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Ruhestätte für Reaktoren

Technik. - Das einst größte Kernkraftwerk der DDR in Lubmin bei Greifswald wurde nach der Wende abgeschaltet. Bis 2015 sollen die Reaktorblöcke soweit demontiert sein, dass der schwach- und mittelaktive Abfall ins Endlager transportiert werden kann, während die stärker strahlenden Reaktordruckbehälter vor Ort in einem Zwischenlager abklingen.

Von Frank Grotelüschen |
    "Wir nähern uns jetzt dem Kontrollbereich. Es bekommt jeder ein Dosimeter. Das Messgerät ist einsatzbereit."

    Das Zwischenlager Nord liegt hinter einem hohen Stacheldrahtzaun, die Wache kontrolliert akribisch– erst den Passierschein, dann die mitgebrachte Ausrüstung. Jetzt verteilt Joachim Griep, Hauptabteilungsleiter am Zwischenlager Nord, Overalls, Überschuhe und Mützen. Sie sollen vor radioaktiver Kontamination schützen, eine Sicherheitsmaßnahme. Seit 1977 arbeitet Griep in Lubmin – zunächst im Kernkraftwerk, dann seit der Stilllegung 1990 bei den Energiewerken Nord, einer bundeseigenen Gesellschaft, die sich um den Rückbau der Reaktoren kümmert.

    "War natürlich gewöhnungsbedürftig, dass wir, wo wir die Anlage betrieben haben, die nun abbauen. Wir haben uns dann aber ganz schnell in die neue Aufgabe hineingefunden und haben gesagt: Na gut, wir sind die, die die Anlage am besten kennen. Wir haben hier unser Leben verbracht. Und dann kümmern wir uns darum, dass die Anlage fachlich ordentlich abgebaut wird!"

    Fünf Druckwasserreaktoren sowjetischer Bauart waren in Lubmin in Betrieb. 1994 begann die Demontage. Noch heute, 15 Jahre später, ist sie in vollem Gange.

    "Wir sind jetzt in Halle 7 und stehen jetzt hier vor dem Reaktor 1, vor dem Druckgefäß. Dahinter liegt der Reaktor 2."

    Seit kurzem liegen auch die Reaktoren 3 und 4 hier, aufgebahrt wie in einer Leichenhalle. Reaktordruckgefäße, so heißen sie im Fachjargon – große, dickwandige Metallungetüme, 230 Tonnen schwer, sie sehen aus wie zu dick geratene Tanklaster. Noch ist jeder der Reaktoren zu radioaktiv, um ihn auseinander nehmen zu können, sagt Griep.

    "Der bleibt 50 bis 70 Jahre liegen. Dann ist er soweit abgeklungen, dass man es relativ einfach bearbeiten kann."

    Hier, im atomaren Zwischenlager in Lubmin, liegen auch Bauteile aus anderen deutschen Atomanlagen – so der Reaktor aus dem ehemaligen Kernkraftwerk Rheinsberg in Brandenburg. Weiter vorne liegen die Dampferzeuger – ebenfalls riesige Metalltonnen. Doch sie sind weniger radioaktiv als die Reaktoren und können schon jetzt zerlegt werden. Griep:

    "Die warten auf die Verarbeitung in der großen Bandsäge. Zerlegen heißt in handhabbare Stücke. Etwa 1 mal 1 Meter von der Größe und maximal 500 kg."

    Die ferngesteuerte Bandsäge findet sich in einem abgeschirmten Raum, das Sägeblatt vier Meter lang. Der Dampferzeuger, der vor der Säge steht, ist noch fast ganz. Es wird dauern, bis er zerlegt ist. Griep:

    "Sie müssen so um die sechs Monate rechnen. Es ist sehr aufwändig – sehr dickwandig, bis zu 20 Zentimeter. Das Personal arbeitet in der Regel vom Leitstand, steuert die Anlage. Nur, wenn man direkt am Dampferzeiger arbeiten muss – dann müssen wir natürlich ran."

    Die strahlenden Teile landen im Zwischenlager, verpackt in Containern und Spezialfässern.

    "Das ist ein 500-Liter-Fass. Wir haben hier den Stahlmantel, der die Strahlung abschirmt. Dann haben wir zusätzlich einen Betonmantel hineingegossen. Und innen drin haben dann noch Stahl mit einem höheren Bleianteil, der die Gammastrahlung stark abschirmt."

    Ab 2015 sollen die Reaktor-Reste – bis auf die stark strahlenden Brennelemente – zum Schacht Konrad transportiert werden. Das ist das Endlager für schwach- und mittelradioaktiven Abfälle in Salzgitter, sagt Dieter Rittscher, Geschäftsführer der Energiewerke Nord.

    "Ungefähr 1500 Kubikmeter pro Block werden wir an das Endlager Konrad abgeben. Das ist extrem wenig. Zwei Reihenhäuser, wenn Sie die voll packen würden mit Abfall – das ist das Volumen, was aus einem Kernkraftwerk letztendlich als radioaktiver Abfall schwach- und mittelaktiv übrig bleibt."

    Rund 500 Millionen Euro kostet das Abwracken eines Reaktorblocks, sagt Rittscher. Manche Kritiker hatten gemeint, ein Rückbau sei zu heikel. Man solle die Reaktoren stattdessen lieber abschließen und für Jahrzehnte stehen lassen, bevor man sich an die Demontage wagt. Dieter Rittscher ist anderer Meinung:

    "Wir haben die Zusagen im Terminplan und Kostenplan eingehalten. Man geht weltweit davon aus, dass man Kernkraftwerke heute unproblematisch beseitigen kann. Und sicherlich haben wir dazu beigetragen."