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Rüttgers prophezeit harte Verhandlungen über große Koalition

Vier Wochen nach der Bundestagswahl beginnen heute die Koalitionsverhandlungen zwischen SPD und Union. Der stellvertretende CDU-Vorsitzende Jürgen Rüttgers sagte harte Gespräche voraus. Rüttgers, Mitglied der Unions-Delegation, meinte, beim Thema Haushaltskonsolidierung werde es keine Tabus geben. Die Forderung des Bundes der Steuerzahler, aus Kostengründen die parlamentarischen Staatssekretäre abzuschaffen, lehnte der nordrhein-westfälische Ministerpräsident jedoch ab. Er plädierte vielmehr für einen stärkeren Subventionsabbau.

Moderation: Burkhard Birke |
    Burkhard Birke: Sind die Würfel gefallen? Bis zuletzt wird darüber spekuliert, welcher Unionspolitiker welches Amt und welche Funktion übernimmt. Die SPD hatte ja nach dem Rückzug von Kanzler Gerhard Schröder ihr Personaltableau relativ zügig und überwiegend zur Zufriedenheit der eigenen und vielleicht auch zur Bewunderung der Unionsreihen zusammengestellt. Heute soll es aber vor allem inhaltlich beim Auftakt der formellen Koalitionsgespräche zur Sache gehen. Mit von der Partie als einer der Unionsunterhändler wird Jürgen Rüttgers, der Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen, sein, den ich jetzt recht herzlich hier am Telefon begrüße. Einen schönen guten Morgen!

    Jürgen Rüttgers: Guten Morgen Herr Birke!

    Birke: Herr Rüttgers, Nordrhein-Westfalen stellt ja den größten Landesverband innerhalb der CDU. Haben Sie sichergestellt, dass die Interessen der NRW-CDU auch gebührend im Personaltableau berücksichtigt sind?

    Rüttgers: Ich möchte der neuen Bundeskanzlerin Angela Merkel natürlich nicht vorgreifen, die das heute bekannt geben wird, aber ich glaube, dass wir in Nordrhein-Westfalen zufrieden sein können.

    Birke: Spekulieren, Herr Rüttgers - und das werden Sie mir nachsehen -, gehört ja zu unserem Journalistengeschäft und deshalb muss ich ein bisschen bohren. Wird denn nun Herr Jung aus Hessen Verteidigungs-, oder wird er Agrarminister?

    Rüttgers: Und ich bitte um Nachsicht, dass ich glaube, dass gerade bei der Bildung einer Bundesregierung es einen gewissen Stil geben muss. Und wenn man selber auch in die Entscheidungsfindung einbezogen war, dann hält man sich an die Regeln. Ich möchte das nicht beantworten.

    Birke: War das dann Stilbruch von der CSU, die ja jetzt verkündet hat, Horst Seehofer wird wohl der neue Agrar- und Verbraucherminister werden?

    Rüttgers: Nein, das kann man glaube ich nicht so sehen. Das ist ja eine Partei, die an dieser Koalition beteiligt ist, eine eigenständige Partei, wie man weiß. Insofern hat sie natürlich auch das Vorschlagsrecht. Dass wir das untereinander in der Union absprechen, ist eine Frage des freundschaftlichen Miteinanders.

    Birke: Herr Rüttgers, Seehofer war ja wohl offenbar nicht Angela Merkels Wunschkandidat als CSU-Mann im Kabinett. War das nun eine Art Niederlage für die designierte Kanzlerin, deren Richtlinienkompetenz Edmund Stoiber ja schon vorab auch hinterfragt hatte?

    Rüttgers: Nein. Das war genau so, wie ich es gerade gesagt habe. Man redet natürlich miteinander, weil es ja eine Koalition geben soll, die auch vier Jahre halten soll.

    Birke: Halten Sie denn jetzt noch Verschiebungen oder Veränderungen an der Ressortverteilung beziehungsweise am Zuschnitt der Ministerien im Laufe der Koalitionsverhandlungen für wahrscheinlich?

