DLF: : Herr Professor Rürup, wirtschaftliche und soziale Stabilität – das sind über mehrere Jahrzehnte hinweg die Markenzeichen deutscher Wirtschafts- und Sozialpolitik gewesen, wobei das in den 50-er Jahren geschaffene Alterssicherungs-system ganz entscheidenden Anteil an der sozialen Stabilität in unserem Lande hatte. Dass es nun reformbedürftig ist, weil es inzwischen tiefgreifende Veränderungen im Bevölkerungsaufbau, auch auf dem Arbeitsmarkt, gegeben hat, ist unbestritten unter Politikern wie unter Wissenschaftlern. Dennoch entsteht in der Öffentlichkeit unter den Bürgern der Eindruck, als wisse niemand so recht, wie ein neues Rentensystem aussehen könne, das nun auch wieder über Jahrzehnte hinweg Verlässlichkeit und Sicherheit zu bieten in der Lage ist. Fehlt es an schlüssigen Konzepten, fehlt es am politischen Willen? Was, Herr Professor Rürup, stört Sie am meisten an der gegenwärtigen Reformdiskussion?
Rürup: Ach, so sehr viel stört mich eigentlich nicht, und ich glaube in der Tat, dass es auch Konzepte gibt, und in der Sache sind sich ja die an dem Rentengipfelgesprächen beteiligten Parteien ziemlich einig. Man ist sich einig dahin gehend, dass in einer alternden Gesellschaft ein mischfinanziertes System das richtige System ist - das heißt, mischfinanziert aus einer Mischung aus Umlageverfahren und Kapital-deckungsverfahren. Schauen Sie: Das Umlageverfahren vertraut auf die Stabilität und Ergiebigkeit der nationalen Erwerbseinkommen. Es hat allerdings die Nachteile, dass es abhängig ist von Beschäftigungsschwankungen und - in einer alternden Gesellschaft notwendigerweise - ungerecht zu Lasten der Jungen; sie werden systematisch schlechter behandelt. Es hat die großen Vorteile: Es ist sehr elastisch, es kann zu jedem Zeitpunkt eingeführt werden und man kann gewisse interpersonelle Umverteilungen machen. Das Kapitaldeckungsverfahren ist das Verfahren, auf dem die private Versicherungswirtschaft aufbaut. Es basiert auf der Stabilität und Ergiebigkeit der nationalen und internationalen Kapitalmärkte und Kapitaleinkommen, und der große Unterschied ist, dass man dieses Verfahren internationalisieren kann, das heißt, über die Anlage der Beiträge im Ausland kann man auch ausländische Wertschöpfung zur Finanzierung der heimischen Renten heranziehen uns sich damit – zumindest in Grenzen – abkoppeln von der nationalen Beschäftigungsentwicklung und auch von der nationalen demographischen Entwicklung. Und insofern ist in der tat ein mischfinanziertes System in einer alternden Gesellschaft das Richtige. Da herrscht Einigkeit drüber. Wo noch nicht Einigkeit drüber herrscht – und darüber geht ja auch der Zwist -, ist: Wenn eine Gesellschaft altert wie die unsere, ist das zwingend mit steigenden Kosten der Alterssicherung verbunden. Diese Kosten kann man nicht wegreformieren. Rentenpolitik in einer alternden Gesellschaft ist immer Verteilungspolitik, die zu entscheiden hat: Wer soll diese Kosten der Alterung tragen. Wenn ich den Status Quo fortschreibe, gehen die Kosten der Alterung über steigende Finanzierungslasten auf die Jungen. Wenn ich dagegen – wie es beispielsweise die F.D.P. will – den Beitragssatz einfriere, gehen die Kosten der Alterung über sinkende Renten zu den Alten. Und der große Streit, den wir gegenwärtig noch haben, ist letztlich ein Verteilungsstreit: Wer soll wie viel zahlen; wie viel Beitragssteigerungen sind den Jungen zumutbar, und in welchem Maße sollen die Zugangs- und Bestandsrentnerbelastet werden. Und ein letzter Punkt – und dann höre ich auch schon auf -: Es ist unvermeidlich, wenn das Kapitaldeckungsverfahren aufgebaut wird, dass ich eine Zusatzbelastung habe. Und hier geht der Streit darum: Wer soll die Zusatzlastung tragen und wie stark soll sie gefördert werden. Das heißt, die Schnittstelle der Gemeinsamkeiten ist sehr viel größer als die der Unterschiede.
DLF: : Sie haben jetzt schon einige Wege aufgezeichnet, Herr Professor Rürup, aber mit einer Rentenreform, die nun allen Wünschen gerecht werden soll, ist es ja in etwa wie mit der Quadratur des Kreises. Die Beitragssätze sollen nicht steigen, möglichst sollen sie sogar noch sinken. Die Renten sollen möglichst weit oben bleiben. Andererseits – das sagten Sie ja auch schon –: Die Menschen leben länger, beziehen also auch länger Rente, und es gibt immer mehr Ältere als Junge, die die Rente finanzieren müssen. Gibt es hier überhaupt einen Mittelweg, der allen Wünschen gerecht wird?
Rürup: Nein, einen Königsweg gibt es nicht. Es muss notwendiger weise bei einer Rentenreform Verlierer geben. Und diese Verlierer kann man wahltaktisch und wahlstrategisch instrumentalisieren. Das haben wir 98 erlebt, das haben wir 99 erlebt. Und deswegen ist es wichtig – auch für den Zusammenhang einer Gesellschaft –, dass eine Rentenreform, wenn sie nachhaltig sein soll, in einer großen Koalition meines Erachtens verabschiedet und getragen werden muss, damit man eben diese notwendigen Verlierer eben nicht wahlpolitisch instrumentalisieren kann. Und wer fordert, dass die gegenwärtigen Beitragszahler zukünftig nicht mehr zahlen sollen für ihre Alterssicherung als die gegenwärtigen Rentner – diese Debatte ist unredlich. Da muss man nämlich auch sagen, um wie viel die Renten gekürzt werden sollen. Es kann wirklich nur darum gehen, in einem großen Kompromiss diese Kosten irgendwie halbwegs gerecht auf Alt und Jung – und dann auch noch ökonomisch – sinnvoll zu verteilen. Einen Königsweg gibt es nicht. Es gibt immer Verlierer, wenn es eine Rentenreform geben soll, die das System langfristig sichern soll.
