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Ruhm und Ehre nach dem Tod?

Hans Boesch starb vor zwei Jahren im Alter von 77 Jahren. Seine wichtigsten Romane erschienen in den 80er und 90er Jahren, sein letzter - "Schweben" - im Todesjahr. Dafür erhielt er so bedeutende Literaturpreise wie den Joseph-Breitbach-Preis. Dennoch blieb ihm ein breiteres Publikum zeitlebens versagt, nicht aber die Aufmerksamkeit wichtiger Kritiker.

Von Alain Claude Sulzer | 02.12.2005
    Bücher, denen ein Nachwort anhängt, erwecken zunächst einmal den Eindruck, eines solchen zu bedürfen; würden sie uns ohne dieses womöglich ratlos lassen? Mit Hans Boeschs Erzählband "Samurai" liegt ein Buch vor, über das Brigitte Kronauer ihre schützende Hand hält. Aus ihrer Feder stammt ein Nachwort, das den Autor der vorliegenden Erzählungen - es sind eigentlich Kurzgeschichten – im günstigsten Licht erstrahlen lässt. Der Autor ist tot. Soll man über Tote und deren nachgelassene Werke - um solche handelt es sich hier - nur Gutes sagen? Muss der Autor vor verständnislosen Lesern oder übel wollenden Kritikern vorsorglich in Schutz genommen werden? Es sieht ganz danach aus.

    Die Frage muss erlaubt sein, wie sinnvoll es ist, Texte zu veröffentlichen, die zu Lebzeiten entweder an entlegenem Ort oder gar nicht erschienen sind, weil der Autor sie womöglich für ungenügend oder belanglos hielt? Nutzt es dem Autor, dem Verlag? Dem Leser?

    Die Frage stellt sich insbesondere dann, wenn man am Ende der Lektüre dazu tendiert, sie mit Nein zu beantworten. Es fehlt im vorliegenden Fall übrigens jede editorische Notiz, wie es zu diesem Erzählband kam, ob die einzelnen Stücke zu unterschiedlichen Zeiten oder innerhalb einer begrenzten Epoche entstanden sind. Den Worten der ungleich berühmteren Büchner-Preisträgerin ist lediglich zu entnehmen, dass die Zusammenstellung vom Autor vorgenommen wurde. Während sie die "Komposition des Bandes" für "gewiss nicht zufällig hält", kann man sie auch für ziemlich beliebig halten. Geschichte folgt auf Geschichte, kommt und geht, wird gelesen, wird schnell vergessen. Der Wunsch, die eine oder andere zweimal zu lesen, kommt bestenfalls deshalb auf, weil man sich schon bei der Lektüre der übernächsten nicht mehr an sie erinnert.

    Hans Boesch starb vor zwei Jahren im Alter von 77 Jahren. Seine wichtigsten Romane erschienen in den 80-er und 90-er Jahren, sein letzter - "Schweben" - im Todesjahr. Dafür erhielt er so bedeutende Literaturpreise wie den Joseph-Breitbach-Preis. Dennoch blieb ihm ein breiteres Publikum zeitlebens versagt, nicht aber die Aufmerksamkeit so wichtiger Kritiker wie etwa Béatrice von Matt, die ihn für einen Autor hält, wie es einen sinnlicheren, einen im umfassenden Sinn erotischeren in der Schweizer Literatur kaum je gegeben haben dürfte. Arme Schweizer Literatur, wenn das denn zuträfe. Aber eine der vorliegenden kleinen Geschichten bestätigt diese dem Schutzumschlag zu entnehmenden Behauptung. Sinnlich? Erotisch?

    Brigitte Kronauer wiederum schätzt ihn dafür, dass seine Literatur Schritt für gewichtigen Schritt, mit einer für Bergwanderer unerlässlichen Trittsicherheit geht; die geistigen Väter solcher Vorlieben lassen sich unschwer erkennen.

    Dieser Literatur ist, wie wir weiter erfahren der Sound einer geschmäcklerischen Lakonie fremd. Um einen unverwechselbaren Stil, in diesem Fall um eine archaisierende Sprache, war allerdings auch dieser Autor sehr bemüht, was seinen Figuren, denen er mit äußerster Anteilnahme begegnete, nicht selten einen etwas holzschnittartigen Charakter verlieh.

