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"Herr Wowereit muss die Suppe selbst auslöffeln"

Der Aufsichtsrat des neuen Berliner Flughafens BER müsse sich seiner Verantwortung bewusst sein und diese übernehmen, sagt Martin Delius. Der Berliner Abgeordnete der Piratenpartei erwarte, dass der Bau zu Ende geführt werde. Wenn dieses nicht möglich sei, müsste der Aufsichtsrat Konsequenzen ziehen.

Martin Delius im Gespräch mit Mario Dobovisek | 17.08.2012
    Mario Dobovisek: Restlos aufklären will die Opposition im Berliner Abgeordnetenhaus das Hin und Her beim Flughafenbau, seiner Finanzierung und den geplatzten Zeitplänen, und zwar in einem Untersuchungsausschuss. Leiten soll ihn, so er denn eingesetzt wird, ein Abgeordneter der Piratenpartei, Martin Delius nämlich. Ihn begrüße ich am Telefon. Guten Morgen, Herr Delius!

    Martin Delius: Einen schönen guten Morgen!

    Dobovisek: Neun Stunden haben die Flughafenretter des Aufsichtsrats gestern getagt, ausgerechnet im schicken Neubau der Flughafenfeuerwehr. Geld für den Flughafen gibt es, einen Eröffnungstermin jedoch nicht. Hätten Sie den erwartet?

    Delius: Ich hätte ihn erwarten können und müssen im Sinne derjenigen, die darunter leiden, dass sie jetzt wirtschaftlich in der Luft hängen und natürlich auch der Anwohnerinnen und Anwohner, die jetzt nun gar nicht wissen, wann denn die Flugzeuge über ihre Köpfe donnern.

    Dobovisek: Aber?

    Delius: Ja, ich bin an der Stelle machtlos, ich gehöre nicht zu den politischen Entscheidungsträgern, die in die Zukunft arbeiten können und daran etwas ändern können, ob der Flughafen denn gebaut oder zu Ende gebaut wird, wann er denn starten soll und wie er finanziert werden soll.

    Dobovisek: Statt ursprünglich zwei Milliarden Euro könnte der Flughafen nun weit mehr als das Doppelte kosten, für den Bau Vertragsstrafen, den erweiterten Lärmschutz et cetera. Gestern hieß es, ein Mix aus Eigenkapital, Überbrückungskrediten und Gesellschaftsdarlehen werde das Finanzloch füllen. Ist die Finanzierung damit aus Ihrer Sicht gerettet?

    Delius: Ganz sicher nicht. Diese Aussage, die Sie da gerade zitieren, ist ja kein vorgelegtes Konzept. Es bleibt weiter die Tatsache, dass wir völlig im Dunkeln tappen. Wenn es jetzt heißt, dass es noch mal eine halbe Milliarde Euro mehr kostet, also sowieso schon in der Presse zu lesen war, zeigt das auch nur wieder, dass überhaupt niemand weiß, wie viel es denn genau wird und woher es kommen soll. Warum jetzt es möglich sein soll, Eigenkapital der Flughafengesellschaft freizuschaufeln, wo doch vorher offenbar wurde, dass Kredite notwendig wären oder notwendig werden sollten, obwohl es nicht geht – all diese Fragen sind völlig offen und nicht belegt. Deswegen kann ich jetzt gar nicht sagen, was das Ergebnis der Aufsichtsratssitzung denn eigentlich sein soll.

    Dobovisek: Wer trägt denn die Schuld am Flughafendebakel?

    Delius: Auf jeden Fall – und das steht auch so in der Geschäftsordnung des Aufsichtsrates – der Aufsichtsrat, denn dafür hat man ihn ja eingesetzt, also sowohl das Management als auch die politischen Entscheider müssen sich da ihrer Verantwortung bewusst sein und sich nicht gegenseitig die Schuld in die Schuhe schieben. Die trifft alle gemeinsam.