DLF: : Nun liegt ja ein Vorschlag des Bundesarbeitsministers vor, der eine Ergänzung der beitragsfinanzierten Rente durch eine private Zusatzvorsorge vorsieht. Diese Zusatzvorsorge ist als freiwillig deklariert, aber sie läuft letztlich doch auf eine Pflicht hinaus; ansonsten wird die Rente auf ein deutlich niedrigeres Niveau herabgesenkt, das bis an den Rand der Sozialhilfe gehen kann. Brauchen wir die Pflicht, oder reicht die Freiwilligkeit aus?
Rürup: Da sprechen Sie eine ganz heikle Frage an. Sie sprechen genau an die eigentlich entscheidende Frage dieser Rentenreform, die interessanter weise in dieser offenen Form noch gar nicht gestellt worden ist. Und diese entscheidende Frage lautet: Was ist das Ziel der Reform? Wenn das Ziel der Reform darin besteht, nur das Umlageverfahren billiger und finanzierbarer zu machen, dann erfordert dies offene Leistungsrücknahmen. Aber dann kann man beim Ausbau der ergänzenden kapitalgedeckten Vorsorge, sei es auf privater oder betrieblicher Ebene, es beim Prinzip der Freiwilligkeit belassen. Man muss aber dann gewillt sein, wachsende Versorgungslücken in Kauf zu nehmen. Wenn aber das Ziel dieser Rentenreform darin besteht, sowohl das Umlageverfahren billiger und finanzierbarer zu machen, aber gleichwohl eine - wie auch immer - staatlich organisierte mischfinanzierte lebensstandardsichernde Gesamtversorgung zu gewährleisten, dann kommt man über obligatorische Lösungen nicht herum. Ich finde es etwas unredlich, was in den gegenwärtigen Papieren geschieht, dass man die Sozialrenten durch einen Ausgleichsfaktor mehr oder weniger deutlich kürzt und diesen Ausgleich mit möglichen freiwilligen privat erworbenen Kapitalrenten kompensiert und dann wiederum ein Gesamtversorgungsniveau ausweist. Nein, das ist nicht richtig. Wenn man das Gesamtversorgungsniveau, ein mischfinanziertes, haben will, dann – denke ich – sollte die Politik den Mut aufbringen, zu obligatorischen Lösungen zu kommen. Aber ich bin guter Hoffnung, dass – wenn es zu dieser Rentenreform kommt – dass man dann nach 1 – 2 Jahren der probeweisen Freiwilligkeit wohl sehen wird, dass damit eben eine flächendeckende kapitalgedeckte Zusatzversorgung nicht zu erreichen ist, und dass man wohl dann doch zu Obligatorien zurückkommt, wie es im Juni letzten Jahres ja schon mal angedacht war.
DLF: : Es ist ja unbestritten, dass, wer künftig eine Alterssicherung auf heutigem Niveau haben will, mehr Geld ausgeben muss als er das in der Vergangenheit tun musste. Nach dem Konzept des Arbeitsministers wird natürlich ein Versorgungsbedarf durch einen Leistungsabbau in der gesetzlichen Rente erst erzeugt. Ist das ein Mangel?
Rürup: Schauen Sie: Wir könnten dieses System ja auch, das wir gegenwärtig haben, fortschreiben. Wir könnten ein Status-Quo-Szenario machen. Und das würde dann dazu führen, dass der gegenwärtige Beitragssatz von 19,3 - unter akzeptierten ökonomischen Bedingungen - im Jahre 2030 auf die Größenordnung von etwa 25 Prozent ansteigen würde, und das umlagefinanzierte Rentenniveau etwa bei 68,5 Prozent läge. Was jetzt angedacht ist, ist das Umlageniveau zu senken, den Anstieg der Beitragssätze bei 22 Prozent zu deckeln, aber dann doch zu einem quasi Obligatorium einer privaten Vorsorge zu kommen, was dann – so kann man natürlich argumentieren – die Gesamtbelastung der Altersvorsorge gleich hoch, ja sogar möglicherweise höher ist, als wenn ich das Umlageverfahren weiter fortschreiben würde. Das ist ja auch das Argument der Gewerkschaften. Das ist nicht ganz richtig, nämlich man muss sehen, dass die Versorgungsleistungen dieses mischfinanzierten Systems ja deutlich höher sind als die Fortschreibung des Status Quo. Das heißt: Selbst, wenn die Kosten der Mischfinanzierung aus Umlage und Kapitaldeckung genau so hoch sind wie die Fortschreibung des gegenwärtigen Umlageverfahrens, bekommen die Jungen aber gleichwohl ein höheres Absicherungsniveau, als wenn ich das Umlagesystem weiter fortschreiben würde. Insofern muss man das schon sehen, das heißt: Je jünger man ist, desto besser kann das Absicherungsniveau sein. Allerdings recht haben Sie: Die Kosten werden insgesamt nicht billiger. In einer alternden Gesellschaft steigen die Kosten der Alterssicherung; die kann man nicht wegreformieren, man kann sie nur versuchen, effizienter einzusetzen.
DLF: : Sie haben eben schon den Ausgleichsfaktor erwähnt. Das ist ja ein ebenso schwieriges wie interessantes Instrument. Über diesen Ausgleichsfaktor soll ja eine fiktive private Zusatzvorsorge auf die Rente angerechnet werden. Und dabei unterstellt der Arbeitsminister einen Beitrag von 4 Prozent und eine Verzinsung von 5,5 Prozent und folgert daraus, dass der Einzelne ein höheres Rentenniveau haben werde als bisher. Sind diese Annahmen eigentlich realistisch, oder sind die willkürlich gegriffen?
Rürup: Die Idee des Ausgleichsfaktors – das Ziel – ist meines Erachtens richtig. Und das Ziel besteht darin, dass man sagt: Wenn jemand in Rente ist, hat er keine Möglichkeit mehr, sich auf Veränderungen seiner Alterssicherung anzupassen. Wenn jemand jünger ist, hat er durchaus Möglichkeiten, sich auf erkennbare absehbare Leistungsrücknahmen einzustellen. Das ist die Philosophie. Und jetzt muss man natürlich fragen: Wie ist dieser Faktor konstruiert? Und Sie haben es richtig beschrieben: In der ursprünglichen Konzeption wurde eine fiktive möglicherweise erworbene Kapitalrente errechnet, die dann zur Hälfte von der Umlagerente abgezogen wurde. Und diese fiktive Kapitalrente, um die dann die Umlagerente gekürzt wird, wurde kalkuliert zu einem Zinssatz von 5,5 Prozent. Und der ist meines Erachtens deutlich zu hoch. Wenn man überhaupt diesen – meines Erachtens – sehr problematischen Weg gehen will, diesen Ausgleichsfaktor über den Kapitalmarkt zu definieren, dann müsste man einen deutlich niedrigeren Zins nehmen, beispielsweise den Garantiezins, den private Lebensversicherungen geben, der gegenwärtig bei 4 Prozent ist und der noch reduziert worden ist. Also, die 5,5 Prozent sind zu hoch. Und diese 5,5 Prozent führen dann auch in der Tat dazu, dass das Rentenniveau bis zum Jahre 2030 auf 54 Prozent sinkt. Wenn ich nur mit 4 Prozent rechnen würde, dann würde ich im Jahre 2040 nur bei 60 Prozent landen und im Jahre 2030 in der Größenordnung von 64 Prozent. Das ist die eine Sache. Die andere Sache ist, dass man ab nächstem Jahr verpflichtet werden soll oder angehalten werden soll, insgesamt 4 Prozent – schrittweise in 0,5 Prozent-Schritten, aufgebaut zur privaten Vorsorge – zurückzulegen, die dann diesen Ausgleich kompensieren können. Und das heißt: Je jünger man ist, desto stärker verschiebt sich das Mischungsverhältnis zwischen Umlagerente und Kapitalrente. Das heißt, die Umlagerente wird sukzessive reduziert und die Kapitalrente wird sukzessive aufgebaut.
