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Rumäniens erster Schritt in den Kosmos

Raumfahrt. - "Rumäniens erster Schritt in den Kosmos" - es waren große Worte, die letzte Woche an der rumänischen Schwarzmeerküste fielen. Dort nämlich hatte eine Gruppe junger Ingenieure gerade erfolgreich eine Testrakete in den Himmel geschossen. Es war der erste Raketentest der Gruppe namens Arca, der Rumänischen Vereinigung für Luft- und Raumfahrt, die an dem X-Prize genannten Wettrennen um den ersten privat finanzierten Flug in 100 Kilometer Höhe teilnimmt.

Von Keno Verseck |
    Wer den ausgeschriebenen Preis von zehn Millionen Dollar gewinnen will, muss mit einem wiederverwendbaren Apparat zweimal innerhalb von 14 Tagen mit drei Personen an Bord in 100 Kilometer Höhe fliegen.

    Wirkliche Raumfahrt ist das nicht - lediglich ein suborbitaler Flug mit vergleichsweise geringen technischen Anforderungen, bei dem ein Apparat bis zu einer bestimmten Höhe fliegt und danach zur Erde zurückfällt. Als Favorit gilt das Team des kalifornischen Experimentalflugzeug-Konstrukteurs Burt Rutan. Er hat die beiden Flüge seines "Space Ship One" für Ende September und Anfang Oktober angekündigt. Die Rumänen des Arca-Teams haben also praktisch keine Gewinnchancen mehr. Dennoch wollen sie in zwei Jahren ihre Rakete namens Orizont fertig stellen. Das Ziel der Gruppe ist, am Nachfolgewettbewerb des X-Prize teilzunehmen, dem X-Prize-Cup. Bei dem werden einzelne Flugaspekte prämiert wie etwa die größte erreichte Höhe, die größte transportierte Nutzlast oder der kürzeste Abstand zwischen zwei Flügen.

    Capu Midia an der rumänischen Schwarzmeerküste, 30 Kilometer nördlich der Hafenstadt Konstanza. Selten verirren sich Touristen in diese einsame Gegend. Es gibt nur eine Militärbasis in der Nähe und landeinwärts ein verschlafenes Dorf namens Vadu. Letzte Woche jedoch herrschte hier Hochbetrieb. Militärlastwagen brachten merkwürdiges Metallgerät in Strandnähe. Rozalia Gheorghe, die Dorflehrerin in Vadu, sah eine viereinhalb Meter lange Rakete:

    Ich dachte, die vielen Fahrzeuge hätten etwas mit der Nato zu tun oder mit ausländischen Investoren für die alten Fabriken hier.

    Sie habe gedacht, dass die Nato eine Übung abhalte oder dass sich ein ausländischer Investor für die Gegend interessiere, sagt die 54jährige Frau. Sie ist erstaunt, als sie hört, dass es um ein Raumfahrtprojekt geht.

    Ein paar Schritte vom Strand entfernt steht eine neunzehn Meter hohe Startrampe mit der Rakete Demonstrator 2B. Auf der weißen Rakete prangt das X-Prize-Symbol. Journalisten belagern Dumitru Popescu. Der 27jährige mit den krausen schwarzen Haaren ist der Leiter der Ingenieurgruppe Arca, der "Rumänischen Vereinigung für Luft- und Raumfahrt". Popescu erklärt das Antriebssystem der Rakete.

    Die Rakete wird mit hochkonzentriertem Wasserstoffperoxyd angetrieben, einer Substanz, die explosionsartig zerfällt, wenn ihr metallische Katalysatoren wie Silber oder Platin beigemischt werden. Beim Zerfall entsteht ein über tausend Grad heißes Gasgemisch aus Wasserdampf und Sauerstoff, das zur Erzeugung eines Rückstosses genutzt werden kann.

    Es ist eine bereits vor dem 2. Weltkrieg entwickelte Antriebstechnologie. Die Schubkraft, die zerfallendes Wasserstoffperoxyd erzeugt, ist vergleichsweise gering. Daher wird die Technologie nicht für Großraketen verwendet, sondern hauptsächlich in U-Boot-Torpedos.

    Die Arca-Ingenieure behaupten jedoch, sie hätten einen neuartigen Katalysator entdeckt, mit dem sich der Zerfall von Wasserstoffperoxyd sehr stark beschleunigen lasse und folglich auch als Antrieb für größere Raketen eigne. Um was für einen Katalysator es sich handelt, will Popescu nicht verraten. Er gibt allerdings zu, dass man selbst mit dem Wundermaterial nicht hundert Kilometer hoch fliegen kann, weil der Schub einfach zu gering ist. Die Rakete Orizont, mit der Arca am Rande des Weltalls kratzen will, müsste einen zweistufigen Antrieb besitzen. Deshalb testen die Arca-Ingenieure einen Ethylalkohol-Antrieb für eine zweite Stufe.

