neandertalers mit den Vorfahren der heute lebenden Menschen, dass die sich erst vor rund 500.000 Jahren getrennt haben, dass es eine Aufspaltung gab, die muss weiter zurückdatiert, das ist wahrscheinlich ungefähr bei 800.000 Jahren eingerechnet. Und die Forscher aus Leipzig, die daran beteiligt waren, die rechtfertigen sich jetzt einfach damit und sagen, aber es war nun mal die erste Studie, die wir hatten, wir wussten nicht, wie der Neandertaler aussieht, wir wussten nur, das Genom vom modernen Menschen ist bekannt und vom Schimpansen und der lag irgendwo dazwischen. Und so sah es ja scheinbar auch aus.

    Pasch: Anscheinend können sich ja die Forscher nicht immer ganz sicher sein, ob die untersuchte Sequenz tatsächlich von einem Neandertaler stammt oder nicht. Wie wollen denn die Paläogenetiker zukünftig solche Fehler vermeiden?

    Stang: Die erste Maßnahme ist natürlich, es müssen irgendwelche Sicherheitsvorkehrungen getroffen werden, dass die Proben nicht verschmutzt sind, beziehungsweise nicht mit modernem Erbgut in Berührung kommen. Denn bei den Methoden, wo das Erbgut millionenfach vervielfältigt wird, oder die winzige Fragmente, die noch erhalten sind, sooft vervielfältigt werden, dass sobald etwas Modernes dabei ist, die ganze Probe verunreinigt ist. In Leipzig wollen sie jetzt zukünftig - oder das machen sie auch schon - ihre eigenen Proben, die in anderen Labors dann weiterverarbeitet werden, mit bestimmten Markern markieren. Dann kann man einfach sagen, wenn diese Markierung im Ergebnis nicht erscheint, muss die Probe irgendwo verschmutzt sein. Aber das ist auch nichts unbedingt Neues, andere Labors arbeiten damit auch. Das ganz große Problem ist einfach, dass alle Labors, die in der Paläogenetik arbeiten, die haben Probleme mit solchen Verschmutzungen. Und man kann das nur mit anderen und mehr Proben, vielleicht noch von anderen Neandertalern wirklich abgleichen, um zu sehen, da lag ein Fehler drin, da hatten wir vielleicht eine Verschmutzung. Und sie sagten es eben in der Einführung, Ende kommenden Jahres soll die erste Version des Neandertaler-Genoms da sein, und dann können wir erst sehen, ob es noch weitere Verschmutzungen gab oder nicht.