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Rund ums Essen

Der Vitamin-D-Mangel ist in der Ernährung hierzulande viel ausgeprägter als bisher angenommen. Darüber hinaus ist der Appetit auf zwar gutschmeckende, aber häufig ungesunde Lebensmittel genetisch vorprogrammiert. Dies sind zwei Ergebnisse einer Tagung an der ETH-Zürich, auf der sich in den vergangenen Tagen alles rund ums Essen drehte.

Von Thomas Wagner |
    "Es ist natürlich wichtig, dass Essen mit Genuss verbunden ist: Wenn Essen eine masochistische Übung wäre, dann wäre die Menschheit schon längst ausgestorben. Also es ist von der Natur so eingerichtet, dass Essen Spaß macht."

    Dass das Genusserlebnis beim Essen das Überleben der Menschheit über Jahrmillionen sicherte, ist das eine. Dass übermäßiger Genuss heute zu schweren Krankheiten, ja sogar zum Tod führen kann, das andere - zwei Seiten der gleichen Medaille, so Professor Wolfgang Langhans von der Schweizerischen Gesellschaft für Ernährung. Denn die meiste Zeit seiner Geschichte sah sich der Mensch immer mal wieder mit Hungerperioden konfrontiert. Daher sicherte ihm der Instinkt, immer dann zuzuschlagen, wenn auch wirklich was Leckeres zum Futtern da war, das Überleben. Doch heute haben sich, zumindest in der westlichen Welt, die Umweltbedingungen geändert:

    "Wir leben heute in der Überflussgesellschaft, im Schlaraffenland. Das heißt: Wir haben heute konstant ein Angebot an gut schmeckenden Lebensmitteln. Und wir sind eigentlich so gebaut von der Genetik und von der Natur her, dass wir dann immer essen können, viel essen können, weil das früher in der Geschichte notwendig war, um dann hinterher Zeiten von Nahrungskarenz gut überleben zu können: Je mehr wir in uns reinschaufeln konnten, wenn ein gutes Angebot da war, desto größer war die Wahrscheinlichkeit, dass wir die Hungerszeiten überleben konnten. Und das macht uns heute die Probleme, weil diese Hungerszeiten eben in unserer modernen Welt nicht mehr kommen...."

    Folge: Der Mensch ist ständig dem Überfluss ausgesetzt, nimmt mehr zu, als gesund ist. Viele leiden an Kreislauferkrankungen und Herzbeschwerden; die Folgen sind bekannt. Weitaus wenig bekannt ist die Feststellung, dass es auch mit der quantitativen Zusammenstellung unseres Speiseplans nicht zum Besten bestellt ist. Auf der Züricher Tagung diskutierten die Experten einen gravierenden Mangel an Vitamin-D - und das mitten in der Überflussgesellschaft. Und gerade mit diesem Vitamin-D-Mangel dürfe man nicht spaßen, betont Professor Peter Stehle von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung in Bonn:

    "Vitamin-D spielt eine Rolle spielt eine Rolle im Stoffwechsel des Knochens. Das heißt: Wir brauchen eine gewisse Menge Vitamin-D, um zum Beispiel Kalzium aus der Nahrung aufzunehmen. Kalzium ist natürlich ein Baustein für Knochen. Und wenn Sie zu wenig davon haben, können sich vor allem im Alter Krankheiten wie Osteoporose, also Knochenerweichung, entwickeln. Und bei Kindern gibt es das auch: Wenn die noch im Säuglingsalter sind, werden die auch supplementiert mit Vitamin D. Dort haben wir dann eine Mangelerkrankung namens Rachitis, also Knochenerweichung."

    Vor allem bei Knochenerkrankungen wie Osteoporose sei der Vitamin-D-Mangel in der Vergangenheit unterschätzt worden, hieß es auf der Züricher Tagung. Dies hängt damit zusammen, dass jüngere Menschen Vitamin D in Eigensynthese selbst herstellen können - nämlich dann, wenn sie häufig UV-Licht ausgesetzt sind. Durch verändertes Arbeits- und Freizeitverhalten geht die körpereigene Produktion von Vitamin-D zurück; der Mensch hält sich häufiger als früher in geschlossenen Räumen auf. Auf der anderen Seite gibt der tägliche Speiseplan aber nicht einmal ansatzweise genügend Vitamin-D her. Professor Wolfgang Langhans:

    "Sie müssten beispielsweise zwei Mal am Tag eine Portion fetten Fisch essen, Lachs beispielsweise. Und auch da dürfte es dann kein Zuchtlachs sein, sondern es müsste Wildlachs sein, weil der Zuchtlachs weniger Vitamin-D hat. Und das ist unrealistisch, wenn Sie sich die Ernährungsgewohnheiten bei uns in Mitteleuropa, Deutschland, Schweiz, Österreich und so weiter ansehen."

    Deshalb denken die Ernährungsexperten darüber nach, Empfehlungen zur Einnahme von ergänzenden Vitamin-D-Dragees für breite Bevölkerungsschichten auszusprechen. Professor Peter Stehle von der DEG Bonn:

    "Was zur Zeit wissenschaftlich diskutiert wird, ist, ob es auch notwendig ist, das auch für junge Erwachsene zu machen, vor allem für diejenigen, die nicht regelmäßig das ganze Jahr über mit der notwendigen Sonnenbestrahlung ausgestattet sind. Da gibt es aber noch keine endgültigen Beschlüsse diesbezüglich. Wir diskutieren gerade neue Referenzwerte für Vitamin-D."

    Immer wichtiger wird unter den Ernährungsexperten die so genannte Nutrigenomik. Dabei untersuchen die Fachleute, inwiefern bestimmte Ernährungsgewohnheiten durch das Erbgut vorausbestimmt sind. Durch individuelle Erbgutanalysen wollen sie in Zukunft einen darauf abgestimmten Ernährungsplan für Patienten erarbeiten, die an den Folgen falscher Ernährung leiden. Professor Ibrahim Elmadfa von der Universität Wien, Präsident der österreichischen Gesellschaft für Ernährung, mit einem Beispiel:

    "Ein gutes Beispiel ist die Erforschung von Adipositas, also von massivem Übergewicht. Und da versucht man das auch mit der Nutrogenomik, mit den genetischen Einflüssen besser zu erforschen in der Hoffnung, dass man mit dieser verbesserten Diagnose und Charakterisierung eine bessere Therapie oder vielleicht Prävention formulieren kann. Das sind Ideen und Vorstellungen der Zukunft: Maßgeschneiderte Ernährungsprogramme zu entwickeln auf das Individuum hin."