DLF: : Es hängt – wie Sie schon sagen – von der Entwicklung an den Finanzmärkten ab, wie hoch letztlich die Rente ausfällt. Insofern wäre es ja schon angeraten, ein bestimmtes Versorgungsniveau und Ansprüche in Höhe der eingezahlten Beträge zu garantieren . . .
Rürup: . . . richtig . . .
DLF: : . . . wo könnte ein solches Niveau liegen, 54 oder 64 Prozent sind ja die Zahlen, die im Gespräch sind?
Rürup: Wir reden jetzt über die Umlagerente?
DLF: : Ja.
Rürup: Das ist eine willkürliche Frage, die kann man wissenschaftlich nicht beantworten. Meiner subjektiven Einschätzung nach sollte man keineswegs, aber auch gar keineswegs mit dem umlagefinanzierten Rentenniveau auch langfristig unter 60 Prozent gehen, und zwar aus folgendem Grund: Diese Umlagerente wird aus Zwangsbeiträgen finanziert, und ein aus Zwangsbeiträgen finanziertes System würde mit Sicherheit seine Legitimation verlieren, wenn die Renten, die ein langjährig Versicherter aus einem solchen System bekommt, dann nicht deutlich höher wäre als seine Sozialhilfeansprüche. Und deswegen glaube ich, sind hier der Niveausenkung gewisse Grenzen gesetzt. Und auch noch etwas kommt hinzu, was immer wieder übersehen wird: Unsere Sozialversicherung heißt ja Sozialversicherung, da sie vier geometrische Risiken absichert: Einmal das normale Risiko der Langlebigkeit, aber auch das Invaliditätsrisiko, das Rehabilitationsrisiko und die Hinverbliebenen-Versorgung. Und durch die Kapitaldeckung kann ich zweifellos das Risiko der Langlebigkeit absichern, das heißt, dass ich ein lebenslanges Alterseinkommen habe. Aber die anderen drei Risiken, die ja auch Elemente des sozialen Ausgleichs enthalten – Invaliditätenrente, Rehabilitation, Hinterbliebenen –, die bleiben in der umlagefinanzierten Rente. Und wenn ich die deutlich reduziere, dann komme ich natürlich bei der sachgemäßen Absicherung dieser drei verbleibenden Risiken in Schwierigkeiten. Deswegen wäre der Minister – oder wäre die Regierung – sehr gut beraten, eine Untergrenze des umlagefinanzierten Niveaus zu garantieren, die meines Erachtens nicht unter 60 Prozent liegen sollte.
DLF: : Auf jeden Fall müsste eine beitragsfinanzierte Alterssicherung doch ein Leistungsniveau garantieren, was etwas höher ist als die Sozialhilfe.
Rürup: Es müsste deutlich höher sein als die Sozialhilfe, sonst legitimiert sich eben eine aus Zwangsbeiträgen finanzierte Rente nicht. Allerdings: Wo das Sozialhilfeniveau in 30 Jahren ist, das weiß heute auch niemand.
DLF: : Nun gibt es das Problem: Können die Geringverdiener überhaupt Zusatz-Beiträge, die ja dann notwendig wären, aus ihrem Einkommen aufbringen? Das sind ja gerade die Arbeitnehmer mit geringem Einkommen, die auf die Zusatzversorgung angewiesen sind. Sollten die Beiträge steuerbegünstigt sein? Reichen die Zuschüsse, die Riester vorsieht, aus? Sollten sie gar sämtlich steuerfrei sein?
Rürup: Fangen wir mit der Steuerfreiheit an. Die Steuerfreiheit ist für einen Geringverdiener relativ uninteressant. Jemand, der keine Steuern zahlt, profitiert natürlich auch nicht von einer Steuerfreiheit von Beiträgen. Das heißt, das Problem der Geringverdiener muss man durch direkte staatliche Zuschüsse lösen, das heißt: Wenn jemand arm ist nicht sparfähig ist, aber er dann dennoch ein kapitalgedecktes System aufbauen muss, muss das durch direkte staatliche Zuschüsse gehen. Das heißt, das ist unverzichtbar. Für Normalverdiener, die Steuern zahlen, da ist in der Tat eine steuerliche Freistellung die richtige Lösung. Und ich glaube, da ist man schon auf dem richtigen Weg. Und hinsichtlich des Fördervolumens, was jetzt auf dem Tisch liegt, besteht ja eigentlich kein Unterschied mehr zwischen CDU und SPD. Ich glaube, das ist weitgehend akzeptiert. Aber eines muss man dazu sagen: In einem versicherungsmäßig organisierten System, sei es umlagefinanziert oder sei es kapitaldeckungsfinanziert, kann aus Einkommensarmut in der Erwerbsphase nie Einkommensreichtum im Alter werden. Das heißt: Wenn jemand wenig verdient, kriegt er in beiden Systemen immer eine niedrigere Rente. Das heißt also: Durch das Rentensystem kann ich irgendwie geartete Ungerechtigkeiten des Erwerbslebens nie kompensieren. Kein System – wenn es versicherungsmäßig organisiert ist, wenn ich nicht zu einer Grundrente, zu einer Grundsicherung übergehe – kann dieses Problem lösen. Das heißt, die relativen Einkommenspositionen bleiben unverändert.
DLF: : Sollte auch eine Familienkomponente eingebaut werden?