    Hans Boesch eignet sich ganz offenbar zum Gegenstand verschiedener Interpretationen; während Brigitte Kronauer den inneren Monolog einer Hebamme in seinem letzten Roman "Schweben" schlichtweg für ein "Meisterstück" hält, scheint es mir nicht mehr als ein ziemlich durchschaubares Stück Kunstgewerbe, dem jedes Geheimnis fehlt. Nicht viel anders ergeht es mir mit den meisten Erzählungen des vorliegenden Bandes.

    Die Form, der Hans Boesch zeitlebens den Vorzug gab, war der Roman. Hier konnte er – um nur eines der überzeugendsten Beispiel zu nennen – die komplexe Geschichte einer hoffnungslosen Ehe in dem Roman "Der Sog" aus der Kinderperspektive drehen und wenden, so ausführlich er wollte. Kurzgeschichte heißt Beschränkung; jedoch auf was? Das Skelett der Story, das Gerüst der Handlung hat naturgemäß mehr Gewicht als das Fleisch, das sie umhüllt. Die längste der vorliegenden Erzählungen umfasst gerade mal zehn Seiten. Ist da der trittfeste Wanderschuh das passende Fortbewegungsmittel?

    Wie parabolisch muss eine kleine Geschichte etwa über die Begegnung eines Hundebesitzers und eines Spaziergängers sein, um darüber hinwegtäuschen zu können, wie unglaubwürdig sie ist, reines Gedankenspiel, das selbst oberflächlichster Betrachtung nicht standhält? Mag sie – als Gleichnis - zur Sonntagspredigt taugen, zur Literatur eignet sie sich nicht. Und dennoch findet sich – im Nachwort – eine bewundernde Exegetin gerade dieses verqueren Textes. Fehlte gerade noch, dass Johann Peter Hebel bemüht wird, der eben das beherrschte, was Hans Boesch versagt war, die weltoffene Kalendergeschichte aus der Provinz.

    Hier geht es, wie in den anderen Texten auch, um "leichte und schwere Duelle", wie Brigitte Kronauer ganz richtig bemerkt. Doch wie läuft das ab? Wie kann das auf so minimiertem Raum überzeugend dargestellt werden?

    Da trifft ein Ich-Erzähler auf einen Hundebesitzer, der dumme Hunde für nutzlos und seinen für klug hält. "Dumme Hunde gehörten erschlagen." Darauf erwähnt der Ich-Erzähler einen Hund in Wien, der zwei und zwei zusammenrechnen könne, was den Hundebesitzer so nachhaltig beeindruckt, dass er seinen Hund fünf Tage und fünf Seiten später - am Ende der Geschichte - erschlagen haben wird, weil sein gerade noch geliebtes, jetzt verachtetes, ja verhasstes Tier das Rechnen – trotz aller Schläge - nicht erlernen wollte. Ein Gleichnis über die "Unkenntnis vom Lebewesen Hund" wie Kronauer schreibt, kein Zweifel; jedoch mit Mitteln gestaltet, die ebenso untauglich sind wie jene, die der frustrierte Hundebesitzer anwendet: Mit dem Holzhammer der korrekten Gesinnung lässt sich Literatur – und insbesondere bei allerbester Absicht – nun mal nicht machen. Warum Brigitte Kronauer gerade dieser Geschichte soviel Aufmerksamkeit schenkt - keiner anderen widmet sie in ihrer Analyse mehr Raum – bleibt rätselhaft; was mag sie an dieser ganz uninspirierten Belehrung bloß so überzeugt haben?

    Man mag mir nachsehen, dass hier nicht nur von Hans Boesch, sondern – fast ebensoviel – von seiner Laudatorin die Rede war; es ist nun aber einmal so: ihr Text ist Teil seines Buchs, das ohne ihren Beitrag – wer weiß? – vielleicht gar nicht erschienen wäre. Ihr Nachwort bleibt, wenn nicht in besserer, so doch – im Gegensatz zu den überflüssigen Texten Hans Boeschs – immerhin in zwiespältiger Erinnerung.

    "Samurai": Von Hans Boesch
    Verlag Nagel & Kimche