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"Rücktritt von Klaus Wowereit ist nicht mehr ausgeschlossen"

Die Eröffnung des Hauptstadtflughafens wird erneut verschoben. Dass dies schon Mitte Dezember 2012 bekannt gewesen, aber nicht öffentlich kommuniziert wurde, hält Martin Delius für "eine Frechheit". Der Piratenpolitiker leitet den Flughafen-Untersuchungsausschuss im Berliner Abgeordnetenhaus.

Martin Delius im Gespräch mit Mario Dobovisek | 07.01.2013
    Mario Dobovisek: Wer in Berlin-Schönefeld mit dem Flugzeug landet, rollt vorbei an einem futuristisch anmutenden Flughafen-Terminal. Alles scheint, fix und fertig zu sein, die Fluggast-Brücken warten auf Passagiere. Doch statt großer Flugzeuge sieht man zu ihren Füßen bloß Unkraut sprießen. Ursprünglich sollte der Flughafen 2011 in Betrieb gehen. Bereits auf 2012 verschoben, machte die Brandschutzanlage des Flughafens den Bauherren einen Strich durch ihre Rechnung.

    Aus Juni 2012 wurde Oktober 2013. Doch auch dieser Termin wird wohl nicht zu halten sein, ebenso wie Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit. So sehen es jedenfalls die Grünen.
    Besagten Martin Delius von der Piratenpartei im Berliner Abgeordnetenhaus begrüße ich nun am Telefon. Ich grüße Sie, Herr Delius!

    Martin Delius: Guten Tag!

    Dobovisek: Überrascht Sie die erneute Verzögerung?

    Delius: Ja. Vor allen Dingen die Tatsache, dass es ja schon Mitte Dezember bekannt gewesen ist, dass es eine Verzögerung gibt, beziehungsweise dass der Termin nicht zu halten sein wird.

    Dobovisek: Ist das bewusst verschwiegen worden Ihrer Meinung nach?

    Delius: Den Medienberichten zufolge ist es bewusst verschwiegen worden, und ich kann mir das auch sehr gut vorstellen. Das würde sich in die Informationspolitik der vergangenen Monate nahtlos einreihen, ist aber, wie ich schon gesagt habe, nichts anderes als eine Frechheit, und ich kann tatsächlich auch nicht verstehen, warum die politischen Entscheidungsträger so eine Informationspolitik fahren, das ganze verschweigen.

    Ich kann nicht nachvollziehen, was in dem Kopf von Klaus Wowereit vorgeht, wenn er sich offensichtlich denkt, dass er es später sagen kann, oder dass es nicht rauskommt, dass es eine solche Problemlage gab.

    Dobovisek: Fehlt es da inzwischen an Sensibilität für diese ja doch inzwischen hoch emotional diskutierte Lage?

    Delius: Sensibilität habe ich im Krisenmanagement von Klaus Wowereit sowieso noch nicht gesehen. Es ist eher so, dass es an Verantwortung mangelt. Ich sehe nicht, wie ein Regierender Bürgermeister, ein Ministerpräsident oder auch ein Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium ihrer Verantwortung auf diese Art und Weise gerecht werden können.

    Es ist im Gegenteil notwendig, dass alle Informationen zeitnah und auch belegbar in die Öffentlichkeit gegeben werden, denn an einen neuen Termin und an noch einen neuen Termin glaubt sowieso keiner mehr.

    Dobovisek: Müssen Wowereit und Platzeck die Verantwortung jetzt übernehmen und zurücktreten?

    Delius: Wir werden ein Misstrauensvotum stellen. Wir werden das zumindest auf der nächsten Fraktionssitzung der Piraten im Abgeordnetenhaus so wie die Grünen auch diskutieren. Wir erwarten Antworten. Und um es mit den Worten der Berliner SPD zu sagen: Ein Rücktritt von Klaus Wowereit ist nicht mehr ausgeschlossen. Ich sehe nicht, dass er noch das Vertrauen der Mehrheit der Bevölkerung hat. Meines hat er auf keinen Fall.

    Dobovisek: Was muss geschehen, um das Vertrauen auch in das Großprojekt Flughafen Berlin-Brandenburg wiederherzustellen?

    Delius: Dafür gibt es keine allgemein gültige Lösung. Das müssen wir alle gemeinsam tun. Und der erste Schritt, den man tun muss, ist, tatsächlich einfach Zugang zu allen Ad-hoc-Informationen, auch dem operativen Geschäft zu gewähren. Das müssen Personen sein, die in der Öffentlichkeit ein gewisses Vertrauen genießen.

    Die Akten müssen einsehbar sein, und es muss auch Zahlen darüber geben, wer an der Baustelle arbeitet, was da genau gerade passiert. Ansonsten kann man die Spekulationen und Gerüchte und auch die Aussagen von politischen Entscheidungsträgern einfach nicht mehr glauben.

    Dobovisek: Sprechen wir doch mal über die Akten, die Sie schon angesprochen haben. Sie untersuchen ja die Verantwortlichkeiten in diesem Flughafen-Debakel, das reicht ja weit zurück. Liegen Ihnen genügend Akten vor, um das tatsächlich beurteilen zu können?