Rürup: Darüber kann man in der Tat diskutieren, nämlich die Sparfähigkeit eines Haushaltes hängt in der Tat nicht nur vom Einkommen ab, sondern eben auch von der Kinderzahl. Und es kommt auch noch folgendes hinzu: Wenn jemand Kinder hat, leistet er ja ohnehin einen Beitrag für den Zukunftserhalt unseres Rentensystems. Und das sollte man in der Tat dann auch honorieren. Wenn schon Humankapital gebildet wird für die zukünftige Finanzierung der Renten, wäre es schon sinnvoll, hier eine gewisse Förderung einzuführen.
DLF: : Nun gibt es ja auch durchaus Alternativen zu dem Konzept des Bundes-Arbeitsministers. Man könnte sich vorstellen, statt der privaten Vorsorge das Betriebsrentensystem weiter auszubauen. Wie stehen Sie dazu?
Rürup: Also, ich würde in einem Ausbau des Betriebsrentensystems eigentlich die bessere Lösung sehen, nämlich Betriebsrenten haben eine Reihe von Vorzügen vor der privaten Vorsorge. Sie haben erstens das gleiche Leistungsspektrum wie Sozialrenten. Zweitens liegen während der gesamten Versicherungszeit alle Kapitalmarktrisiken immer bei den Firmen oder bei den Pensionskassen. Ich habe eine höher Effizienz wahrscheinlich, da ich keinerlei Akquisitionskosten habe. Ich habe geringere gesetzliche und administrative Verwaltungskosten, da ich etablierte Durchführungswege habe. Und schließlich und endlich habe ich die optische Möglichkeit, diese Betriebsrenten paritätisch zu finanzieren. Das heißt, unter rentenpolitischen Gesichtspunkten wäre ein Ausbau der Betriebsrenten der Privatvorsorge meines Erachtens überlegen. Allerdings - auch hier wiederum - müsste das obligatorisch sein, denn schauen Sie: Unser gegenwärtiges Betriebsrentensystem basiert auf dem Prinzip der doppelten Freiwilligkeit, sowohl des ‚ob‘, als auch des ‚wies‘. Und Betriebsrenten, die freiwillig sind, können immer nur Instrumente der unternehmerischen Personal- und Finanzpolitik sein, nichts anderes – und damit einer sozialpolitischen Absicherung eigentlich mehr als Nebenzweck erfolgen. Und diese Skepsis gegen unser auf dem Prinzip der Freiwilligkeit basierenden Betriebsrenten kommt ganz deutlich in der Verteilungswirkung dieses Systems zustande, nämlich dieses System verursacht – entschuldigen Sie das Wort – ‚Nobelrentner‘. Und zwar diejenigen, die schon eine hohe Sozialrente bekommen, bekommen dann auch eine Betriebsrente, nämlich der durchschnittliche Betriebsrentenempfänger ist männlichen Geschlechtes, war langjährig und dauerhaft bei einem Großbetrieb der Industrie beschäftigt. Auch hier eine Zahl: 50 Prozent der Rentner bekommen gegenwärtig eine Betriebsrente von durchschnittlich 660 Mark, aber nur 13 Prozent der Rentnerinnen bekommen eine Betriebsrente von durchschnittlich 330 Mark. Das heißt, ich habe hier keinerlei flächendeckende Ergänzungen. Und wenn man auf die neiderweckenden hohen Absicherungsraten über Betriebsrenten schaut – über 90 Prozent in der Schweiz und den Niederlanden –, so muss man wissen, dass diese flächendeckenden Betriebsrentensysteme auf Obligatorien basieren – in den Niederlanden auf tariflichen Obligatorien, in der Schweiz auf gesetzlichen Obligatorien. Mich vor die Wahl gestellt: Betriebsrenten oder Privatvorsorge obligatorisch zu machen, würde ich immer sagen: Obligatorische Betriebsrenten. Sie sind leistungsfähiger; die Vorteile habe ich genannt. Aber dieses scheitert zur Zeit am dezidierten Widerstand der Arbeitgeber. Sie wollen beim Prinzip der Freiwilligkeit bleiben – habe ich Verständnis für –, und dann bleibt eigentlich kein anderer Ausweg, als auf die private Vorsorge zu gehen.
DLF: : Ein anderer Ausweg wäre natürlich die Verlängerung der Lebensarbeitszeit oder der Verzicht auf vorgezogenen Altersruhestand.
Rürup: Ja, das ist in der Tat ein anderes Spielfeld, auch da werden wir nicht drum herumkommen. Sie wissen: Deutschland ist gemessen am Altenquotient – das ist das Verhältnis der über 65-jährigen zu den 20- bis 64-jährigen – die am schnellsten alternde Gesellschaft dieser Welt. Gegenwärtig kommen auf 100 Erwerbstätige 25 über 65-jährige; nach konventionellen Schätzungen werden diese im Jahre 2030 über 55 sein. Das ist relevant und gravierend, sollte aber nicht zu der oft in diesem Zusammenhang zu hörenden Katastrophenrhetorik führen, nämlich zwischen der Demographie und dem Rentensystem ist immer noch die Ökonomie zwischengeschaltet. Durch eine Veränderung der Ökonomie und insbesondere der Beschäftigungsmöglichkeiten und Beschäftigungschancen kann man sehr viel dieser Probleme lösen. Schauen Sie: Wenn wir mal die älteren Arbeitnehmer nehmen, so arbeiten von 100 = 55- bis 64-jährige, das ist die Gruppe der älteren Arbeitnehmer, in der Schweiz 71, in Norwegen 67, in Japan 64, in Schweden 63, in den USA 58, in Deutschland keine 39. Sehr viele unserer Rentenprobleme würden deutlich reduziert, wenn es gelänge, diese Erwerbstätigkeit der Älteren zu erhöhen. Sie haben recht: In Deutschland gibt es einen Konsens - einen impliziten Konsens - zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften, dass es unschicklich ist, länger als 60 zu arbeiten. Und die Rente ab 60 ist vor diesem Hintergrund genau so verkorkst wie das Lieblingsprojekt der Arbeitgeber: Die Verbesserung der Altersteilzeit. Dieses erhöht den in der demographischen Entwicklung angelegten Umverteilungsdruck. Und ich wage die Prognose: Wir werden unsere lohnzentrierten sozialen Sicherungssysteme nicht über das Jahr 2020 in den gegenwärtigen Leistungsfinanzierungsstrukturen halten, wenn es nicht gelingt, diese Erwerbstätigkeit der Älteren deutlich zu erhöhen. Und auch das macht natürlich unglaublich viel Schaden. Wenn ich das gesetzliche Renteneintrittsalter, was gegenwärtig bei 65 ist, um ein Jahr hochsetzen würde, würde mir das eine Beitragssatzersparnis von 0,6 Prozentpunkten bringen. Wenn es mir aber gelänge, das tatsächliche Renteneintrittsalter, was gegenwärtig bei 59 und etwas liegt, für alle um ein Jahr zu erhöhen, hätte ich eine Beitragssatzersparnis von mehr als 1,5 Prozentpunkten. Und in der Tat: Dort liegt fast der entscheidende Schlüssel zur Lösung unserer Probleme. Aber dieses bedarf eines ganzen Bündels an Maßnahmen.