    Dragasani, ein ländlicher Ort in Südrumänien. Eine eisige Gegend im Winter, heiß und trocken im Sommer. In Dragasani ist Dumitru Popescu aufgewachsen. Er hat Theologie und Luftfahrttechnik studiert. Im Hof des familieneigenen Bauernhauses haben er und seine Freunde in der sengenden Sonne monatelang die Startrampe und die Rakete zusammengebastelt.

    Es ist schon amüsant, wie wir gearbeitet haben, so ganz ohne eine vernünftige Werkstatt. Einer hat geschweißt, einer hat einen Sonnenschirm gehalten, und der dritte hat dem Mann mit dem Sonnenschirm Luft zugefächert.

    Arca ist das mit Abstand ärmste Team unter allen 26 Teilnehmern des X-Prize-Wettbewerbs. Die 12 Arca-Leute, größtenteils Absolventen von Luftfahrt-Fachhochschulen in Rumänien, haben sich vor fünf Jahren zusammen gefunden. Mit dem Geld von Sponsoren wie dem rumänischen Ölkonzern Rompetrol konnten sie Material und Treibstoffe kaufen, Testmotoren und eine Testrakete bauen. Immerhin: Die meisten X-Prize-Teams sind gar nicht über das Stadium von futuristischen Zeichnungen und bunten Logos hinaus gekommen.

    Capu Midia am Schwarzen Meer letzten Mittwoch. Ein Militärlastwagen bringt die letzte Fuhre Gerät zur Startrampe. Besucher dürfen den Start aus Sicherheitsgründen nur von der drei Kilometer entfernten Militärbasis verfolgen. Doch sie warten an diesem Tag vergebens. Kurz nach dem Ende des Countdowns zischt weißer Dampf aus der Rakete. Sonst passiert nichts. Ein Treibstoffschlauch im Innern der Rakete hat sich gelöst, finden die Arca-Ingenieure später heraus. Erst der nächste Tag bringt den Erfolg.

    Vier Uhr nachmittags am nächsten Tag. Ein Ingenieur improvisiert einen Countdown über eine alte Lautsprecherbox. Er kommt jedoch nicht dazu, bis zum Ende zu zählen.

    Die Rakete zischt sechs Sekunden zu früh von der Rampe. Der Wind weht stark und böig. Aus Sicherheitsgründen hat die Armee die Flughöhe beschränkt. Zehn Kilometer sollte die Rakete eigentlich aufsteigen, doch die Arca-Ingenieure durften den Raketentank nur zu knapp 20 Prozent füllen. Trotz des Windes schießt die Rakete mit 650 Stundenkilometern fast senkrecht in den Himmel, stößt durch die Wolkendecke und fällt dann ins Meer, wo ein bereit stehendes Boot sie auffischt. Knapp tausend Meter hoch ist sie geflogen. Kurz nach dem Start beschreibt einer der Arca-Ingenieure aufgeregt, was beim Countdown schief gegangen ist.

    Der Treibstoffschlauch hat sich infolge des hohen Drucks gelöst, ist auf die Startkabel gefallen und hat damit den Start ausgelöst. Wir waren ziemlich überrascht. Ansonsten war der Start perfekt.

    Trotz des Zwischenfalls sind die Arca-Ingenieure hocherfreut über ihren Raketentest. Dumitru Popescu hofft, dass sich nun, wo seine Truppe erfolgreich ihre Technologie demonstriert hat, neue Sponsoren finden. Wenn finanziell und technisch alles gut gehe, werde man hoffentlich bis Ende 2006 erstmals eine Rakete mit einem Piloten starten können - nicht 100, aber hoffentlich zwei, drei Dutzend Kilometer hoch, so Popescu.

    Doch selbst 100 Kilometer Höhe wären keine Raumfahrt. Nicht einmal das Raketenflugzeug der kalifornischen X-Prize-Favoriten ist annährend schnell genug, um eine Erdumlaufbahn zu erreichen. Popescu spricht dennoch davon, dass die X-Prize-Teilnehmer den staatlichen Raumfahrtagenturen in Russland und den USA künftig Konkurrenz machen würden. Vielleicht ist es der Theologe und Prediger in ihm, der ihn dazu verleitet, seinen Raketentest mit großen Worten zu kommentieren:

    Dieser erfolgreiche Test trägt dazu bei, das Ansehen Rumäniens im Ausland zu verbessern. Ich glaube, wir können sagen, es ist der erste Schritt Rumäniens in den Kosmos. Denn wir haben jetzt eine Technologie, die wir entwickeln müssen, um dorthin zu kommen.