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Rundfunkräte auf dem Prüfstand

Seit die Rundfunkräte nach dem Krieg gegründet wurden, hat sich wenig an ihrer Struktur geändert. Vor allem ihre große Nähe zum Staat wird oft kritisiert. Die gescheiterte Wahl von Bernd Hilder zum Intendanten des MDR hat das Thema wieder hochgekocht.

Von David Goeßmann | 01.10.2011
    Oliver Passek ist Medienpolitik-Experte bei Bündnis 90/Die Grünen und Mitglied im ZDF-Fernsehrat. Vier- bis fünfmal im Jahr trifft er sich mit den anderen 76 Fernsehräten. Dazu kommen ein paar Ausschusssitzungen.

    Die Macht der Rundfunkräte werde aber oft überschätzt, sagt Passek. Die eigentlichen Entscheidungen des Senders würden an anderer Stelle getroffen:

    "Häufig heißt es dann: Ihr habt jetzt zugestimmt, dass soundsoviel Geld für die Sportrechte ausgegeben wird. Oder ihr habt jetzt entschieden, dass soundsoviele Male wieder eine Vorabendserie gedreht wird, die auch die Privaten machen. Das stimmt alles nicht. Die Rundfunkräte entscheiden darüber nicht. Gerade beim ZDF herrscht das Intendantenprinzip. Das heißt, der Intendant hat die Instrumente in der Hand, um seine Vorstellungen natürlich nach den Vorgaben des Haushalts durch die KEF umsetzen kann. Aber die Rundfunkräte haben nur eine beratende Funktion."

    Eine beratende Funktion, heißt zum Beispiel: Wenn mit einem neuen Sendeformat wie "Pixelmacher" auf ZDF-Kultur über Computerspiele ein jüngeres Publikum angesprochen werden soll, dann wird darüber im Rat debattiert. Und es werden Empfehlungen gegeben. Zudem arbeitet man regelmäßig Programm-Beschwerden ab. Mal ist es Kritik an einer zu pompösen Berichterstattung über eine Königshochzeit, mal parteipolitische Entrüstung über einen Politmagazin-Beitrag, mit dem sich die TV-Aufsicht auseinandersetzen muss.

    Den Gremien wird von Kritikern dabei vorgeworfen, dass sie wichtige Themen wie Schleichwerbung oder Drittmittelfernsehen nicht energisch genug verfolgten. Ansonsten ist das öffentliche Interesse für die Arbeit der Räte äußerst gering. Das ändert sich nur, wenn im ZDF-Fernsehrat oder in den ARD-Rundfunkräten Intendantenwahlen oder andere Personalentscheidungen anstehen. Dann versuchen Staatskanzleien immer wieder, ihren Kandidaten durchaus mit Mediengetöse ins Rennen zu schicken und über die jeweiligen CDU- beziehungsweise SPD-Freundeskreise in den Gremien unterzubringen.

    Im Fall des MDR scheiterte das diese Woche. Der politische gewollte Kandidat der thüringischen Regierung Bernd Hilder fiel bei der Intendantenwahl durch. Für Passek ein Zeichen für Widerstand gegen staatliche Vereinnahmungsversuche. Zwar fährt der Grünen-Politiker Passek selbst auf einem Ticket der Saarländischen Staatskanzlei. Die Staatsnähe der Gremien hält er allerdings für zu hoch:

    "Wir fordern insgesamt eine staatsfernere Zusammensetzung der Gremien. Das heißt nicht sozusagen parteiferner, das heißt aber Staatskanzlei-ferner. Das heißt, dass zum Beispiel im Verwaltungsrat es nicht mehr möglich ist, dass allein die Vertreter, die über die Länderregierungen ernannt werden, Personalien entscheiden können. Wir verlangen auch eine stärkere Unabhängigkeit der zivilgesellschaftlichen Gruppen. Wir bräuchten andere Repräsentanten, zum Beispiel aus dem Bereich Netzpolitik, auch der ganze Bereich der Migration ist nicht gut abgebildet."

    Die Frage ist grundsätzlich, was derart viele Politiker und Parteienvertreter in den oberen Organen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu suchen haben. Beim ZDF-Fernsehrat beispielsweise lassen sich nur eine Handvoll parteipolitisch unabhängige Mitglieder finden. Denn auch die Vertreter der gesellschaftlichen Gruppen wie Kirchen, Arbeitgeberverbände oder Gewerkschaften kommen meist mit Parteibuch in die Aufsichtsorgane der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten.

    Um mehr Kompetenz und Offenheit in die Rundfunkräte zu bringen, müsse man radikal neue Wege gehen, sagt Medienwissenschaftler Lothar Mikos von der Hochschule für Film und Fernsehen Konrad Wolf in Potsdam:

    "Eine Möglichkeit wäre, dass man halt sagt, es finden in jedem Bundesland Wahlen zum Rundfunkrat statt. Da können Leute kandidieren. Parteien können Leute aufstellen, die gesellschaftlich relevanten Gruppen können Leute aufstellen. Man definiert den Begriff der gesellschaftlich relevanten Gruppen vielleicht ein bisschen weiter. Wenn man das ändern würde, und man sagt, es gibt Wahlen, sodass man sagen kann, Rundfunkräte sind demokratisch legitimiert aus den Gebührenzahlern, die dann auch noch wahlberechtigt sein sollten von einem Bundesland. Dann würde es so eine Form demokratischer Kontrolle geben und es müsste mehr Transparenz existieren."

    Auch für Passek ist die fehlende Bürgerbeteiligung und Transparenz des Fernsehrats beziehungsweise der Rundfunkräte ein Grundproblem. Die meisten Sitzungen der Räte finden unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Oft ist es nicht mal für Wissenschaftler möglich, an Protokolle der Sitzungen zu gelangen:

    "Es müsste in der Satzung festgeschrieben werden, dass die Sitzungen zumindest des Plenums grundsätzlich öffentlich sind. Es müsste festgeschrieben werden, dass es auch sozusagen einfacher ist, von außen Zugang zu bekommen zu Protokollen, dass die zum Beispiel, was wir uns wünschen würden, auch insbesondere die des Plenums im Internet veröffentlich werden."

    Beim Schweizer Fernsehen oder bei der BBC gibt es zudem eine unabhängige Beschwerdestelle. Das macht sie einerseits resistenter gegenüber parteipolitischer Vereinnahmung. Andererseits könnte eine solche Anlaufstelle die große Flut an Beschwerden - allein 500.000 im Jahr beim ZDF - professioneller und transparenter bearbeiten. Auch hier herrscht Reformbedarf in Deutschland.