Rürup: Ach, so sehr viel stört mich eigentlich nicht, und ich glaube in der Tat, dass es auch Konzepte gibt, und in der Sache sind sich ja die an dem Rentengipfelgesprächen beteiligten Parteien ziemlich einig. Man ist sich einig dahin gehend, dass in einer alternden Gesellschaft ein mischfinanziertes System das richtige System ist - das heißt, mischfinanziert aus einer Mischung aus Umlageverfahren und Kapital-deckungsverfahren. Schauen Sie: Das Umlageverfahren vertraut auf die Stabilität und Ergiebigkeit der nationalen Erwerbseinkommen. Es hat allerdings die Nachteile, dass es abhängig ist von Beschäftigungsschwankungen und - in einer alternden Gesellschaft notwendigerweise - ungerecht zu Lasten der Jungen; sie werden systematisch schlechter behandelt. Es hat die großen Vorteile: Es ist sehr elastisch, es kann zu jedem Zeitpunkt eingeführt werden und man kann gewisse interpersonelle Umverteilungen machen. Das Kapitaldeckungsverfahren ist das Verfahren, auf dem die private Versicherungswirtschaft aufbaut. Es basiert auf der Stabilität und Ergiebigkeit der nationalen und internationalen Kapitalmärkte und Kapitaleinkommen, und der große Unterschied ist, dass man dieses Verfahren internationalisieren kann, das heißt, über die Anlage der Beiträge im Ausland kann man auch ausländische Wertschöpfung zur Finanzierung der heimischen Renten heranziehen uns sich damit – zumindest in Grenzen – abkoppeln von der nationalen Beschäftigungsentwicklung und auch von der nationalen demographischen Entwicklung. Und insofern ist in der tat ein mischfinanziertes System in einer alternden Gesellschaft das Richtige. Da herrscht Einigkeit drüber. Wo noch nicht Einigkeit drüber herrscht – und darüber geht ja auch der Zwist -, ist: Wenn eine Gesellschaft altert wie die unsere, ist das zwingend mit steigenden Kosten der Alterssicherung verbunden. Diese Kosten kann man nicht wegreformieren. Rentenpolitik in einer alternden Gesellschaft ist immer Verteilungspolitik, die zu entscheiden hat: Wer soll diese Kosten der Alterung tragen. Wenn ich den Status Quo fortschreibe, gehen die Kosten der Alterung über steigende Finanzierungslasten auf die Jungen. Wenn ich dagegen – wie es beispielsweise die F.D.P. will – den Beitragssatz einfriere, gehen die Kosten der Alterung über sinkende Renten zu den Alten. Und der große Streit, den wir gegenwärtig noch haben, ist letztlich ein Verteilungsstreit: Wer soll wie viel zahlen; wie viel Beitragssteigerungen sind den Jungen zumutbar, und in welchem Maße sollen die Zugangs- und Bestandsrentnerbelastet werden. Und ein letzter Punkt – und dann höre ich auch schon auf -: Es ist unvermeidlich, wenn das Kapitaldeckungsverfahren aufgebaut wird, dass ich eine Zusatzbelastung habe. Und hier geht der Streit darum: Wer soll die Zusatzlastung tragen und wie stark soll sie gefördert werden. Das heißt, die Schnittstelle der Gemeinsamkeiten ist sehr viel größer als die der Unterschiede.
DLF: : Sie haben jetzt schon einige Wege aufgezeichnet, Herr Professor Rürup, aber mit einer Rentenreform, die nun allen Wünschen gerecht werden soll, ist es ja in etwa wie mit der Quadratur des Kreises. Die Beitragssätze sollen nicht steigen, möglichst sollen sie sogar noch sinken. Die Renten sollen möglichst weit oben bleiben. Andererseits – das sagten Sie ja auch schon –: Die Menschen leben länger, beziehen also auch länger Rente, und es gibt immer mehr Ältere als Junge, die die Rente finanzieren müssen. Gibt es hier überhaupt einen Mittelweg, der allen Wünschen gerecht wird?
Rürup: Nein, einen Königsweg gibt es nicht. Es muss notwendiger weise bei einer Rentenreform Verlierer geben. Und diese Verlierer kann man wahltaktisch und wahlstrategisch instrumentalisieren. Das haben wir 98 erlebt, das haben wir 99 erlebt. Und deswegen ist es wichtig – auch für den Zusammenhang einer Gesellschaft –, dass eine Rentenreform, wenn sie nachhaltig sein soll, in einer großen Koalition meines Erachtens verabschiedet und getragen werden muss, damit man eben diese notwendigen Verlierer eben nicht wahlpolitisch instrumentalisieren kann. Und wer fordert, dass die gegenwärtigen Beitragszahler zukünftig nicht mehr zahlen sollen für ihre Alterssicherung als die gegenwärtigen Rentner – diese Debatte ist unredlich. Da muss man nämlich auch sagen, um wie viel die Renten gekürzt werden sollen. Es kann wirklich nur darum gehen, in einem großen Kompromiss diese Kosten irgendwie halbwegs gerecht auf Alt und Jung – und dann auch noch ökonomisch – sinnvoll zu verteilen. Einen Königsweg gibt es nicht. Es gibt immer Verlierer, wenn es eine Rentenreform geben soll, die das System langfristig sichern soll.
DLF: : Nun liegt ja ein Vorschlag des Bundesarbeitsministers vor, der eine Ergänzung der beitragsfinanzierten Rente durch eine private Zusatzvorsorge vorsieht. Diese Zusatzvorsorge ist als freiwillig deklariert, aber sie läuft letztlich doch auf eine Pflicht hinaus; ansonsten wird die Rente auf ein deutlich niedrigeres Niveau herabgesenkt, das bis an den Rand der Sozialhilfe gehen kann. Brauchen wir die Pflicht, oder reicht die Freiwilligkeit aus?
