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Rückwärtsgang in Kopenhagen

Nach dem EU-Gipfel schien der Weg frei zu sein für eine Fiskalunion fast aller EU-Staaten. Doch die Front der Europaktländer scheint wieder zu bröckeln: Die dänische Ministerpräsidentin jedenfalls ist am Dienstag deutlich zurückgerudert.

Von Marc-Christoph Wagner | 14.12.2011
    Ein historischer Gipfel - zumindest daran ließ die dänische Ministerpräsidentin Helle Thorning-Schmidt nach der gestrigen Kabinettssitzung keinen Zweifel:

    "Es ist wichtig, eines ganz deutlich zu betonen: Die Vereinbarung, die wir in Brüssel getroffen haben, definiert einen neuen Standard für die Haushaltspolitik in Europa und die Disziplin um den Euro. Und egal, ob Dänemark diesem Europakt beitritt oder nicht, so wird dieser künftig auch die Rahmenbedingungen für die dänische Finanzpolitik definieren."

    Ob Dänemark allerdings dem Europakt beitreten wird, wie von Bundeskanzlerin Angela Merkel am Freitag angekündigt, ist eine mehr als offene Frage. Die dänische Ministerpräsidentin jedenfalls distanzierte sich gestern eindeutig von einer solchen Darstellung:

    "Jetzt müssen wir es den Juristen überlassen, die politische Vereinbarung, die wir in der Nacht von Donnerstag auf Freitag getroffen haben, in ein juristisches Dokument umzuformen. Danach werden wir gründlich diskutieren, was es an politischen und ökonomischen Konsequenzen, an Vor- und Nachteilen für Dänemark mit sich bringt, wenn wir uns dem Pakt in Gänze oder in Teilen anschließen."

    Und Helle Thorning-Schmidt ging sogar noch einen Schritt weiter:

    "Wir müssen den endgültigen Text abwarten und dann schauen, was ist in Dänemarks Interesse. Das ist die einzige Frage, die mich in diesem Zusammenhang interessiert: Was ist in Dänemarks Interesse?

    Auch im Europaausschuss des dänischen Parlaments musste die Regierungschefin gestern Rede und Antwort stehen. Doch auch den Abgeordneten versicherte Thorning-Schmidt, dass noch lange nichts entschieden sei, dass man den weiteren Verlauf nun abwarte und sich alle Optionen offen halte:

    "Wir folgen Merkel und Sarkozy nicht blindlings. Die 17 Eurostaaten haben sich auf eine stärkere Disziplin geeinigt und haben die neun Nicht-Euro-Staaten eingeladen, dabei zu sein, ja die 17 haben sogar gesagt, dass sie keineswegs erwarten, dass die Nicht-Euro-Staaten sämtliche Beschlüsse umsetzen. Ich habe lediglich signalisiert, dass wir am weiteren Prozess teilnehmen möchten, um am Ende zusammen mit dem Parlament zu entscheiden, was ist in unserem Interesse. Nur dazu haben wir uns verpflichtet."
    Viele Abgeordnete zeigten sich während und nach der Ausschusssitzung enttäuscht darüber, dass die Ministerpräsidentin wenig Konkretes über das weitere Vorgehen der Regierung sagen wollte. Auch die Frage, ob ein Beitritt Dänemarks zum Europakt eine Volksabstimmung voraussetze, blieb vorerst offen. Geradezu verärgert war die Vorsitzende der Dänischen Volkspartei, Pia Kjærsgaard, die Helle Thorning-Schmidt bezichtigte, sie sage den Dänen nicht die volle Wahrheit und wolle das Volk hinters Licht führen:

    "Sie redet mit gespaltener Zunge und hat hinter verschlossenen Türen wahrscheinlich bereits versprochen, dass sich Dänemark am Europakt beteiligt. Ich denke, Angela Merkel hat auf dem Gipfel den klaren Eindruck bekommen, dass Dänemark dabei ist. Erst jetzt hat die Ministerpräsidentin herausgefunden, dass das so nicht geht – ohne Zustimmung des Parlaments und der Dänen. Ich meine, sie redet mit gespaltener Zunge."

    Unterdessen signalisierten die oppositionellen Rechtsliberalen und Konservativen ihre Zustimmung für einen Beitritt Dänemarks zum Europakt. Auch sie aber kritisierten, dass die Regierung intern zerstritten sei und der sozialistische Außenminister Villy Søvndal kurz nach Ende des Brüsseler Gipfels verkündet hatte, für Dänemark seien Teile des Europaktes unannehmbar. Kurz vor Übernahme der EU-Ratspräsidentschaft am 01. Januar 2012, so der ehemalige Ministerpräsident Lars Løkke Rasmussen, sei dies schlechtes politisches Handwerk und führe zu unnötiger Verunsicherung der europäischen Partner:

    "Wir haben eine Regierung ohne ein gemeinsames politisches Projekt. Und dennoch sage ich, wir müssen beim Europakt dabei sein. Wir sind eine kleine offene Volkswirtschaft, der größte Teil unserer Exporte geht in die EU, unsere Krone ist fest an den Euro gebunden. Mit anderen Worten: Wir Dänen haben ein starkes Interesse an finanzpolitischer Stabilität in Europa."