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Ruhe gibt es nicht, bis zum Schluß

"Der Frühling ist immer schön, und der Flieder ist immer schön, Berlin präsentiert sich jetzt wieder von seiner besten Seite. Es hat sich natürlich ein wenig verändert, man sieht neue Läden, man sieht ein bißchen, daß die Ruinen aufgeräumt sind. Man hätte gewünscht, daß der Wiederaufbau etwas schnellere Fortschritte gemacht hätte - es ist ja noch nicht sehr viel zu bemerken - , aber kleine Verbesserungen sind doch da, und man freut sich daran."

Detlef Grumbach |
    Der vollständige Wortlaut dieses Interviews, das Klaus Mann im Mai 1948 in Berlin gegeben hat, ist in einem großartigen Ausstellungskatalog und Bildband zu seinem Leben abgedruckt, den Uwe Naumann aus Anlaß des fünfzigsten Todestags von Klaus Mann herausgegeben hat. Nachdem der Sohn des berühmten Thomas Mann sich über das unversöhnliche Gegeneinander der politischen Blöcke nach dem Sieg über Hitler beklagt, fragt der Reporter Klaus Mann auch nach literarischen Plänen: "Ich arbeite jetzt gerade an der deutschen Fassung einer Autobiographie, die ich erst in englisch geschrieben habe, ‘The Turning Point’, ‘Der Wendepunkt’, die ich jetzt auf deutsch fertigstelle. Und sowie ich mit dieser deutschen Version fertig bin, will ich einen neuen Roman anfangen, der sogar wahrscheinlich teilweise in Berlin spielen wird und in dem ich eben diesen Ost-West-Gegensatz erzählerisch behandeln will."

    Klaus Mann war nach zwölf Jahren des Exils als amerikanischer Soldat nach Deutschland zurückgekehrt, hatte seinen Teil zum Sieg über den Nationalsozialismus nicht nur in Wort und Schrift, sondern auch in Uniform beigetragen. Obwohl er zwölf Jahre lang für ein anderes, demokratisches Deutschland gestritten hatte, wollte und konnte er nicht im Nachkriegsdeutschland bleiben. Der aufkommende Kalte Krieg bereitete seinen politischen Hoffnungen auf eine friedliche Welt, auf Demokratie und einen unvoreingenommenen Wettstreit der Ideen ein Ende. Der Roman, den er im Interview ankündigte, wurde nicht vollendet. Am 21. Mai 1949, kurze Zeit nach der Fertigstellung des "Wendepunkts", nahm sich Klaus Mann in Cannes das Leben. Erst in den siebziger und achtziger Jahren wurde er - zusammen mit anderen Autoren des Exils - einer größeren Zahl von Lesern bekannt. Seit dem hält, wie Uwe Naumann feststellt, das Interesse an seinen Büchern unvermindert an: "Ein Stück der Faszination, die Klaus Mann ausübt, liegt natürlich in der Problematik seines Verhältnisses zu seinem berühmten Vater Thomas. Wobei ich denke, daß sehr viele, auch junge Menschen, aber nicht nur junge Menschen, sich für Klaus Mann interessieren oder sich für ihn begeistern, weil sie in ihm zu Recht auch eine Gegenfigur zu seinem Vater sehen. Klaus Mann hat eine völlig andere Existenz geführt als sein Vater. Er hat sich sehr früh dazu entschieden, er hat seine Homosexualität offen ausgelebt. Er hat sich getraut, Drogen zu probieren, bis er schließlich daran zugrunde gegangen ist. Er hat eine unstete Existenz gewählt. Während der Vater in seiner zunächst Münchner, dann Schweizer, dann kalifornischen Villa saß und jeden Tag eine Seite Weltliteratur produzierte, ist Klaus Mann durch die Welt gereist, hat in Hotelzimmern gelebt und geschrieben, hat immer versucht, eine ganz andere Existenz zu finden als sein Vater. Und dieses Gegenbild macht sicher ein Stück der Faszination aus."