Rürup: Da sprechen Sie eine ganz heikle Frage an. Sie sprechen genau an die eigentlich entscheidende Frage dieser Rentenreform, die interessanter weise in dieser offenen Form noch gar nicht gestellt worden ist. Und diese entscheidende Frage lautet: Was ist das Ziel der Reform? Wenn das Ziel der Reform darin besteht, nur das Umlageverfahren billiger und finanzierbarer zu machen, dann erfordert dies offene Leistungsrücknahmen. Aber dann kann man beim Ausbau der ergänzenden kapitalgedeckten Vorsorge, sei es auf privater oder betrieblicher Ebene, es beim Prinzip der Freiwilligkeit belassen. Man muss aber dann gewillt sein, wachsende Versorgungslücken in Kauf zu nehmen. Wenn aber das Ziel dieser Rentenreform darin besteht, sowohl das Umlageverfahren billiger und finanzierbarer zu machen, aber gleichwohl eine - wie auch immer - staatlich organisierte mischfinanzierte lebensstandardsichernde Gesamtversorgung zu gewährleisten, dann kommt man über obligatorische Lösungen nicht herum. Ich finde es etwas unredlich, was in den gegenwärtigen Papieren geschieht, dass man die Sozialrenten durch einen Ausgleichsfaktor mehr oder weniger deutlich kürzt und diesen Ausgleich mit möglichen freiwilligen privat erworbenen Kapitalrenten kompensiert und dann wiederum ein Gesamtversorgungsniveau ausweist. Nein, das ist nicht richtig. Wenn man das Gesamtversorgungsniveau, ein mischfinanziertes, haben will, dann – denke ich – sollte die Politik den Mut aufbringen, zu obligatorischen Lösungen zu kommen. Aber ich bin guter Hoffnung, dass – wenn es zu dieser Rentenreform kommt – dass man dann nach 1 – 2 Jahren der probeweisen Freiwilligkeit wohl sehen wird, dass damit eben eine flächendeckende kapitalgedeckte Zusatzversorgung nicht zu erreichen ist, und dass man wohl dann doch zu Obligatorien zurückkommt, wie es im Juni letzten Jahres ja schon mal angedacht war.
DLF: : Es ist ja unbestritten, dass, wer künftig eine Alterssicherung auf heutigem Niveau haben will, mehr Geld ausgeben muss als er das in der Vergangenheit tun musste. Nach dem Konzept des Arbeitsministers wird natürlich ein Versorgungsbedarf durch einen Leistungsabbau in der gesetzlichen Rente erst erzeugt. Ist das ein Mangel?
Rürup: Schauen Sie: Wir könnten dieses System ja auch, das wir gegenwärtig haben, fortschreiben. Wir könnten ein Status-Quo-Szenario machen. Und das würde dann dazu führen, dass der gegenwärtige Beitragssatz von 19,3 - unter akzeptierten ökonomischen Bedingungen - im Jahre 2030 auf die Größenordnung von etwa 25 Prozent ansteigen würde, und das umlagefinanzierte Rentenniveau etwa bei 68,5 Prozent läge. Was jetzt angedacht ist, ist das Umlageniveau zu senken, den Anstieg der Beitragssätze bei 22 Prozent zu deckeln, aber dann doch zu einem quasi Obligatorium einer privaten Vorsorge zu kommen, was dann – so kann man natürlich argumentieren – die Gesamtbelastung der Altersvorsorge gleich hoch, ja sogar möglicherweise höher ist, als wenn ich das Umlageverfahren weiter fortschreiben würde. Das ist ja auch das Argument der Gewerkschaften. Das ist nicht ganz richtig, nämlich man muss sehen, dass die Versorgungsleistungen dieses mischfinanzierten Systems ja deutlich höher sind als die Fortschreibung des Status Quo. Das heißt: Selbst, wenn die Kosten der Mischfinanzierung aus Umlage und Kapitaldeckung genau so hoch sind wie die Fortschreibung des gegenwärtigen Umlageverfahrens, bekommen die Jungen aber gleichwohl ein höheres Absicherungsniveau, als wenn ich das Umlagesystem weiter fortschreiben würde. Insofern muss man das schon sehen, das heißt: Je jünger man ist, desto besser kann das Absicherungsniveau sein. Allerdings recht haben Sie: Die Kosten werden insgesamt nicht billiger. In einer alternden Gesellschaft steigen die Kosten der Alterssicherung; die kann man nicht wegreformieren, man kann sie nur versuchen, effizienter einzusetzen.
DLF: : Sie haben eben schon den Ausgleichsfaktor erwähnt. Das ist ja ein ebenso schwieriges wie interessantes Instrument. Über diesen Ausgleichsfaktor soll ja eine fiktive private Zusatzvorsorge auf die Rente angerechnet werden. Und dabei unterstellt der Arbeitsminister einen Beitrag von 4 Prozent und eine Verzinsung von 5,5 Prozent und folgert daraus, dass der Einzelne ein höheres Rentenniveau haben werde als bisher. Sind diese Annahmen eigentlich realistisch, oder sind die willkürlich gegriffen?
Rürup: Die Idee des Ausgleichsfaktors – das Ziel – ist meines Erachtens richtig. Und das Ziel besteht darin, dass man sagt: Wenn jemand in Rente ist, hat er keine Möglichkeit mehr, sich auf Veränderungen seiner Alterssicherung anzupassen. Wenn jemand jünger ist, hat er durchaus Möglichkeiten, sich auf erkennbare absehbare Leistungsrücknahmen einzustellen. Das ist die Philosophie. Und jetzt muss man natürlich fragen: Wie ist dieser Faktor konstruiert? Und Sie haben es richtig beschrieben: In der ursprünglichen Konzeption wurde eine fiktive möglicherweise erworbene Kapitalrente errechnet, die dann zur Hälfte von der Umlagerente abgezogen wurde. Und diese fiktive Kapitalrente, um die dann die Umlagerente gekürzt wird, wurde kalkuliert zu einem Zinssatz von 5,5 Prozent. Und der ist meines Erachtens deutlich zu hoch. Wenn man überhaupt diesen – meines Erachtens – sehr problematischen Weg gehen will, diesen Ausgleichsfaktor über den Kapitalmarkt zu definieren, dann müsste man einen deutlich niedrigeren Zins nehmen, beispielsweise den Garantiezins, den private Lebensversicherungen geben, der gegenwärtig bei 4 Prozent ist und der noch reduziert worden ist. Also, die 5,5 Prozent sind zu hoch. Und diese 5,5 Prozent führen dann auch in der Tat dazu, dass das Rentenniveau bis zum Jahre 2030 auf 54 Prozent sinkt. Wenn ich nur mit 4 Prozent rechnen würde, dann würde ich im Jahre 2040 nur bei 60 Prozent landen und im Jahre 2030 in der Größenordnung von 64 Prozent. Das ist die eine Sache. Die andere Sache ist, dass man ab nächstem Jahr verpflichtet werden soll oder angehalten werden soll, insgesamt 4 Prozent – schrittweise in 0,5 Prozent-Schritten, aufgebaut zur privaten Vorsorge – zurückzulegen, die dann diesen Ausgleich kompensieren können. Und das heißt: Je jünger man ist, desto stärker verschiebt sich das Mischungsverhältnis zwischen Umlagerente und Kapitalrente. Das heißt, die Umlagerente wird sukzessive reduziert und die Kapitalrente wird sukzessive aufgebaut.
