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Rumänien zwischen Nationalstolz und Nationalismus

Auch Rumänisch gehört zu den romanischen Sprachen, hat aber eine Sonderstellung inne. Die Jugend orientiert sich eindeutig in Richtung Westen, aber am meisten nach Amerika. "Westliche und östliche Elemente im rumänischen Geistesleben", damit beschäftigte sich Experten auf dem Balkanromanistentag.

Von Eva-Maria Götz |
    "Wenn wir uns mal fragen, was wissen wir in Deutschland über Rumänien? Da fallen einem als erstes solche Stereotypen ein wie Dracula, rumänische Einbrecherbanden, alles etwas unsicher und so weiter, nicht? Und dem möchte ich natürlich entgegenwirken. Übrigens merke ich, dass es da doch einen deutlichen Aufschwung gibt. Rumänien hat auch wirtschaftlich eine ganz beachtliche Entwicklung gemacht, dass man Wissen über Rumänien dann hier in Deutschland braucht und verbreiten muss."

    Der Romanist Wolfgang Dahmen, -ursprünglich eher der französischen Linie seines Faches zugeneigt-, kam aus einem spät erwachten Interesse an der rumänischen Sprache und ihren Besonderheiten zu seinem Spezialgebiet. Heute ist er der einzige Inhaber eines Lehrstuhles für Balkanromanistik in der Bundesrepublik und nun bereits zum zweiten Mal Gastgeber des Balkanromanistentages, der in diesem Jahr unter dem Thema: "Westliche und östliche Elemente im rumänischen Geistesleben" stand.

    "Das Rumänische spielt eine ganz andere Rolle als die anderen romanischen Sprachen. Die leben und haben sich entwickelt in einem Umfeld, das geprägt war unter anderem dadurch, dass diese Sprachen und Kulturen aufeinander selbst orientiert waren, aber sie waren zum Beispiel auch auf Rom orientiert. Davon war in Rumänien nicht die Rede. In Rumänien hat ab einem gewissen Zeitpunkt kein Mensch mehr etwas von Rom gewusst, und auch nicht, dass die Sprache von der lateinischen Sprache, also auch aus Rom, kam."

    Wolfgang Dahmen forscht vor allem an der Frühgeschichte des Landes, das sich offensichtlich immer dem genauen Blick entzogen hatte und so bis heute Anlass für Spekulationen und geheimnisvolle Geschichten bietet. Für Wissenschaftler ist hier noch viel zu entdecken:

    "Der älteste schriftliche Beleg für die französische Sprache ist aus der Mitte des 9. Jahrhundert, die Straßburger Eide, der erste Beleg für das Rumänische ist ein Brief von einem Bojaren, der ist aus dem Jahr 1521, also fast 700 Jahre später. Und das bedeutet auch, dass natürlich die Lücke zwischen dem, was wir noch wissen aus der Antike bis zu dem ersten Auftreten der schriftlichen Sprachform, sehr viel größer ist, die Quellenlage ist manchmal sehr viel unsicherer."

    In den rumänischen Fürstentümern orientierte man sich mit Beginn des 2. Jahrtausends in Richtung Osten, nach Byzanz, nach Russland. Die vorherrschende Religion ist seitdem russisch- orthodox, selbst zu der Zeit, als Teile des heutigen Rumäniens zu Österreich- Ungarn gehörten. Diese europäische Besonderheit blieb auch nach der Staatengründung 1866 bestehen. Und doch gab es damals einen regen Austausch zwischen den Künstlern und Intellektuellen aus Bukarest und dem westlichen Europa. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts kam beispielsweise der Erfinder des Dadaismus, Tristan Zara aus Rumänien. Denn hier gab es eine höchst vitale Avantgarde- Szene, weiß die Züricher Romanistin Christina Vogel:

    "Das Interessante an dieser Avant-Garde-Bewegung in Rumänien war eigentlich, dass sie sehr offen war für die verschiedensten Richtungen und Strömungen, also sie hat sehr früh und gleichzeitig Strömungen wie den Dadaismus, Futurismus, später auch den Surrealismus miteinbezogen, und die einzelnen Künstler und Dichter sind auch sozusagen gependelt zwischen den Bewegungen, also da war überhupt kein doktrinäres Denken, sondern der Versuch, die verschiedenen Bewegungen fruchtbar miteinander zu verbinden und dann auch durchaus eigenständig aufgrund des eigenen kulturellen Umfeldes zu entwickeln."

    In dieser Zeit des freisinnigen, international ausgerichteten Kulturlebens wurde Bukarest als das "Paris des Ostens" bezeichnet. Das Ende kam in den 20er und 30er Jahren. In Rumänien, das nach dem ersten Weltkrieg sein Territorium nahezu verdoppelt hatte, gewannen nationalistische Organisationen und Parteien an Einfluss und Macht. Und auch in Künstlerkreisen drehte sich nun alles um die "rumänische Seele", wie der "Nestor" der Balkanromanistik, Professor Klaus Heitmann aus Heidelberg berichtete:

    "Und nun hat man dann versucht, weitere Kriterien ausfindig zu machen, die auch zu konstituierenden Wesenseigentümlichkeit der Nation und des rumänischen Geistes beitrugen. Rumänien ist ein agrarisch bestimmtes Land, Rumänien, "das wahre Rumänien", das liegt bei den Bauern und auf dem Dorfe und dann hat es so etwas geradezu wie eine Verklärung des Bauerntums gegeben, so archaisch verwurzelt in uralten Traditionen... "

    Die damals begonnene Abschottung vom Westen hielt nach dem zweiten Weltkrieg, als Rumänien dem Hoheitsgebiet der Sowjetunion zufiel, an und erreichte seinen absurden Höhepunkt im Regime des Generals Nicolae Ceauscescu.

    "Dann hat man in den 70, 80er Jahren unter Ceauscescu abgegrenzt gegen das gesamte Ausland, so eine Art Wagenburgmentalität. Das ist dann in einen geradezu hysterischen Nationalismus ausgeartet, es hat da Rückgriffe gegeben auf einen Rechtsnationalismus der 30er und 40er Jahre. Das ist dann natürlich abrupt zu Ende gegangen mit der Revolution von 89, und nun ist Rumänien seither auf dem mühsamen und steinigen Weg zu einem Demokratieverständnis zu kommen wie es in Westeuropa nun Gott sei Dank definitiv etabliert scheint.

    Die Jugend orientiert sich eindeutig Richtung Westen, aber am meisten Richtung Amerika. Alle neueren Lehnwörter sind eindeutig aus dem Englischen. ... Die neuen Musikrichtungen sind ja "Hipp Hopp", "Manelle", also so eine Art Panbalkanische Popmusikrichtung, wo westliche und östliche Richtungen so ein bisschen drin sind, hier aber eindeutig die neuen Wörter wie "Sexystar" und "Superbabat" also "Supermann", also immer wieder englische Wörter. "

    Meint Esther Quicker, Romanistin an der Universität Bamberg. Die Öffnung Rumäniens in Richtung Westen macht das Land für auch deutsche Studierende interessant, wie die steigende Nachfrage an der Universität Jena nach diesem Forschungsbereich zeigt. Besonders gefragt ist ein interdisziplinärer Studiengang "Süd-Ost-Europastudien", der das jüngste EU-Mitgliedsland im Kontext seiner Nachbarstaaten Bulgarien, Serbien und Ungarn untersucht.