Donnerstag, 09. Mai 2024

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Rüstungspark der Nazis

Rüstungsindustrie und Zwangsarbeit in Fürstenberg an der Oder in den Jahren 1940 bis 1945 stehen im Mittelpunkt einer Ausstellung im Städtischen Museum Eisenhüttenstadt. Nach Auffassung von Hartmut Preuß, Direktor des Städtischen Museums, zeigt diese Ausstellung einen Teil Lokalgeschichte, den die DDR-Ideologie lange unterdrückt hatte.

Moderation: Christoph Schmitz | 22.07.2008
    Moderator: Die Nationalsozialisten hatten die Kleinstadt Fürstenberg an der Oder zum "Mittelpunkt kriegswichtiger Betriebe" erklärt. Für die Kriegsvorbereitungen entstand ein unterirdisches Chemiewerk, in dem während des Zweiten Weltkrieges Häftlinge eines Außenlagers des KZ Sachsenhausen und Kriegsgefangene Zwangsarbeit verrichteten. Außerdem wurden sie dort eingesetzt bei der Degussa, im Motorenwerk Borsig und im Kraftwerk Vogelsang an der Oder. Tausende kamen ums Leben. Die Ruine des Kraftwerks ist nun als bauliches Dokument der NS-Zwangsarbeit öffentlich zugängig, begleitet von einer Ausstellung über die NS-Geschichte des Industriestandortes, der zu DDR-Zeiten den Namen Eisenhüttenstadt erhielt. Im Städtischen Museum von Eisenhüttenstadt ist die Ausstellung zu sehen. Nach dem Krieg ist der Rüstungspark der Nazis so gut wie vollständig von den Sowjets demontiert worden. Was ist übrig geblieben, was Sie in Ihrem Museum zeigen können? Das habe ich den Direktor des Museums gefragt, Hartmut Preuß.

    Hartmut Preuß: Übrig geblieben ist eigentlich nur die Ruine eines ehemaligen Kraftwerkes, besser gesagt eines Kraftwerkes, das nie richtig in Betrieb war bis auf einen Probelauf. Das ist das einzige sichtbare Fragment aus dieser Zeit hier in Eisenhüttenstadt im Ortsteil Fürstenberg an der Oder.

    Moderator: Und davon sind dann Teile ins Museum hinübergebracht worden und außerdem, was gibt es zu sehen?

    Preuß: Ja, das ist richtig. Wir haben also die Fragmente, die man tragen und bewegen kann, als es handelt sich um Steine und um kleinere Sachzeugen, die haben wir mit in die Ausstellung hier in das Städtische Museum aufgenommen. Alles andere ist samt einer großen Erklärung auf 24 großen Schautafeln dann auf dem Freigelände, sprich auf dem Gelände des ehemaligen Kraftwerkes zu sehen.

    Moderator: Und im Museum?

    Preuß: Im Museum geben wir zunächst mal einen Gesamtüberblick über die Rüstungswirtschaft und Zwangsarbeit, die Industrialisierung zwischen 1940 und 1945, denn da begann das so richtig hier in diesem bis dahin doch etwas verschlafenen märkischen Städtchen. Das sind Bauunterlagen, das sind Fotografien und andere Unterlagen aus der Zeit, in der beispielsweise sich die Degussa hier niederließ Anfang 1940. Es gibt aber auch Unterlagen, Planungen von Vorhaben, die nicht realisiert wurden. Beispielsweise sollte hier ein kriegswichtiges Buna-Werk entstehen. Es ist aber ein großes Karbidwerk hier entstanden, es wurde Formaldehyd produziert und viele chemische Produkte gingen daraus hervor. Es ist also vor allen Dingen rüstungswichtige Betriebe bzw. Produkte, die hier entstanden bzw. erzeugt wurden.

    Moderator: Gibt es auch Dokumente, Fotografien ...

    Preuß: Ja.

    Moderator: ... Dokumente, die die Zwangsarbeit zeigen?

    Preuß: Diese Dokumente gibt es. Es gibt beispielsweise eine Namensliste der 200 Juden aus dem Ghetto Lodz, die hierher verbracht wurden, um unter schwierigsten Bedingungen schwerste körperliche Arbeit zu verrichten. Innerhalb weniger Tage sind über 20 Menschen aus diesem Arbeitskommando jüdischer Herkunft also verstorben aufgrund der Schwere der Arbeit, des Entzugs von Nahrung und verweigerter medizinischer Hilfen.

    Moderator: Welche Erkenntnisse über die Zwangsarbeit und auch über die Rüstungswirtschaft haben Sie bei der Forschung und Vorbereitung der Ausstellung gewonnen, Herr Preuß?

    Preuß: Ziel unserer Ausstellung besteht darin, dass wir doch hier eine Ausstellung präsentieren, die mit dem Mythos aus DDR-Zeiten endgültig mal Schluss macht, der da, sage ich mal, in dem Satz gipfelte "Wo einst Sand und Kiefern waren". Also auf jungfräulichem Boden entstand ab 1950 hier ein Betrieb der Schwerindustrie, das Eisenhüttenkombinat Ost, und die neue sozialistische Wohnstadt. Das stimmt so nicht. Ganz einfach weil hier bis 1945 Betriebe ansässig waren, wichtige Betriebe, die dann ab 1945 demontiert wurden, gesprengt wurden und einzig diese Kraftwerksruine blieb erhalten. Alles andere wurde im Prinzip dem Erdboden gleich gemacht. Es gibt sehr wenige bauliche Fragmente aus dieser Zeit im Stadtgebiet. Beispielsweise gibt es aus der Zeit der Degussa noch Häuser, in denen ingenieurtechnisches Personal wohnte. Das sind aber zwei oder drei. Das ist alles. Und im Volksmund sage ich mal, oder in einer Redewendung hat man dann noch über die "Degussa-Häuser" gesprochen, ohne im Einzelnen zu wissen, was denn eigentlich Degussa hier für diese Stadt bedeutete.

    Moderator: Sie haben also jetzt Lokalgeschichte sozusagen ans Licht gebracht, die bisher aufgrund der Strategien der DDR-Ideologie unbekannt vor Ort gewesen ist?

    Preuß: Weitgehend unbekannt. Es war nicht erwünscht, darüber zu reden. Also etwa mit dem Inhalt, dass man sagt, "na ja, also so richtig stimmt das nicht mit Sand und Kiefern. Hier gab es ja schon die und die und die Industriezweige, hier wurde schon Energie erzeugt in großem Maße und man hatte Planungen für die Perspektive". Das nicht. Das hing natürlich auch alles zusammen mit der Kriegswichtigkeit dieser Produktion bzw. dieser Betriebe. Also Kriegswichtigkeit für den Eroberungskrieg der Nationalsozialisten. Beispielsweise das genannte Kraftwerk hatte ja nicht nur eine stromversorgende Bedeutung für die Region und bestenfalls für Berlin, sondern hatte auch einen Aktionsradius, der bis rein in das besetzte Polen ging. Sage ich mal, das sind natürlich auch Beweggründe, die die Bürger veranlassten, darüber, na, ich sage mal, gefälligst zu schweigen.

    Moderator: Hartmut Preuß, Direktor des Städtischen Museums Eisenhüttenstadt über die dortige Ausstellung "Mittelpunkt kriegswichtiger Industrien. Rüstungswirtschaft und Zwangsarbeit in Fürstenberg 1940-1945".