DLF: : Es hängt – wie Sie schon sagen – von der Entwicklung an den Finanzmärkten ab, wie hoch letztlich die Rente ausfällt. Insofern wäre es ja schon angeraten, ein bestimmtes Versorgungsniveau und Ansprüche in Höhe der eingezahlten Beträge zu garantieren . . .
Rürup: . . . richtig . . .
DLF: : . . . wo könnte ein solches Niveau liegen, 54 oder 64 Prozent sind ja die Zahlen, die im Gespräch sind?
Rürup: Wir reden jetzt über die Umlagerente?
DLF: : Ja.
Rürup: Das ist eine willkürliche Frage, die kann man wissenschaftlich nicht beantworten. Meiner subjektiven Einschätzung nach sollte man keineswegs, aber auch gar keineswegs mit dem umlagefinanzierten Rentenniveau auch langfristig unter 60 Prozent gehen, und zwar aus folgendem Grund: Diese Umlagerente wird aus Zwangsbeiträgen finanziert, und ein aus Zwangsbeiträgen finanziertes System würde mit Sicherheit seine Legitimation verlieren, wenn die Renten, die ein langjährig Versicherter aus einem solchen System bekommt, dann nicht deutlich höher wäre als seine Sozialhilfeansprüche. Und deswegen glaube ich, sind hier der Niveausenkung gewisse Grenzen gesetzt. Und auch noch etwas kommt hinzu, was immer wieder übersehen wird: Unsere Sozialversicherung heißt ja Sozialversicherung, da sie vier geometrische Risiken absichert: Einmal das normale Risiko der Langlebigkeit, aber auch das Invaliditätsrisiko, das Rehabilitationsrisiko und die Hinverbliebenen-Versorgung. Und durch die Kapitaldeckung kann ich zweifellos das Risiko der Langlebigkeit absichern, das heißt, dass ich ein lebenslanges Alterseinkommen habe. Aber die anderen drei Risiken, die ja auch Elemente des sozialen Ausgleichs enthalten – Invaliditätenrente, Rehabilitation, Hinterbliebenen –, die bleiben in der umlagefinanzierten Rente. Und wenn ich die deutlich reduziere, dann komme ich natürlich bei der sachgemäßen Absicherung dieser drei verbleibenden Risiken in Schwierigkeiten. Deswegen wäre der Minister – oder wäre die Regierung – sehr gut beraten, eine Untergrenze des umlagefinanzierten Niveaus zu garantieren, die meines Erachtens nicht unter 60 Prozent liegen sollte.
DLF: : Auf jeden Fall müsste eine beitragsfinanzierte Alterssicherung doch ein Leistungsniveau garantieren, was etwas höher ist als die Sozialhilfe.
Rürup: Es müsste deutlich höher sein als die Sozialhilfe, sonst legitimiert sich eben eine aus Zwangsbeiträgen finanzierte Rente nicht. Allerdings: Wo das Sozialhilfeniveau in 30 Jahren ist, das weiß heute auch niemand.
DLF: : Nun gibt es das Problem: Können die Geringverdiener überhaupt Zusatz-Beiträge, die ja dann notwendig wären, aus ihrem Einkommen aufbringen? Das sind ja gerade die Arbeitnehmer mit geringem Einkommen, die auf die Zusatzversorgung angewiesen sind. Sollten die Beiträge steuerbegünstigt sein? Reichen die Zuschüsse, die Riester vorsieht, aus? Sollten sie gar sämtlich steuerfrei sein?
Rürup: Fangen wir mit der Steuerfreiheit an. Die Steuerfreiheit ist für einen Geringverdiener relativ uninteressant. Jemand, der keine Steuern zahlt, profitiert natürlich auch nicht von einer Steuerfreiheit von Beiträgen. Das heißt, das Problem der Geringverdiener muss man durch direkte staatliche Zuschüsse lösen, das heißt: Wenn jemand arm ist nicht sparfähig ist, aber er dann dennoch ein kapitalgedecktes System aufbauen muss, muss das durch direkte staatliche Zuschüsse gehen. Das heißt, das ist unverzichtbar. Für Normalverdiener, die Steuern zahlen, da ist in der Tat eine steuerliche Freistellung die richtige Lösung. Und ich glaube, da ist man schon auf dem richtigen Weg. Und hinsichtlich des Fördervolumens, was jetzt auf dem Tisch liegt, besteht ja eigentlich kein Unterschied mehr zwischen CDU und SPD. Ich glaube, das ist weitgehend akzeptiert. Aber eines muss man dazu sagen: In einem versicherungsmäßig organisierten System, sei es umlagefinanziert oder sei es kapitaldeckungsfinanziert, kann aus Einkommensarmut in der Erwerbsphase nie Einkommensreichtum im Alter werden. Das heißt: Wenn jemand wenig verdient, kriegt er in beiden Systemen immer eine niedrigere Rente. Das heißt also: Durch das Rentensystem kann ich irgendwie geartete Ungerechtigkeiten des Erwerbslebens nie kompensieren. Kein System – wenn es versicherungsmäßig organisiert ist, wenn ich nicht zu einer Grundrente, zu einer Grundsicherung übergehe – kann dieses Problem lösen. Das heißt, die relativen Einkommenspositionen bleiben unverändert.
DLF: : Sollte auch eine Familienkomponente eingebaut werden?
Rürup: Darüber kann man in der Tat diskutieren, nämlich die Sparfähigkeit eines Haushaltes hängt in der Tat nicht nur vom Einkommen ab, sondern eben auch von der Kinderzahl. Und es kommt auch noch folgendes hinzu: Wenn jemand Kinder hat, leistet er ja ohnehin einen Beitrag für den Zukunftserhalt unseres Rentensystems. Und das sollte man in der Tat dann auch honorieren. Wenn schon Humankapital gebildet wird für die zukünftige Finanzierung der Renten, wäre es schon sinnvoll, hier eine gewisse Förderung einzuführen.
