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Rumäniens Jugend auf dem Sprung

Spätestens Anfang 2008 wird Rumänien der Europäischen Union beitreten. Viele Rumänen verbinden damit die Hoffnung auf ein besseres Leben, nachdem die kommunistische Diktatur das Land heruntergewirtschaftet hat. Doch andere junge Leute wollen einfach nur noch möglichst schnell weg, um im Ausland ihr Glück zu versuchen. Corinna Niebuhr berichtet.

18.08.2006
    Wolkendorf, ein kleiner Ort in Transsilvanien. Pferdewagen holpern über die unbefestigte Straße. Bettina Schnabel steht in Sonntagstracht im Kirchgarten. Sie gehört als Siebenbürger Sächsin in Rumänien zur deutschen Minderheit. Obwohl Bettina erst 16 Jahre alt ist, hat sie bereits klare Vorstellungen, was sie nach Beendigung der Schule einmal machen möchte. Sie möchte Kriminalistik studieren. Und da sie das nur im Ausland machen kann, lernt sie fleißig Englisch, Französisch und Latein. Fehlende Ausbildungsplätze sind nicht der Grund.

    "Also es gibt sie, aber man muss sehr viel bezahlen. Und wissen Sie, in Rumänien ist es so: Wer Geld und sehr viele Menschen kennt, der kann. Aber es gibt auch die einfachen Menschen, die nicht so viel Geld haben und die können nicht sehr viel machen. Deshalb sind auch meine Eltern weg."

    Bettina Schnabels Eltern arbeiten seit zwei Jahren in Italien. Denn wer kann, geht aus Wolkendorf weg. Das hat auch Georg Vulea einmal vor. Der 18-Jährige, dessen Vater Siebenbürger Sachse und dessen Mutter Rumänin ist, will nach seinem Schulabschluss irgendwo im Ausland einmal als Lkw-Fahrer arbeiten.

    Georg Vulea lacht, als im Hof nebenan gerade ein Schwein geschlachtet wird. Ja, das könne er auch. Dies sei ja der Vorteil eines Dorfes: Man habe auch im Winter etwas zu essen. Was sich in Rumänien nach dem EU-Beitritt alles verändern wird, hat er im Fernsehen gesehen. Vor dem Wandel hat er aber keine Angst.

    "Ich glaube, dann wird es besser. Aber es dauert ein wenig, so 20 Jahre. Es ist viel zu machen hier."

    Neben der Kirche, in einem Café, wo die Dorfjugend an den Wochenenden zu rumänischem Pop und Eminem tanzt, wischt Neagoie Raluca, eine 17-jährige Rumänin, die Tische ab.

    "Ich will Arzthelferin werden und in einer Klinik arbeiten. Dafür möchte ich nach Deutschland gehen oder nach Amerika. Im Ausland kann ich mit meinem Geld dann auch mehr anfangen."

    Noch glauben die Jugendlichen in Wolkendorf nicht an eine Zukunft in ihrer Heimat. Das bekommt auch Hermann Kurmes zu spüren, der in Wolkendorf geboren ist und viele Jahre in Deutschland lebte. Mit Frau Katharina betreibt Hermann Kurmes nicht weit von Wolkendorf entfernt nun ein Ökotourismus-Hotel. Das Ehepaar sucht seit drei Jahren nach jungen Arbeitskräften aus der Region, die Fremdsprachen sprechen und als Gästeführer arbeiten wollen. Vergeblich. Keiner habe ernsthaftes Interesse, klagen die Kurmes. Ihre jungen Saisonkräfte werben sie deshalb weiter in Deutschland oder England an.

    Im zwei Stunden entfernen Hermannstadt ist der wirtschaftliche Aufschwung schon sichtbar: Nahezu die komplette Altstadt wird gerade saniert. Die 170.000 Einwohner große Stadt ist Rumäniens Boom-Town: Seit 2003 siedelten sich dort über 400 ausländische Firmen an - ein Großteil aus Deutschland.

    Für den Rumänen Radu Coica Zeichen genug, selbst etwas zu wagen. Der 27-Jährige spricht gut Deutsch und Englisch und eröffnete vor zwei Jahren in bester Stadtlage ein Tourismusbüro. Den Gedanken an Auswanderung oder an Auslandsarbeit weist Radu Coica weit von sich.

    "Diese Stadt liegt mir am Herzen. Ich möchte hier bleiben. Ich bin der Meinung, Hermannstadt braucht mich."

    Für viele junge Hermannstädter ist Radu Coica ein Vorbild. Auch der 20-jährige Dan Irimiea genießt das Stadtleben. Ohne die Klubs, die Leute, könne er nicht mehr leben, sagt der Jurastudent.

    "Man kann auch in Rumänien leben, wenn man will. Statt sich zu beklagen, sollten die Leute lieber ihre Bedingungen selbst verbessern: das Einkommen, das Leben an sich. Es ist hart, aber es ist zu schaffen."

    Auch der 23-jährige Alex Spielhaupter will, wenn überhaupt, nur ins Ausland gehen, wenn es ihn beruflich weiter bringt. Einen Arbeitsplatz hat der junge Lehrer schon: am Brukenthal-Gymnasium in Hermannstadt. Dort wird in Deutsch unterrichtet. Die Schule ist gut besucht. Für den Direktor Gerold Hermann jedoch kein Grund zur Freude: Wegen der schlechten Bezahlung findet er keine Lehrer mehr, klagt Hermann. Alex Spielhaupter ist die Bezahlung egal.

    "Alle Leute sagen, wir haben nach der Wende unsere Freiheit erworben. Es ist eine sehr schlecht verstandene Freiheit. Wenn jemand etwas will, dann geht es nach dem Prinzip: Der, der am lautesten brüllt, bekommt seine Sache. Ich will das nicht so. Wenn mich jemand überzeugen will, soll er mir Argumente bringen. Das will ich auch den Kindern beibringen."