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Rumstehen für Europa

War das nicht schön gestern Abend in den Fernseh-Nachrichten, wie unsere Frau Bundeskanzlerin da in Brüssel am Konferenztisch saß, und Hinz und Kunz sich bemüht hat, ein paar Worte mit ihr zu wechseln? Da hat man gleich gesehen, wer wichtig ist in der Europäischen Union.

Von Alois Berger |
    Aber da standen auch viele europäische Politiker herum, allesamt richtige Präsidenten oder zumindest Premierminister, die man sonst nie im deutschen Fernsehen sieht. Für einen Moment hätte man fast glauben können, dass die Europäische Union doch nicht nur aus Merkel, Sarkozy und vielleicht noch dem Luxemburger Jean-Claude Juncker besteht.

    Die Bilder wurden übrigens unmittelbar vor Beginn des EU-Gipfels aufgenommen. Das ist so etwas wie die blaue Stunde des Europäischen Rates, wenn die Staats- und Regierungschefs im Konferenzraum ankommen, ein bisschen herumstehen und demonstrativ das lockere Gespräch mit den anderen Staats- und Regierungschefs suchen. Dutzende von Kameras filmen jede Muskelzuckung und jeden Augenaufschlag, aus Gründen der Intimität allerdings ohne Ton. Das Ganze wird dann in einer Endlosschleife im Presseraum stundenlang zur Vorführung gebracht. Damit den Journalisten nicht langweilig wird. Denn der eigentlichen Gipfel findet hinter verschlossenen Türen statt.

    Umso wichtiger ist es für die EU-Chefs, vorher noch schnell eine gute Figur zu machen. Schließlich sind dies die Bilder, die später in den Fernsehnachrichten auftauchen. Manchmal erinnert das Ganze an eine Familienaufstellung beim Therapeuten. Wenn zum Beispiel der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban angestrengt vermeidet, allein herum zu stehen. Was gar nicht so leicht ist, weil fast alle anderen lieber nicht mit diesem Orban gesehen werden wollen, der zu Hause gerade versucht, eine Einparteiendemokratie aufzubauen. Deshalb muss sich Orban sehr lange mit dem kroatischen Premier unterhalten, der zum ersten mal dabei ist und froh sein muss, dass sich überhaupt jemand um ihn kümmert.

    Besonders schön auch, wie intensiv der britische Premier David Cameron in solchen Fernseh-Momenten um einen ernsten Gesichtsausdruck bemüht ist - das hängt vermutlich damit zusammen, dass er vorher den britischen Journalisten unten am Eingang erzählt hat, wie er den Kollegen bei diesem Gipfel wieder die Leviten lesen will. Dass sie zum Beispiel endlich die britische Wirtschaftspolitik kopieren sollten, um ihren Euro zu retten. Zuviel Kumpelhaftigkeit mit diesen Kommis vom Kontinent würde zuhause nicht gut ankommen, weshalb Cameron fast die ganze Zeit nur sehr ernsthafte Gespräche mit osteuropäischen Regierungschefs führt, an deren marktliberalen Grundhaltung selbst der letzte konservative Tory nicht mehr zweifeln kann.

    Nur bei Angela Merkel lässt sich der Brite zu einem feinen Lächeln hinreißen- es könnte ja sonst so aussehen, als bekäme er einen Rüffel. Das Lächeln friert aber gleich wieder ein, als Nicholas Sarkozy dazukommt und mit einem sehr kurzen Händedruck klarstellt, dass er Camerons Runtermachen einer Finanztransaktionssteuer noch lange nicht vergessen hat.

    So kann man trotz aller Schauspielerei und ohne Ton doch ganz gut erkennen, wo derzeit die Fronten in der Europäischen Union verlaufen. Aber es gibt auch neue Bündnisse. Bisher traten Merkel und Sarkozy in Brüssel meistens als Duo auf. Gestern aber hatten die beiden, wo immer sie auftauchten, den italienischen Ministerpräsidenten Mario Monti dabei. Offensichtlich hatten sich die drei eine ganze Menge zu sagen. Professor Monti kann ohnehin nicht schauspielern. Es könnte also durchaus sein, dass die Europäische Union nun von einem Trio geführt wird.