    Dobovisek: Und im Aufsichtsrat sind vertreten natürlich auch der Bund und die Länder, Platzeck und Wowereit. An denen scheint der Schwarze Peter ja geschickt vorbeigereicht zu werden. Müssten die beiden mehr Verantwortung übernehmen, gar zurücktreten?

    Delius: Sie müssen auf jeden Fall die Verantwortung übernehmen, jetzt den Bau zu Ende zu führen. Wenn sie sich dazu nicht in der Lage sehen, dann müssen sie die Entscheidung, zurückzutreten oder andere Konsequenzen zu treffen, selbst treffen, die kann ich ihnen nicht abnehmen.

    Dobovisek: Aber würden Sie es ihnen nahelegen?

    Delius: Ja, das würde dem üblichen politischen Spiel entsprechen, ich halte mich da aber bewusst zurück, weil wie gesagt, es ist nicht meine Verantwortung, jemandem einen Rücktritt nahezulegen. Ich muss am Ende nur aufarbeiten, warum etwas funktioniert oder nicht funktioniert hat. Herr Wowereit muss die Suppe, wie es so schön heißt, selbst auslöffeln.

    Dobovisek: Sie wollen das also aufarbeiten in einem Untersuchungsausschuss, der vom Berliner Abgeordnetenhaus noch eingesetzt werden soll. Erwarten Sie da Widerstand?

    Delius: Widerstand ist qua Verfassung gar nicht möglich, nicht inhaltlich – wegen dieses Minderheitenrechts des Parlaments, die Oppositionsfraktionen sind sich einig. Was ich allerdings erwarte, ist eine Hinhaltetaktik der Koalition im Berliner Abgeordnetenhaus, die hat sich ja auch schon angekündigt. Wir hoffen, dass die Blockadehaltung bis zur nächsten, ersten Plenarsitzung aufgegeben wir und wir dann auch gemeinsam diesen Untersuchungsausschuss einsetzen können. Das steht allerdings noch in den Sternen.

    Dobovisek: Nicht, dass der Flughafen tatsächlich noch vorher fertig wird sozusagen. Warum wäre denn ein Pirat der Richtige, um einen solchen Untersuchungsausschuss zu leiten?

    Delius: Ja, zunächst ist es so, dass die Einarbeitung in diese extrem komplexe Materie für alle Parlamentarier schwierig ist und für jeden, ob er jetzt Pirat ist, neu oder lange dabei, eine Riesenaufgabe. Als Piraten können wir da noch einen Mehrwert schaffen, indem wir tatsächlich die Öffentlichkeit und auch dieses Internet benutzen, um Experten einzubinden.

    Dobovisek: Öffentlichkeit benutzen, Internet benutzen – wie weit soll denn die Transparenz gehen?

    Delius: So weit es die gesetzlichen Bestimmungen zulassen, und zwar genau so weit. Das heißt, es wird im Einzelfall zu prüfen sein, welche Informationen herausgegeben werden können. Da geht es nicht um Prinzipien, da geht es darum, dass man so viel wie möglich öffentlich macht und auch die Dinge, die öffentlich sind, so aufarbeitet, dass die Menschen, wenn sie denn finden im Internet, sie auch benutzen können.

    Dobovisek: Das klingt ja doch schon etwas vorsichtiger und zurückhaltender als das, was ich im Ohr habe – da hieß es noch, alles soll veröffentlicht werden.

    Delius: Ja, alles, was möglich ist. Also von allem hat niemand geredet, denn wie Sie vielleicht wissen, als Untersuchungsausschussmitglied macht man sich auch schnell des Geheimnisverrates strafbar, und das will man natürlich keinem Parlamentarier aufbürden. Nichtsdestotrotz: Wir werden die Öffentlichkeit mit einbinden, und das wird schon wesentlich mehr sein, als wir mit den begrenzten Möglichkeiten als Oppositionsfraktion alleine reißen könnten, und wird ja Ihnen auch als Journalist wahrscheinlich einigen Mehrwert bringen.