    Rüttgers: Ich glaube nicht. Ich glaube, dass das jetzt inzwischen abgeschlossen ist.

    Birke: Auch die Zuständigkeit für den Aufbau Ost, dass das im Verkehrsministerium bleibt?

    Rüttgers: Das wird man sehen. Warten Sie einfach den heutigen Vormittag ab.

    Birke: Vielleicht dann noch eine Frage zu den personellen Dingen, Herr Rüttgers, bevor wir dann aufs Inhaltliche kommen. Der Präsident des Bundes der deutschen Steuerzahler Däke hat angeregt, man möge doch aus Kostengründen auf parlamentarische Staatssekretäre verzichten. Eine sinnvolle Idee?

    Rüttgers: Nein! Eindeutig nein. Das ist einer dieser Vorschläge, die immer wie das Ungeheuer von Loch Ness ab und zu mal kommen, die aber mit der Sache nichts zu tun haben. Alle legen Wert darauf, dass eine Regierung auch überall im Land vertreten ist, dass wenn etwas Wichtiges stattfindet auch jeweils ein Vertreter der Bundesregierung anwesend ist. Das kann der Minister, das können die Ministerinnen nicht alleine machen. Außerdem ist es notwendig im Rahmen einer parlamentarischen Demokratie, dass die Parlamentarier einen unmittelbaren Ansprechpartner in ihren Arbeitsgruppen haben, in den Ausschüssen des deutschen Bundestages. Das ist die Aufgabe der parlamentarischen Staatssekretäre.

    Birke: Herr Rüttgers, ich glaube die Leute im Land erwarten vor allen Dingen zweierlei: einmal dass der Haushalt saniert wird und zweitens, dass die Arbeitslosigkeit bekämpft wird. 14,5 Milliarden Euro müssten eingespart werden oder aufgebracht werden, um den Haushalt zu sanieren. Kann es da Tabus geben?

    Rüttgers: Ich glaube, dass man alles auf den Prüfstand stellen muss. Das ist ja der Hintergrund, Herr Birke, der Debatte, die es am Wochenende gegeben hat um den so genannten Kassensturz. Da hat es ja so eine Vordebatte gegeben. Von Seiten Herrn Steinbrücks ist gesagt worden, das ist nicht notwendig. Die Union hat gesagt doch, wir müssen alle Zahlen auf den Tisch legen. Ich glaube, dass Letzteres einfach erforderlich ist, um das strukturelle Defizit des Bundeshaushaltes zu bestimmen und dann die notwendigen Strategien zu entwickeln.

    Beide Themen, die Sie mit Recht angesprochen haben, Haushaltskonsolidierung und neue Arbeitsplätze, haben ja etwas miteinander zu tun. In Wahrheit reden wir über eine neue Wirtschaftspolitik, eine Wirtschaftspolitik, die durch Haushaltskonsolidierung neue Wachstumsspielräume schafft und zum zweiten auch Spielräume dafür, in Zukunft zu investieren, zum Beispiel in ein besseres Ganztagsschulsystem, ein besseres Betreuungssystem, damit auch Frauen die Möglichkeit bekommen, ohne ein schlechtes Gewissen Erziehungstätigkeit und Arbeitstätigkeit miteinander zu verbinden.

    Birke: Die Union wollte vor allen Dingen Arbeitsplätze schaffen, indem sie die Mehrwertsteuer um zwei Prozentpunkte erhöhen wollte und gleichzeitig eben die Arbeitslosenversicherungsbeiträge entsprechend senken. Kommen wir ohne eine Mehrwertsteuererhöhung aus?

