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Ruhrgebiet
Kunst unter Tage

Wer durch den Schlosspark in Bochum wandelt, ahnt nicht, welche Schätze unter seinen Füßen schlummern: 350 Kunstwerke zur Landschaftsmalerei aus fünf Jahrhunderten bietet das im Herbst 2015 eröffnete Museum unter Tage. Das ermöglicht nicht nur Besuchern einen völlig neuen Blick auf die Landschaftsmalerei, auch für die Kunst selbst hat der außergewöhnliche Standort Vorteile.

Von Klaus Deuste | 22.11.2015
    Der Lärmpegel des Straßenverkehrs auf der Bundesstraße 51 Richtung Bochum reißt nie ab. Aber im Ortsteil Weitmar kann man ausscheren, aussteigen und befindet sich nach wenigen Metern zu Fuß in einer Parklandschaft.
    Ein geschichtsträchtiger Park, den viele Spaziergänger schätzen. So wie Peter Berens, der sich noch an den Zustand des Geländes vor über 50 Jahren mit der Ruine eines Herrenhauses aus dem 16. Jahrhundert erinnert.
    "Damals war ich elf. Und das war schon sehr spannend, diesen Park zu erobern. Und in der Ruine vor allen Dingen herumzustöbern. Es war immer sehr schön anzusehen, aber eher dem Verfall Preis gegeben."
    Eine Oase der Entspannung
    Heute ist der Park eine Oase der Entspannung, garniert mit in der Landschaft integrierter Kunst wie etwa Stahlplastiken von Richard Serra. Während man an Blutbuchen, verschiedenen Eichenarten und Mammutbäumen, die zum Teil bis zu 400 Jahren alt sind, vorbeischlendert, läuft man schnurstracks auf das restaurierte Gemäuer des Herrenhauses aus dem Jahr 1592 zu, hinter dem sich ein quadratischer Kubus erhebt. Schon ein Kunstgebilde an sich, das seit 2010 für Ausstellungen dem Publikum zugänglich ist, als sich das Ruhrgebiet als Kulturhauptstadt international in Szene setzen durfte.
    Abstieg in die Unterwelt
    Doch schon auf dem Weg dorthin läuft man jetzt über Kunst hinweg, ohne es zu ahnen. Über das in seiner Art einmalige Museum unter Tage. Im Boden eingelassene Leuchtelemente weisen den Weg zu einer hohen Glastür in einem aufragenden schwarzen Kubus, der sich wie aus dem Boden gewachsen in das Parkensemble einfügt. Hinter der Tür führt ein hellweißer Treppengang unter die Erde im Ruhrgebiet.
    "Wir gehen hinunter auf eine Tiefe von etwa sieben Metern. Und was auch sehr kurios war, beziehungsweise im Ruhrgebiet nicht weiter erstaunlich, wir haben einen Kohleflöz in der Baugrube gefunden",
    erläutert Doktor Silke von Berswordt-Wallrabe von der Stiftung Situation Kunst beim Abstieg aus der Oberwelt. Sieben Meter unter der Erde eröffnet das Museum auf fast 2000 Quadratmetern Weltsichten auf Landschaften über Tage mit 350 Kunstwerken zur Landschaftsmalerei. Vom klassischen Ölgemälde über die Fotografie bis zu Videoinstallationen.
    Gerade unter Tage den Blick auf die Wahrnehmung von Landschaften und wie Menschen diese im Verlauf der Zeit verändert haben zu richten, ist für Kuratorin Maria Schulte kein Widerspruch. Schon gar nicht im Ruhrgebiet.
    "Wo die Landschaft etliche Umwälzungen erfahren hat, gerade durch die Industrialisierung und dann auch wieder durch die Deindustrialisierung."
    Und dazu passt in der gestalteten Landschaft des Schlossparks konsequenterweise auch kein Hochbau.
    "Wir gehen damit unter die Erde und betten dann eben das Museum so in die Natur ein, ohne sie zu zerstören."
    Außerdem findet Kunst unter Tage von Natur aus stabile klimatische Bedingungen vor, sagt Silke von Berswordt-Wallrabe - und vergisst nicht anzufügen:
    "Bemerkenswert ist vielleicht, dass wir das ganze Gebäude nur mit Geothermie beheizen und kühlen, also auch sehr energieeffizient arbeiten. Das geht hin bis zu den Lampen und Leuchtmitteln."
