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Rund um die Tanzlinde

Sechs echte Tanzlinden gibt es noch in Deutschland, drei im bayrischen Norden und drei in Südthüringen. Die Tanzlinde in Limmersdorf im oberfränkischen Landkreis Kulmbach gehört mit 325 Jahren zu den ältesten. Jedes Jahr zur Kirchweih holen die Limmersdorfer die Stiege heraus und tanzen in ihrer Linde.

Von Julia Belke | 16.10.2011
    ""Es pilgerte, wie jedes Jahr, nach Limmersdorf die Tausendschar – so geht's los…Und wir, wir sehen alle gern, die hier im Weiden-Linden-Rund, verbrachten manche schöne Stund."

    Tausende sind es vielleicht nicht, trotzdem kann "Kirchweihpfarrer" Günther Kamps zufrieden sein: zahlreiche Besucher haben an diesem sonnigen Sonntagmittag den Weg in die wenige hundert Seelen Ortschaft gefunden. Nach dem Festgottesdienst platzt der Dorfplatz abseits der Durchfahrtsstraße aus allen Nähten. Die Limmersdorfer und ihre Gäste drängen sich auf Biertischgarnituren und essen selbst gebackenen Erdbeerkuchen. Es riecht nach Bratwürsten, Fischbrötchen und gebrannten Mandeln und Bier wird ausschließlich im Liter ausgeschenkt.

    Im Mittelpunkt des Platzes und des Festes steht die Linde, ein knorriger Baum, ungefähr 16 Meter hoch und mit einem Stammumfang von 5 Metern. Es handelt sich um eine sogenannte echte Tanzlinde, die so gezogen wurde, dass die unteren Äste den hölzernen Tanzboden stützen, der jedes Jahr in 3,50 Metern Höhe eingezogen wird. Genaueres über das mögliche Alter des Baums weiß Veith Pöhlmann, Vorsitzender des Vereins zur Erhaltung und Förderung der Limmersdorfer Kirchweihtradition:

    "Es gibt ein Schriftstück, in dem davon gesprochen wird, dass ein Bauer aus dem Anlass, dass er die Kirchweih hier machen durfte - die Kirchweih gab es also schon früher, unsere Kirche hatte letztes Jahr 500 Jahre Baubeginn der Kirche - das gepflanzt wurde und die Schrift ist etwas unklar, das könnte 1680 heißen, aber wir glauben, dass es 1686 heißt und sind da ganz bescheiden und sagen, 1686 ist für uns das offizielle Pflanzdatum."

    Damit feiert die Lindenkirchweih in diesem Jahr ihren 325. Geburtstag. Organisiert wird das Spektakel seit jeher von vier ledigen Limmersdorfer Burschen, den Platzburschen, die sich vier junge Mädchen aus dem Ort zur Unterstützung suchen, die Platzmadla. Die vier Platzpaare sind für den reibungslosen Ablauf des gesamten Festbetriebs inklusive Live-Musikprogramm am Abend verantwortlich. Die 17-jährige Schülerin Franziska Krahl ist zum ersten Mal als Platzmadla dabei. Als sie gefragt wurde, ob sie mitmachen möchte, musste sie nicht lange überlegen:

    "Ja, also es ist natürlich Tradition, zum einen, und man sagt so, als Limmersdorfer muss man die mal mitgemacht haben. Das ist so halt dieses Feeling und wenn man nur selber hingeht dann kriegt man das gar nicht so mit, wie das eigentlich ist, also es ist als Platzmädchen noch mal ganz anders als als normaler Kerwabesucher. Meine Tanten haben schon mitgemacht, mein Papa hat selber schon mitgemacht, man möchte es erhalten und man sieht dann wie die Mädels vorher getanzt haben und mit den tollen Kleidern natürlich auch und das ist einfach so ein Anreiz, dabei mitzumachen."

    Die Kleider werden extra für die Kirchweih ausgeliehen. Neben der weißen
    Bluse mit schwarzem Rock und bunter Schürze darf auch der Blumenkranz im Haar nicht fehlen. Für die Burschen ist der Zylinder wichtigstes Accessoire. So sind sie perfekt gerüstet für den Höhepunkt des Tages, den Umzug durchs Dorf. Angeführt wird der Zug von einem geschmückten Hammel und dem "Biersprenger", einer riesigen, mit Blumen verzierten und mit Gerstensaft gefüllten Gießkanne zum Nachfüllen der handbemalten Bierkrüge, die den Zuschauern am Rand in die Hand gedrückt werden und manchen verdutzten Auswärtigen als Kirchweihanfänger entlarven. Der Umzug folgt der Tradition des "Rumspielens", erklärt Fabian Kraus, der eigentlich eine Lehre zum
    Industriekaufmann macht, aber im Moment vor allem hauptberuflicher Platzbursche ist:

    "Wir Platzburschen müssen uns sozusagen Ersatzplatzmadla suchen, und dann laufen wir hier am Festplatz los, laufen dann zu den Mädels nach Hause, alle vier der Reihe nach ab, und die Mädels werden dann sozusagen abgeholt, das heißt es wird dann im Hof getanzt, einmal, und dann kommt das normale Platzmädchen raus und dann tanzt man mit dem noch mal und dann geht man zum nächsten Haus und da tanzt man dann wieder, bis man wieder hier ist."

    Dem Umzug folgt endlich der Tanz auf der Linde, sogar für die Musiker ist noch Platz in der Baumkrone. Nach den Platzpaaren steht der Tanzboden allen Kerwabesuchern offen, es ist genug Platz, dass acht Paare bequem nebeneinander tanzen können.

    Nach dem Tanz auf der Linde ist die Kirchweih noch lange nicht vorbei, am Montag holen dann die Mädchen ihre Platzburschen beim Umzug ab und es wird noch bis Dienstagabend weitergefeiert. Dann ist Günther Kamps Augenblick gekommen, der seit nicht weniger als 45 Jahren als
    "Kirchweihpfarrer" dem eigentlichen Geistlichen Konkurrenz macht und in seiner Predigt zum Abschluss der Kerwa von den Stufen zur Linde herab die Ereignisse seit dem Bieranstich noch einmal auf humorvolle Weise Revue passieren lässt. Er erinnert sich an manche kuriose Begebenheit während seiner langen Amtszeit, zum Beispiel die Entführung des Platzhammels:

    ""Und da ist der in der Nacht von Sonntag auf Montag gestohlen worden - entführt worden! Das war so eine Truppe, die haben dann einen Bekennerbrief losgelassen: also zehn Maß Bier und 20 Paar Bratwürste! Ja, was wollten die vier Platzpaare, also die Verantwortlichen, machen? Sie mussten auf die Forderungen eingehen und dann haben sie ihren
    Platzhammel wiedergekriegt – sonst hätten die am Montag beim Umzug keinen Platzhammel gehabt! Der muss ja voraus!"

    Die letzte Amtshandlung des Kirchweihpfarrers ist in jedem Jahr die Beerdigung der "Lizza", wie die Limmersdorfer die Holzstiege zur Linde nennen. Zwölf starke Männer sind nötig, um die Treppe abzunehmen und dreimal um die Linde zu tragen, begleitet von der Kapelle mit einem Trauermarsch und gefolgt vom Pfarrer und den Platzpaaren. Für die kommenden Monate kann die Linde wieder nur von unten bewundert werden. Bevor der Abend im Festzelt gemütlich ausklingt, wird die Lizza wieder für ein Jahr im Schuppen verstaut und Günther Kamps beendet die Lindenkirchweih mit den Worten:

    ""Halleluja, die Kerwa ist aus, Halleluja!"