    Dobovisek: Wenn wir das vielleicht mal als Blaupause nehmen wollen für andere Untersuchungsausschüsse und uns zum Beispiel auch den Untersuchungsausschuss der NSU anschauen, da geht es ja auch um Geheimdienstmaterialien – wie weit sollte bei solchen Ausschüssen die Transparenz gehen?

    Delius: Sie sollte so weit gehen, dass der Schutz von Persönlichkeitsrechten gewahrt bleibt, und sie sollte so weit wie möglich die Informationslage – wenn auch vielleicht nicht in Originalinformationen, aber zumindest vollständig aggregiert – verfügbar machen, das heißt, kommentierbar machen vor allen Dingen und bewertbar machen für die Öffentlichkeit. Das sind technische Lösungen, die sind auch jetzt schon im NSU-Ausschuss prinzipiell möglich. Wie gesagt, man muss bei jeder Akte einzeln entscheiden, was man veröffentlichen kann.

    Dobovisek: Werden diese Möglichkeiten ausreichend genutzt?

    Delius: Derzeit kann ich das nicht sehen. Also ich stelle nicht fest, dass es eine solche Plattform für den Bundestags-NSU-Untersuchungsausschuss gibt, wie wir sie planen. Allerdings gibt es sie, muss man ehrlicherweise sagen, jetzt bei den Piraten noch nicht, wir planen, sie vor dem Einsetzen des Untersuchungsausschusses dann online zu bringen.

    Dobovisek: Als Noch-Fraktionsgeschäftsführer Ihrer Fraktion hatten Sie in einem Interview gesagt, der Aufstieg der Piratenpartei verlaufe so rasant wie der der NSDAP zwischen 1928 und 1933. Vor fast zwei Monaten dann haben Sie Ihr Amt niedergelegt. Hat Ihr Fehler, wie Sie es bezeichnet haben, inzwischen die Piraten in der Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus weitergebracht?

    Delius: Die Zeit, in der dieser bescheuerte Vergleich passiert ist, hat die Piraten weitergebracht, weil sie sehr, sehr sensibilisiert wurden für all diesen braunen Kleckse, die sich bei uns eingenistet haben und jetzt so ziemlich kein Pirat, den ich kenne, mehr behaupten würde, es gäbe kein Problem und sich nicht darum kümmern würde, diese Probleme zu lösen. Mein Vergleich ist ein unrühmliches Kapitel in dieser ganzen Entwicklung und hat sicherlich dazu geführt, dass die Piraten sich bewusster darüber werden, dass sie sich angucken müssen, wer da mit ihnen an einem Tisch sitzt.

    Dobovisek: Wie groß ist denn das Problem der Piraten mit, ja, ich sage mal, ihrem rechten Spektrum, vielleicht auch für die anstehende Bundestagswahl?

    Delius: Ich denke, bei dem gegenwärtigen Stand, also in der gegenwärtigen Diskussion und der Offenheit, mit der wir damit umgehen, gar nicht so groß, denn wirklich jeder Pirat ist hundertprozentig sensibilisiert dafür, herauszufinden, ob der Gegenüber, der potenzielle Kandidat, der potenzielle Vorstandsvorsitzende, denn ein verkappter Nazi oder nicht. Und Sie haben es ja gemerkt in den letzten Entwicklungen: Die Aufschreie sind extrem groß, wenn so was offenbar wird. Nazis haben in unserer Partei nichts zu suchen und haben am Ende auch keine Stimme, das hat sich gezeigt.

    Dobovisek: Der Berliner Abgeordnete der Piratenpartei Martin Delius, der künftig den Untersuchungsausschuss in Sachen Großstadtflughafen leiten soll. Ich danke Ihnen für das Gespräch!

    Delius: Danke sehr!


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