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Rückzug oder Reue?

Der Vorsitzende der Kommission des UN-Menschenrechtsrats, Richard Goldstone, hatte den Gazakrieg untersucht und Israel wegen seiner Angriffe auf die Zivilbevölkerung der Kriegsverbrechen beschuldigt. Nun realtivierte er seine Aussage.

Von Clemesn Verenkotte |
    Erleichert, teilweise sogar euphorisch reagierten Israels Politik und Medien auf die überraschende Veröffentlichung desjenigen Mannes, der bis dato im Lande als Inkarnation des böswilligen Israel-Hetzers diskreditiert worden war. Allein die ersten Zeilen seines Meinungsartikels in der "Washington Post" vom 01. April reichten aus, um den Aufsatz Richard Goldstones als "Korrektur" des nach ihm benannten UN-Berichts über den "Gaza-Konflikt", wie der Titel offiziell heißt, zu charakterisieren. Hätte er gewusst, was er heute wisse, wäre der Goldstone-Bericht ein anderes Dokument geworden, wie der Richter schrieb. Vor allem diejenigen israelischen Politiker, die zum Zeitpunkt der Militäroperation "gegossenes Blei" die politische Verantwortung trugen, wie Verteidigungsminister Ehud Barak und Ex-Außenministerin Tzipi Livni, machten aus ihrer Genugtuung keinen Hehl. Oppositionschefin Livni richtete sogar auch den Blick nach vorne und interpretierte Goldstones Anmerkungen als eine Art blanko Scheck für künftige Militäraktionen gegen die im Gaza-Streifen herrschende Hamas:

    "Diese Operation war wichtig, gerechtfertigt und moralisch. Mit Goldstone oder ohne ihn. Dieser Bericht wurde in Sünde geboren, er hatte keinen Platz und er hat ihn auch jetzt nicht. Ein Artikel, um das Gewissen zu erleichtern, ist nicht genug. Er sollte jetzt helfen, jeder zukünftigen Aktion ihre Legitimität zurückzugeben und wir werden leider solche Aktionen Israels gegen den Terror noch durchführen müssen."

    Richard Goldstone, der als jüdischer südafrikanischer Jurist gegen die Ratschläge seiner Freunde den Auftrag des UN-Menschenrechtsrates im Frühjahr 2009 zur Untersuchung des Gaza-Krieges angenommen hatte, legte gemeinsam mit seinen beiden Ko-Autoren Mitte September den Bericht vor. Goldstone hatte zuvor darauf bestanden, dass sein Mandat sich bei der Überprüfung von möglichen Verstößen gegen internationales Menschenrecht nicht allein auf Israel bezog, sondern auch auf die Hamas. Bei der Vorstellung seines Ermittlungsberichts rückte der südafrikanische Richter die Raketenangriffe der Hamas auf Israel, die Kriegsverbrechen darstellen würden, ebenso in den Vordergrund wie das Vorgehen der israelischen Streitkräfte gegen die Zivilbevölkerung im Gaza-Streifen:

    "Diese Angriffe kamen Vergeltungsmaßnahmen und kollektive Bestrafung gleich, und stellen Kriegsverbrechen dar. Die Regierung Israels hatte offensichtlich die Pflicht, ihre eigenen Bürger zu schützen. Das rechtfertigt in keiner Weise die Politik der kollektiven Bestrafung eines Volkes unter tatsächlicher Besatzung, die Mittel für ein würdiges Leben zu zerstören und die Schäden verursacht von der Art von militärischer Intervention, die die israelische Regierung "Operation gegossenes Blei" nennt."

    Israels Regierung unter dem seit April 2009 amtierenden Ministerpräsidenten Netanjahu entschied sich – und dies wurde inzwischen von manchen Zeitungskommentatoren bedauert – gegen jegliche Zusammenarbeit mit Richard Goldstone. Unmittelbar nach der Veröffentlichung des Goldstone-Berichts richtete Netanjahu vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen, die später den Report mit großer Mehrheit annehmen sollte, massive Kritik an dem Richter und seinem Werk:

    "Was für eine Perversion von Wahrheit. Was für eine Perversion von Gerechtigkeit! Dieselbe UN, die Israel Beifall gespendet hat, als wir Gaza verlassen haben, dieselbe UN, die versprochen hat, unser Recht auf Selbstverteidigung zu unterstützen, klagt uns jetzt an, mein Volk, mein Land, Kriegsverbrecher zu sein."

    Dass der Überbringer der schlechten Nachrichten im Mittelpunkt der Kritik stehen würde, und nicht die Nachrichten selbst, damit habe er gerechnet, räumte Goldstone später gegenüber amerikanischen Medien ein. Hingegen sei er nicht vorbereitet gewesen, auf die anhaltenden persönlichen Diffamierungen und Unterstellungen von offizieller israelischer Seite sowie von zahlreichen konservativen jüdischen Organisationen, wie Goldstones Freund, Alon Liel, in dieser Woche der Tageszeitung "Yedioth Achronoth" anvertraute. Das habe Goldstone, so der ehemalige Generaldirektor im israelischen Außenministerium, tief getroffen. Wenige Tage vor der Veröffentlichung seines Meinungsartikels in der Washington Post, verteidigte Goldstone am 18. März bei der Annahme einer Menschenrechts-Auszeichung in Berkeley, Kalifornien, seinen Bericht mit den Worten:

    "In dem Bericht werden Sie lesen, dass wir festgestellt haben, dass das Abfeuern von improvisierten Raketen und Granaten auf zivile Gebiete im Süden Israels ein schweres Kriegsverbrechen darstellt und wahrscheinlich ein Verbrechen gegen die Menschheit. Und es ist aus diesem Grund, dass Sie in dem Bericht lesen, dass egal wie ungeheuerlich und gefährlich und wie tödlich diese Tausende von Raketen waren, dies in keiner Weise eine disproportionale Antwort durch die israelischen Streitkräfte rechtfertigte gegen die Kinder, Frauen und Männer, unschuldige Zivilisten im Gaza-Streifen."

    Ende dieser Woche, in der auf zahlreichen Fernseh- und Radiokanälen über Richard Goldstone und dessen mögliche Motive gesprochen wurde, meldete sich mit Gideon Levy einer der wenigen israelischen Journalisten zu Wort, die sich von Anfang gegen die Vorgehensweise der israelischen Streitkräfte im Gaza-Krieg ausgesprochen hatten:

    "Was mich beunruhigt, ist, wie wir dastehen, nicht wie Goldstone dasteht. Und für uns bleiben immer noch viele Fragen offen - 300 getötete Zivilisten, laut den Daten des Armeesprechers, nicht laut den Daten der Menschenrechtsorganisationen. Und nur ein Soldat, der vor Gericht steht. Ist das keine Zahl, die jeden Israeli beunruhigen sollte? Was geht mich Goldstone an?"