    Delius: An der Menge kann ich jetzt nicht klagen. Es gibt ja eine ganze Menge Akten. Wir gucken und bestellen natürlich immer wieder nach, wo uns was fehlt. Wir sind ja gerade noch in der Frühphase des Untersuchungsausschusses. Aber für den Untersuchungsausschuss selbst, für die Aufklärung, sehe ich da an der Aktenlage kein Problem.

    Das Problem besteht in der Information der Öffentlichkeit und die Information darüber, was denn noch alles neu dazu kommt, welche Gerüchte denn von dem einen oder anderen politischen Akteur jetzt mal wieder in der Presse gestreut werden. Das sind Informationen, die alle angehen, nicht nur den Untersuchungsausschuss, und die müssen zeitnah veröffentlicht werden, sonst kann man einfach niemandem mehr glauben.

    Dobovisek: Warum, meinen Sie, fährt die Regierung in Berlin und auch in Brandenburg diese Informationspolitik?

    Delius: Ich kann mir keinen sinnvollen Grund vorstellen.

    Dobovisek: Wie würden Sie mit dieser Situation umgehen, wenn Sie in Regierungsverantwortung wären?

    Delius: Das ist natürlich immer schwer zu sagen. Ich bin ja Oppositionspolitiker. Aber ich kann mir eigentlich kein anderes Verhalten bei mir vorstellen, als dass ich sofort eine Pressekonferenz einberufen hätte, auch wenn es kurz vor Weihnachten ist, und nicht in den Urlaub gefahren wäre.

    Dobovisek: Dann machen wir das doch mal ein bisschen genereller. Wir sprechen ja jetzt über eine erneute Verschiebung der Flughafeneröffnung. Es ist ja schon eine Geschichte, die sich sehr, sehr lange hinzieht. Wo liegen Ihrer Meinung nach die Gründe in dieser Verzögerung?

    Delius: Zu allererst kann man attestieren, dass schlechtes Management ein Grund ist. Wenn ein ehemaliger Technikchef sich selbst kontrollieren soll und dabei auch noch freie Hand bekommt von einem Manager, der einfach Briefe nicht annimmt, weil sie nicht direkt an ihn gerichtet waren, wie wir das in der Vergangenheit hatten, dann kann das nicht funktionieren.

    Die Mehrkosten sind wahrscheinlich auf Planungsleistungen beziehungsweise Annahmen für Planungen und Kapazitätsberechnungen zurückzuführen, die aus der Luft gegriffen waren, auch politische Entscheidungen, die nicht durch Sachfragen hinterlegt waren, vermuten wir als Grund dafür, und dann müssen wir uns ganz genau angucken, warum das viele Geld, das man in das sehr umfangreiche Prüfverfahren für Bauleistungen am Flughafen gesteckt hat, offensichtlich nicht gereicht hat beziehungsweise nicht gegriffen hat, wenn jetzt im Jahr 2013 immer noch Probleme mit der Genehmigung von einzelnen Gewerken und größeren einzelnen Gewerken bestehen.

    Das sind alles Teilstränge, die da mit reinspielen. Dass dann auch noch eine persönliche Verantwortung der politischen Akteure hinzukommt, das ist unbestritten. Wir müssen versuchen, als Untersuchungsausschuss das alles aufzudröseln, und hoffen, dann einen guten Abschlussbericht zu schreiben.

    Dobovisek: Es gibt ja immer wieder Probleme mit steigenden Kosten, generell bei Großprojekten. Wir können da nach Stuttgart schauen, zu Stuttgart 21, wir sehen den Berliner Großstadt-Flughafen. Warum schaffen es die Planer nicht, zumindest ansatzweise einmal Kosten vorauszusehen? Steckt dahinter ein System?

    Delius: Ich glaube nicht, dass man zu allererst bei den Planern nach dem Problem suchen muss. Wenn wir – und das haben wir aus den bisherigen Akten schon erfahren – aus dem Jahre 1995 und 96 lesen, dass in der Berliner Senatskanzlei ganz lapidar und unwidersprochen davon ausgegangen wird, dass so ein Projekt eh zwei- bis viermal teurer wird als angenommen, dann muss man die Verantwortlichkeit für diese Probleme in der Politik suchen und bei den politischen Abgeordneten.

    Dobovisek: Ein System des Abnickens also?

    Delius: Ja und vor allen Dingen politischer Opportunismus. Man muss auch darüber nachdenken, dass man beständige Gremien in den Parlamenten schafft, die ein Informationsrecht erhalten, und zwar ein regelmäßiges Informationsrecht, damit Projekte über so lange Zeit nicht aus dem Ruder laufen können.

    Dobovisek: Der Berliner Piratenpolitiker Martin Delius, Leiter des Flughafen-Untersuchungsausschusses im Berliner Abgeordnetenhaus. Ich danke Ihnen für das Gespräch.

    Delius: Vielen Dank.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.