DLF: : Nun gibt es ja auch durchaus Alternativen zu dem Konzept des Bundes-Arbeitsministers. Man könnte sich vorstellen, statt der privaten Vorsorge das Betriebsrentensystem weiter auszubauen. Wie stehen Sie dazu?
Rürup: Also, ich würde in einem Ausbau des Betriebsrentensystems eigentlich die bessere Lösung sehen, nämlich Betriebsrenten haben eine Reihe von Vorzügen vor der privaten Vorsorge. Sie haben erstens das gleiche Leistungsspektrum wie Sozialrenten. Zweitens liegen während der gesamten Versicherungszeit alle Kapitalmarktrisiken immer bei den Firmen oder bei den Pensionskassen. Ich habe eine höher Effizienz wahrscheinlich, da ich keinerlei Akquisitionskosten habe. Ich habe geringere gesetzliche und administrative Verwaltungskosten, da ich etablierte Durchführungswege habe. Und schließlich und endlich habe ich die optische Möglichkeit, diese Betriebsrenten paritätisch zu finanzieren. Das heißt, unter rentenpolitischen Gesichtspunkten wäre ein Ausbau der Betriebsrenten der Privatvorsorge meines Erachtens überlegen. Allerdings - auch hier wiederum - müsste das obligatorisch sein, denn schauen Sie: Unser gegenwärtiges Betriebsrentensystem basiert auf dem Prinzip der doppelten Freiwilligkeit, sowohl des ‚ob‘, als auch des ‚wies‘. Und Betriebsrenten, die freiwillig sind, können immer nur Instrumente der unternehmerischen Personal- und Finanzpolitik sein, nichts anderes – und damit einer sozialpolitischen Absicherung eigentlich mehr als Nebenzweck erfolgen. Und diese Skepsis gegen unser auf dem Prinzip der Freiwilligkeit basierenden Betriebsrenten kommt ganz deutlich in der Verteilungswirkung dieses Systems zustande, nämlich dieses System verursacht – entschuldigen Sie das Wort – ‚Nobelrentner‘. Und zwar diejenigen, die schon eine hohe Sozialrente bekommen, bekommen dann auch eine Betriebsrente, nämlich der durchschnittliche Betriebsrentenempfänger ist männlichen Geschlechtes, war langjährig und dauerhaft bei einem Großbetrieb der Industrie beschäftigt. Auch hier eine Zahl: 50 Prozent der Rentner bekommen gegenwärtig eine Betriebsrente von durchschnittlich 660 Mark, aber nur 13 Prozent der Rentnerinnen bekommen eine Betriebsrente von durchschnittlich 330 Mark. Das heißt, ich habe hier keinerlei flächendeckende Ergänzungen. Und wenn man auf die neiderweckenden hohen Absicherungsraten über Betriebsrenten schaut – über 90 Prozent in der Schweiz und den Niederlanden –, so muss man wissen, dass diese flächendeckenden Betriebsrentensysteme auf Obligatorien basieren – in den Niederlanden auf tariflichen Obligatorien, in der Schweiz auf gesetzlichen Obligatorien. Mich vor die Wahl gestellt: Betriebsrenten oder Privatvorsorge obligatorisch zu machen, würde ich immer sagen: Obligatorische Betriebsrenten. Sie sind leistungsfähiger; die Vorteile habe ich genannt. Aber dieses scheitert zur Zeit am dezidierten Widerstand der Arbeitgeber. Sie wollen beim Prinzip der Freiwilligkeit bleiben – habe ich Verständnis für –, und dann bleibt eigentlich kein anderer Ausweg, als auf die private Vorsorge zu gehen.
DLF: : Ein anderer Ausweg wäre natürlich die Verlängerung der Lebensarbeitszeit oder der Verzicht auf vorgezogenen Altersruhestand.
Rürup: Ja, das ist in der Tat ein anderes Spielfeld, auch da werden wir nicht drum herumkommen. Sie wissen: Deutschland ist gemessen am Altenquotient – das ist das Verhältnis der über 65-jährigen zu den 20- bis 64-jährigen – die am schnellsten alternde Gesellschaft dieser Welt. Gegenwärtig kommen auf 100 Erwerbstätige 25 über 65-jährige; nach konventionellen Schätzungen werden diese im Jahre 2030 über 55 sein. Das ist relevant und gravierend, sollte aber nicht zu der oft in diesem Zusammenhang zu hörenden Katastrophenrhetorik führen, nämlich zwischen der Demographie und dem Rentensystem ist immer noch die Ökonomie zwischengeschaltet. Durch eine Veränderung der Ökonomie und insbesondere der Beschäftigungsmöglichkeiten und Beschäftigungschancen kann man sehr viel dieser Probleme lösen. Schauen Sie: Wenn wir mal die älteren Arbeitnehmer nehmen, so arbeiten von 100 = 55- bis 64-jährige, das ist die Gruppe der älteren Arbeitnehmer, in der Schweiz 71, in Norwegen 67, in Japan 64, in Schweden 63, in den USA 58, in Deutschland keine 39. Sehr viele unserer Rentenprobleme würden deutlich reduziert, wenn es gelänge, diese Erwerbstätigkeit der Älteren zu erhöhen. Sie haben recht: In Deutschland gibt es einen Konsens - einen impliziten Konsens - zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften, dass es unschicklich ist, länger als 60 zu arbeiten. Und die Rente ab 60 ist vor diesem Hintergrund genau so verkorkst wie das Lieblingsprojekt der Arbeitgeber: Die Verbesserung der Altersteilzeit. Dieses erhöht den in der demographischen Entwicklung angelegten Umverteilungsdruck. Und ich wage die Prognose: Wir werden unsere lohnzentrierten sozialen Sicherungssysteme nicht über das Jahr 2020 in den gegenwärtigen Leistungsfinanzierungsstrukturen halten, wenn es nicht gelingt, diese Erwerbstätigkeit der Älteren deutlich zu erhöhen. Und auch das macht natürlich unglaublich viel Schaden. Wenn ich das gesetzliche Renteneintrittsalter, was gegenwärtig bei 65 ist, um ein Jahr hochsetzen würde, würde mir das eine Beitragssatzersparnis von 0,6 Prozentpunkten bringen. Wenn es mir aber gelänge, das tatsächliche Renteneintrittsalter, was gegenwärtig bei 59 und etwas liegt, für alle um ein Jahr zu erhöhen, hätte ich eine Beitragssatzersparnis von mehr als 1,5 Prozentpunkten. Und in der Tat: Dort liegt fast der entscheidende Schlüssel zur Lösung unserer Probleme. Aber dieses bedarf eines ganzen Bündels an Maßnahmen.
