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Ruhrfestspiele mit Großdramatikern

Neben dem Altklassiker "Torquato Tasso" von Johann Wolfgang von Goethe in der Inszenierung des Hausherrn Frank Hoffmann kam bei den Recklinghauser Ruhrfestspielen ein Neuklassiker auf die Bühne, der in Kürze 93 Jahre alt wird: George Tabori. Sein autobiografisches Stück "Gesegnete Mahlzeit" ist ein Stück wie ein Gedicht aus drei Mahlzeiten, drei Essens- Tages- und Lebenszeiten.

Von Karin Fischer | 12.05.2007
    Neben dem großen Hermann Beil, der einen Dramaturgen gibt, aber eine riesige Kochmütze trägt, wirkt der kleinwüchsige Peter Luppa als Oberkellner Nana wirklich zwergenhaft. Er ist es aber, der diesem kleinen Tabori-Gericht, Verzeihung, -Gedicht, Würze verleiht. Aus der zweiten Szene "Mittagstisch", die anderen heißen erstens "Frühstück" und drittens "Abendmahl", macht er, mal tänzelnd, mal todesmüde taumelnd, eine Art "dinner for four2, führt jene surreale Ebene ein, die die ganze Szene später entgleisen lässt: eine Vertragsverhandlung in Hollywood zwischen einem Filmproduzenten und der Hauptfigur "Dirty Don", dem alter ego George Taboris, schraubt sich hoch zur verrückten Farce, in deren Mittelpunkt ein Knebelvertrag mit so schönen Worten wie Änderungshinweis, Fertigstellung, Fristen steht.

    Frühstück und Abendmahl - die drei Mahlzeiten stehen auch für drei Lebensalter - haben gänzlich anderen Charakter. Das Levée - Veit Schubert als Dirty Don liegt mit langer weißer Mähne wie Spitzwegs armer Poet zwischen Papier-Chaos auf einem Bett - enthält neben einem kafkaesken Anfangstext, einer assistierenden Lady Milena und der Geschichte von Jona und dem Wahl die ganze Poetik des Lebens von Tabori: "Jede Nacht eine Sterbeprobe. Übung macht den Meister", sagt der Mann, den wir beim "Abendmahl" in einem Hotel in Venedig wiedersehen, wo er sich ein letztes Mal dem Eros hingeben und seinen Nachruf als "Wüstling des Jahrhunderts" diktieren will. Das ist viel poetischer und auch gebrochener als eine Altherrenfantasie, aber ebenso egozentrisch. Ein gnädiger Grantler hält Rückschau, ein Glücksucher, dessen geistiges Unterfutter immer der Tod ist. Es ist die selbstkritisch-surreale Apotheose des Künstlers George Tabori als sehr alter Mann, die hier zelebriert wird. Das Berliner Ensemble, Hermann Beil leitete in diesem Tabori-Stück auch die Proben, arbeitet mit dieser szenischen Fingerübung mit an Taboris Nachruhm und an seinem Projekt, das eigene Leben quasi auf der Bühne zu enden. Das vor allem ist aller Ehren wert.

    Am zweiten Premierenabend kochte der Chef selbst. Frank Hoffmann inszenierte Goethes Künstlerdrama "Torquato Tasso" nicht so sehr als Kampf zweier Prinzipien - hier die tätige höfische Leistungselite mit ihren Verwertungs- und Nützlichkeitsprinzipien, da der autonome Geist, der sein Künstlertum zwar unverstellt, aber in den Augen der Mitmenschen doch auch ver-rückt und vor allem einsam lebt. Mit Wolfram Koch als Tasso und Martin Brambach als Staatssekretär Antonio hat er zwei hervorragende Schauspieler zur Hand, die dem Stück sowohl die blutleere Phrasenhaftigkeit Goethes als auch die von Hoffmann selbst dazu erdachte Künstlichkeit einfach austreiben. Das Stück spielt in einem von Karl Kneidls entworfenen Garten mit knöchelhohem Wasserbassin in der Mitte zwischen Gewächshäusern, deren hölzerne Abdecklatten immer dann umgeworfen werden, wenn es emotional hoch her geht. Vogelgezwitscher, Madrigale aus dem 16. Jahrhundert, dräuende Filmmusik, Bühnenregen und ein echter Hund vervollständigen die etwas platte Symbolik der Szene, in der Goethe ziemlich original gesprochen, aber doch zeitgemäß aufgehübscht wird, mit Fön und Fotoapparat und Flatterkleidchen für die Damen. Was wie ein Potpourri netter Einfälle aussieht, soll nach dem Willen des Regisseurs Tarkowskische Dimensionen erreichen, wenn sich die zwei Widersacher am Ende schwankend aneinander festhalten und die letzten Sätze gemeinsam sprechen. Zwar werden einige moderne Motivstränge heraus gearbeitet - Neid, Nebenbuhlerschaft und Niedertracht auch der beiden Eleonores; vor allem Jacqueline Macaulay als Schwester des Fürsten schafft die Gradwanderung zwischen Verständnisinnigkeit und Liebesverbot Tasso gegenüber spielend - , aber Funken schlägt die Inszenierung eigentlich nur aus der Konfrontation von Antonio und Tasso.

    Martin Brambach zieht alle Register zwischen ausgebuffter Schmeichelei, Scham und Berechnung; und auch Wolfram Koch hält seinen Tasso auf der Kippe zwischen Sensibilität und Egozentrik; ihm traut man das geniale Epos und die Künstler-Memme zu. Fazit: In einem nicht ganz starken Stück ist die Figurenpsychologie geglückt.