    Erste Romane und Stücke Klaus Manns erschienen Mitte der zwanziger Jahre, eine erste Autobiographie veröffentlichte er 1932 unter dem Titel "Kind dieser Zeit". 1933 ging er ins Exil, zunächst nach Paris, dann nach Amsterdam und später, ab Ende 1938, in die USA. Er reiste von Ort zu Ort, von Land zu Land, wurde zum Motor und Organisator der antifaschistischen Volksfront, zum Mittler zwischen Intellektuellen unterschiedlicher Couleur. Ab September 1933 erschien die Zeitschrift mit dem programmatischen Titel "Die Sammlung". 1934 legte er den ersten Roman des antifaschistischen Exils überhaupt vor - "Flucht in den Norden". Es folgten "Symphonie Pathetique", ein biographischer Roman über Peter Tschaikowski, sein "Mephisto, "Der Vulkan", der jetzt erstmals verfilmt wurde und in die Kinos kommt, vieles andere und schließlich "The Turning Point", "Der Wendepunkt". Naumann führt die Leser seines Bildbands durch Leben und Werk und greift dabei immer wieder auf die Tagebücher zurück. Das Besondere hieran ist, daß die in Auszügen publizierten Originale hier erstmals im Faksilime gezeigt werden dürfen - auf Grund einer Ausnahmegenehmigung, denn eigentlich sind die Handschriften bis zum Jahr 2010 gesperrt: "Klaus Mann hat ja immer und viel geschrieben", so Uwe Naumann. "Er hat literarische Werke produziert, Essays und Erzählungen geschrieben, er hat sehr viele wunderbare Briefe geschrieben und hat eben vom Jahr 1931 bis zu seinem Tod Tagebuch geschrieben. Und spannend ist es schon, sein Leben in den Brechungen dieser verschiedenen literarischen Ebenen zu sehen. Und natürlich sind die Tagebücher, weil sie am dichtesten an seinem Leben dran sind, die authentischste Form der literarischen Produktion. Von daher finde ich selber viele Eintragungen, die in den Tagebüchern stehen, in seiner Handschrift und in einer besonderen Verfassung, Stimmung geschrieben, besonders anrührend. Man kommt ihm tatsächlich als Mensch und als Zeitgenosse sehr sehr nahe."

    "Wie lange noch?" - oft wird der müde und resigniert klingende Satz zitiert, mit dem Klaus Mann sein Tagebuch 1947 eröffnet. Er berührt ungleich stärker, wenn man ihn jetzt sieht, diagonal über die Seite geschrieben, als ob das ganze Jahr damit schon so gut wie durchgestrichen wird. Bei der Bildzusammenstellung konnte Uwe Naumann nicht nur auf die Nachlässe von Klaus Mann und seiner Schwester Erika in München zurückgreifen, sondern hat Kontakt mit zahlreichen, weltweit verstreuten Sammlern und Freunden der Familie Mann aufgenommen. So zeigt er zahlreiche bislang unbekannte Fotos, erfaßt die unterschiedlichsten Facetten und Stationen dieses Lebens, der Familie Mann und wichtiger Zeitgenossen. Dazwischen immer wieder Gesichter, Gesichter, Gesichter. Die dazugehörigen Namen sind geläufig, hier aber bekommt man erstmals einen visuellen Eindruck von Menschen, die, ob Freund oder Feind, für Klaus Mann von Bedeutung waren: "Unter anderem - und darauf bin ich besonders stolz - habe ich mit Hilfe eines Freiburger Klaus-Mann-Forschers, Fredric Kroll, ein Foto von Uto Gartmann in den Band aufnehmen können. Das war der erste Junge, in den Klaus Mann sich - während seiner Zeit als Schüler auf der Odenwaldschule - verliebt hat. Und Klaus Mann hat selbst gesagt, daß man im Leben für mancherlei Gesichter etwas empfinden kann, daß man aber im Grunde in seinem Leben immer nur nach einem Gesicht wieder sucht. Und dieser Uto, so schreibt er selbst in seiner Autobiographie "Der Wendepunkt", sei das Gesicht seines Lebens gewesen. Sehr interessant deswegen, weil man dieses Gesicht nun zum ersten Mal zu sehen bekommt und dann andere Freunde und Liebhaber aus seiner späteren Biographie daneben halten kann. Und ich selber denke, man kann eine Menge an diesen verschiedenen Gesichtern entdecken, und ich finde es auch sehr anrührend, daß man dieses Gesicht, das bisher noch nie gezeigt wurde, nun im Bild wahrnehmen kann."

    "Ruhe gibt es nicht, bis zum Schluß" - unter diesem Titel zeigt Uwe Naumann einen ruhelosen Geist, dessen Schicksal eng mit der deutschen Geschichte verknüpft ist, der sich persönlich und politisch danach sehnt, zugehörig fühlen zu können und der doch nirgends heimisch, der immer wieder von Einsamkeit und Verzweiflung geplagt wird. "Es gibt eine Formulierung von Marcel Reich-Ranicki, die immer wider gerne zitiert wird. Klaus Mann sei ein dreifach Geschlagener gewesen. Reich-Ranicki hat geschrieben, Klaus Mann war süchtig, er war homosexuell und er war der Sohn Thomas Manns. Das ist wunderschön formuliert und zugleich eine schreckliche Versammlung von Klischees. Und ich denke, wenn es Sinn macht, sich mit Klaus Mann näher zu befassen, dann muß es darum gegen, diese Versammlung von Klischees aufzufächern und zu differenzieren. Das heißt, zu gucken, was hat es bedeutet für Klaus Mann in seiner Zeit, homosexuell zu sein, warum ist er drogensüchtig geworden, was hat ihn daran verlockt, Drogen zu nehmen und warum ist er daran zugrunde gegangen, und was hat es wirklich für ihn bedeutet, Sohn dieses weltberühmten Vaters zu sein?"