    Eine ganz besondere Atmosphäre
    Schon beim Eintritt in den ersten Ausstellungsbereich vergisst man schnell, dass man sich unter Tage befindet. Eine Raumhöhe von vier Metern lässt keinen Anflug von Beklommenheit aufkommen. Eine Atmosphäre, von der sich auch Kunstliebhaber Peter Berens, der schon zahlreiche Museen in Europa besucht hat, beim Rundgang angetan zeigt.
    "Die Räumlichkeiten sind fantastisch. Ich find es unglaublich schön ausgeleuchtet, weil es so reflexfrei ist, man kann die Bilder auch fürs Auge angenehm betrachten."
    Bilder aus fünf Jahrhunderten. Angefangen von der niederländischen Landschaftsmalerei, mit der im 17. Jahrhundert in Europa Landschaften zu einem eigenständigen Bild-Thema wurden, bis hin zur Fotografie der Neuzeit. Die Ausstellung umfasst unter anderem Werke von Courbet, Cezanne, Corinth, Klee und Radziwill. Bilder, die mehr als bloße Abbilder einer natürlichen Landschaft zeigen, sondern auch Einblicke auf Umbrüche in einer Gesellschaft eröffnen und damit die Sicht in der Kunst verändern. Silke von Berswordt-Wallrabe beschreibt das exemplarisch an einem Bild aus der Phase des Umbruchs zur Moderne.
    "Beispielsweise wie wir bei diese Lithografie von Pablo Picasso sehen. Das Aufklappen der Landschaft von der räumlichen Tiefe in die Flächigkeit. Hier sehen wir ja nur nicht Strukturen, Muster, flächige Formen, die wir erst wieder rückübersetzen müssten, um da eine Räumlichkeit zu erkennen. Ähnliches gilt auch hier für das Aquarell von Paul Klee."
    Neue Perspektive, neue Eindrücke
    Landschaften im Wandel der Zeit, die dem Spaziergänger unter Tage neue Eindrücke von der Welt über Tage vermitteln. Es lohnt sich, sich in manches Bild sprichwörtlich hinein zu versetzen.
    "Wir stehen hier vor einem Bild des chinesischen Malers Tshu-Shu. Auf den ersten Blick könnte man denken, dass dieses Bild leer ist oder auch eine monochrome Oberfläche zeigt. Wenn man sich aber Zeit lässt, und das kann durchaus ein paar Minuten dauern, dann erkennt man nach und nach bestimmte landschaftliche Konturen. Oben sehen wir einen Mond oder eine Sonne. Und wenn man sich weiter darauf einlässt, dann erkennt man auch Nadelwälder, einen Flusslauf oder einen Weg.
    Das Ganze lässt sich aber nie fixieren, das heißt das ist ein ständiger Prozess, der auch selbst sehr viel mit dem Betrachter zu tun hat."
    Vermeintlich Offensichtliches
    Aber auch beim ersten Hinsehen vermeintlich offensichtliche Darstellungsformen erweisen sich beim zweiten Draufschauen nicht als das, als was sie dem Betrachter erscheinen. So wie der großformatige Ausblick von Thomas Florschütz auf die Museumsinsel in Berlin durch verschmierte Fensterscheiben aus dem im Abbruch befindlichen Palast der Republik.
    Kein Gemälde, sondern eine Fotografie – aufgenommen zu einer Zeit, als sprichwörtlich noch Schleier über der Zukunft der deutschen Einheit lagen. Für Besucher, fasst Peter Berens seine Eindrücke zusammen, bietet dieses Museum eine Zeitreise unter Tage.
    "Ich bin einfach fasziniert von der Vielfalt. Einfach unter dem Aspekt eines bestimmten Sujets, eben Landschaft - einfach durch die Jahrhunderte zu gehen und zu gucken, wie haben Menschen in den verschiedenen Jahrhunderten Landschaft dargestellt und sich mit diesem Landschaftsbegriff auseinandergesetzt."
    Unter Tage ausgestellte Bilder, die die Wahrnehmung von Landschaften der Gegenwart schärfen, bevor man wieder sieben Meter höher an die Oberfläche steigt und vielleicht mit wacheren Augen noch eine Runde durch den Bochumer Schlosspark spaziert.