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Run auf die Zahnarztpraxis

Zahnmedizin ist nach Meldungen der ZVS in diesem Sommersemester das Fach mit den deutlichsten Zuwächsen bei den Bewerberzahlen. Im Vergleich zum Vorjahr wollen 47 Prozent mehr Abiturienten Zahnärzte werden. Einen derartigen Anstieg der Bewerberzahlen hat es noch nie gegeben. Und das ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, wo sich viele Zahnärzte beschweren, weil sie durch die Gesundheitsreform weniger verdienen.

Von: Kai Toss | 08.03.2004
    Hier wird nicht gebohrt, sondern gereinigt. Zahnpflege mit Ultraschall. Das zugegebenermaßen fiese Geräusch steht dennoch für neue Wege in der Zahnheilkunde. Früher stand die Schmerzbehandlung der Patienten im Vordergrund. Das Patentrezept der Ärzte: Zahn ziehen, Prothese einsetzen, fertig. Dr. Elian Cunea ist seit über 30 Jahren Zahnarzt in Duisburg. Er sagt:
    Wir sind nicht mehr die Klempner von damals. Wir ziehen immer weniger. Wir reparieren immer weniger. Wir gehen weg von der Reparaturmedizin, von der Reparaturzahnmedizin zur High-tech Zahnheilkunde. D.h. wir versuchen nicht nur zu erhalten, sondern gesund zu erhalten. Das ist etwas, was nicht mehr frustrierend ist. Jetzt macht es immer mehr Spaß, in den Beruf einzusteigen.
    Und das trotz der Gesundheitsreform, so Cunea. Die Honorare fließen nicht mehr so üppig wie in der Vergangenheit.
    Natürlich ist das viel geringer. Das kann man überhaupt nicht vergleichen. Aber wir können von dieser Mercedes-Mentalität auf eine Volkswagen-Mentalität umsteigen. Das ist überhaupt kein Problem. Sicher: Ein Arzt, ein Zahnarzt muss gut verdienen, damit er sein Lebensunterhalt ruhig gestaltet wird. Er muss Ruhe haben, damit er für seine Patienten Ruhe hat.
    Diese finanzielle Ruhe werden Zahnärzte auch in der Zukunft haben, sagt der Direktor der Westdeutschen Kieferklinik in Düsseldorf, Professor Dr. Wolfgang Raab.
    Was den wenigsten geläufig ist, ist die Tatsache, dass Medizin der Bereich mit der höchsten Zuwachsrate insgesamt ist. Man denkt zunächst immer an IT-Technologie, was einfach nicht korrekt ist. Und: Patienten werden, salopp gesagt, immer vorhanden sein. Die demografische Entwicklung mit zunehmendem Alter der Patienten lässt auch einen ansteigenden Bedarf bei der Zahnmedizin erwarten.
    Immer mehr alte Menschen werden Dank der Fortschritte in der Zahmedizin auch im hohen Alter noch Zähne haben. Glänzende Berufsperspektiven für die angehende Zahnärztegeneration also. Die 23jährige Saskia Tietz beginnt mit dem achten Semester. Finanzielle Gründe standen bei ihrer Wahl des Studiums nicht im Vordergrund.
    Ich habe mich dafür entschieden, weil ich mich schon immer für Medizin interessiert habe und ich wollte immer was Handwerkliches. In der Schule hat mir immer Kunst Spaß gemacht und da habe ich mir gedacht: Zahnmedizin hat noch was künstlerisches. Das war der Hauptgrund.
    Deshalb möchte sie sich später mit Zahnästhetik beschäftigen. Warum sich so viele Bewerber um die ausgerechnet um die zahnmedizinischen Studiengänge bewerben, dafür hat sie keine Erklärung. Bundesweit stehen knapp 3000 Studienplatz-Bewerbern nur 610 Studienplätze gegenüber. 47 Prozent mehr Bewerber als im Vorjahr. Das Interesse an allgemeinmedizinischen Studiengängen ist hingegen nur um 23 Prozent gestiegen. Noch einmal Professor Dr. Wolfgang Raab von der Westdeutschen Kieferklinik mit einem erklärungsversuch
    Einer der Gründe dürfte sein, das der Europäische Gerichtshof entschieden hat, dass Bereitschaftsdienste an Kliniken als Arbeitszeiten zu werten sind. Damit ist langfristig eine nicht unerhebliche Einkommenseinbuße der jungen Assistenzärzte während der Facharztausbildung an Kliniken gegeben. Ich sehe dies durchaus als nicht unbegründeten Aspekt, warum verstärkt Abiturienten sich für die Zahnmedizin und nicht für die Medizin beworben haben.
    Bernhard Scheer von der ZVS in Dortmund hat dagegen mehr die nüchternen Zahlen seiner Behörde im Blick.
    Diese Zunahme hat sich in den letzten beiden Jahren schon angekündigt. Wir konnten zu den Wintersemestern immer ein Plus von 20 Prozent verzeichnen. Und diese Leute konnten wir natürlich leider nicht alle mit Studienplätzen bedienen. Von daher baut sich jetzt so eine Warteschlange auf, die sich in diesem extremen Missverhältnis von Angebot und Nachfrage niederschlägt.