    Rüttgers: Das werden wir im Rahmen dieser Koalitionsverhandlungen sehen. Das ist ja nicht ein Vorschlag, den man so einfach aus der Hand mal macht. Wir haben das vor der Bundestagswahl sehr gut überlegt. Ich selber habe ja auch laut gesagt, dass ich doch die einen oder anderen Probleme mit diesem Vorschlag habe. Wer jetzt sagt, er schafft das durch entsprechende Einsparungen etwa im Subventionsbereich, der soll konkrete Vorschläge machen. Das ist im Prinzip das Beste, aber das Thema Abkoppelung der Sozialkosten von den Arbeitskosten, das liegt auf dem Verhandlungstisch. Das muss auch da bleiben, denn wir wollen ja, wie Sie gerade angesprochen haben, neue Arbeitsplätze und neue Investitionen hier in der Bundesrepublik Deutschland.

    Birke: Man muss auch neue Einnahmequellen erschließen. Ist da die Privatisierung der Autobahnen eine clevere Form?

    Rüttgers: Ich glaube nicht, dass das jetzt auf der Tagesordnung steht. Die sind ja schon mal bezahlt worden aus entsprechenden KFZ-Steuermitteln, aus Mitteln des Steueraufkommens und die Privatisierung würde jetzt von den Menschen im Land als neue Form des Abkassierens verstanden.

    Birke: Können wir uns denn weitere Steuersenkungen, wie sie die Union auch im Wahlkampf insbesondere den Unternehmern versprochen hat und wie sie übrigens beim Job-Gipfel auch zwischen der damaligen Regierung oder jetzigen Regierung und der Union beschlossen wurden, überhaupt leisten?

    Rüttgers: Das erste ist: Ich glaube, dass die Ergebnisse des Job-Gipfels eine Grundlage für die Arbeit der großen Koalition sind und sein werden. Das zweite ist: Wir brauchen Veränderungen im Steuersystem hin zu einem einfachen und damit auch gerechteren Steuersystem, sowohl im Bereich der Einkommenssteuer wie auch im Bereich der Unternehmenssteuer. Ich glaube, dass Letzteres jetzt zuerst einmal im Vordergrund stehen wird, so wie auch die Debatte der letzten Wochen gelaufen ist. Die Frage, ob dabei am Schluss Steuermindereinnahmen heraus kommen, sprich Steuersenkungen, da mache ich angesichts der öffentlichen Kassen schon ein Fragezeichen. Das ist auch die Frage der Gegenfinanzierung des Abbaus von Steuervergünstigungen und Subventionen.

    Birke: Herr Rüttgers, wie viel Union wird dann am Ende noch drin stehen im Regierungsprogramm? Die SPD übernimmt ja das Arbeitsministerium und scheint wenig flexibel, was die Unionsforderungen Kündigungsschutz lockern und Lockerung der Flächentarifverträge anbetrifft.

    Rüttgers: Das muss die SPD auch wissen: Das wird keine Koalitionsverhandlung werden nach dem Motto jeder schlägt die Ergebnisse vor, die die Ressorts betreffen, für die er die Verantwortung übernimmt, also die SPD hat zu sagen bei dem, was sie an Ministerien stellt. So wird das nicht laufen. Man muss sich auf eine gemeinsame Plattform für vier Jahre Zusammenarbeit in einer großen Koalition einigen und das heißt die Union hat auch Grenzen, wo es dann nicht mehr geht.

    Das ist jetzt nicht so, dass das einfach eine Automatik ist, was da in den nächsten Wochen ablaufen wird, sondern das wird harte Verhandlungen zur Folge haben. Für die CDU bedeutet das im Klartext: Das was am Schluss heraus kommt als Koalitionsvertrag, muss mit ihren Grundsätzen, muss mit ihren Vorstellungen auch aus dem Wahlprogramm in Übereinstimmung zu bringen sein. Jeder wird da Abstriche machen müssen, aber das kann nicht so sein, dass der eine sich durchsetzt und der andere muss klein beigeben.

    Birke: Jürgen Rüttgers war das von der CDU, Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen und einer der Unionsunterhändler bei den Koalitionsverhandlungen. Vielen Dank und auf Wiederhören!