Archiv


Ruf nach dem Staat

Unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten lohnt sich derzeit in Europa der Bau eines neuen Atomkraftwerkes nicht mehr. Wenn der freie Markt keine Zukunft mehr bietet, könnten staatliche Subventionen helfen.

Von Doris Simon |
    Geht es nach den Regierungen von Großbritannien, Frankreich, Polen und Tschechien, dann werden Atommeiler künftig ebenso eingestuft wie Solaranlagen. In einem Brief an die derzeitige dänische EU-Ratspräsidentschaft fordern die vier Länder, der bis 2050 vorgesehene Umstieg auf emissionsarme Technologien in der EU müsse technologieneutral geschehen - also nicht wie bislang vorgesehen allein über erneuerbare Energien, sondern eben auch über die Atomkraft. Kernenergie dürfte dann wie die Erneuerbaren von den Mitgliedsstaaten subventioniert werden.
    In der Praxis könnte der Bau von Kernkraftwerken gefördert oder Atomstrom über Subventionen verbilligt werden. EU-Energiekommissar Oettinger sagte dazu der Süddeutschen Zeitung, er sei bereit, auf dem informellen Treffen der europäischen Energieminister kommende Woche in Dänemark verschiedene Optionen zu diskutieren, und vermied weitere Festlegungen. Erläuterungen von einem Kommissionssprecher:

    "Der Energiemix und ob dazu Atomkraft gehört, ist Sache jedes einzelnen Mitgliedsstaates. Entscheidend ist, dass die Energie- und Klimaziele bis 2020 erfüllt werden. Ob ein EU-Staat auf Atomenergie setzt, bleibt allein seine Entscheidung."

    Weltweit ist Europa eine der am stärksten von Atomenergie abhängigen Regionen. Doch nur 14 der 27 EU-Staaten betreiben Atomkraftwerke, der Einsatz ist sehr unterschiedlich. In Frankreich stammen 77 Prozent des erzeugten Stroms aus den 59 Atommeilern im Land. Frankreich hat eine starke Atom- und Meilerbauindustrie, die von einem europaweiten Ausbau der Kernenergie profitieren würde. Deutschland will wie Italien oder Belgien aus der Kernenergie aussteigen. Doch in den letzten Jahren setzen etliche Regierungen zunehmend auf Atomkraft: Vor allem in Mittel- und Osteuropa sehen sie darin den einfachsten Weg, um die gesetzten Ziele in der Klima- und Energiepolitik zu erreichen. Auch die britische Regierung setzt massiv auf den Ausbau der Kernenergie, sie hat inzwischen den Entwurf eines Einspeisungsgesetzes mit einem vorteilhaften Tarif für Atomstrom vorgelegt. Eine solche Förderung läuft aber Gefahr, mit den strengen EU-Wettbewerbsregeln zu kollidieren. Bislang hat die Europäische Kommission nur Fördermaßnahmen genehmigt, die direkt den Zielen des Euratomvertrages entsprachen, erläuterte heute ein Sprecher:

    "Dabei ging es vor allem um Stilllegungen und den Umgang mit Nuklearabfall - diese Maßnahmen entsprachen den Zielen des Euratomvertrages in den Bereichen Sicherheit und Gesundheit."

    Die Förderung erneuerbarer Energien ist nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofes marktkonform, weil es hier – anders als bei der der seit über 50 Jahren genutzten Atomtechnik – um die Einführung neuer Technologien gehe.

    Der aktuelle Vorstoß der vier Staaten, Atomenergie den erneuerbaren Energien gleichzustellen und damit subventionsfähig zu machen, ist längst nicht der erste Versuch dieser Art auf EU-Ebene. 2007 war zuletzt der damalige französische Präsident Chirac am Widerstand von Bundeskanzlerin Merkel gescheitert. Nun haben Großbritannien, Frankreich, Tschechien und Polen die Debatte um Subventionen für die Kernenergie neu angestoßen - ob daraus am Ende mehr wird, hängt davon ab, ob sie eine Mehrheit der Eu-Mitgliedsstaaten um sich scharen können.