Ein durchaus normaler Tagesbeginn für die Assistenzärztin Stefanie Fuhrmann: Um halb acht Uhr morgens begrüßt sie die Kollegen, die ihren Dienst auf der Station 7.3 des Augsburger Zentralklinikums beginnen. Stefanie Fuhrmann hat an diesem Morgen allerdings schon 24 Stunden an ihrem Arbeitsplatz hinter sich - und noch weitere acht bis neun Stunden Arbeit vor sich. 32-Stunden-Dienste gehören zum Alltag im Augsburger Zentralklinikum, ebenso wie in den meisten anderen deutschen Krankenhäusern. Auch Stefanie Fuhrmanns Kollege Doktor Oliver Maier hat sich daran gewöhnt - auch wenn er die Marathon-Dienste nicht gerne macht:
Ich glaube schon, dass ich einfach merke, dass man etwas fahriger wird. Es fehlt einem so diese Reserve, diese Grundgelassenheit ab einem gewissen Punkt. Auch wenn man keine offensichtlichen Fehler macht und auch wenn man seine Arbeit zu Ende bringt, dennoch hat der Spaß ein Loch an einem gewissen Punkt. Ich glaube auch nicht, dass man da fit ist. Ich merke das auch, dass auch der Tag danach nicht so entspannt ist.
Die Dauer-Dienste, die den Ärzten zumindest die Gelassenheit rauben, wie Doktor Maier es ausdrückt, sollten eigentlich bald der Vergangenheit angehören. Der Europäische Gerichtshof hat Anfang September festgestellt, dass die deutsche Praxis solcher Endlos-Schichten gegen die Arbeitszeit-Richtlinie der Europäischen Union verstößt. Das deutsche Prinzip, wonach so genannte Bereitschaften, in denen Ärzte in der Klinik theoretisch schlafen können, keine Arbeitszeit sind, haben die Europa-Richter kategorisch verworfen. Auch Bereitschaftszeit sei Arbeitszeit, hieß es aus Luxemburg.
Die Bundesregierung hat deshalb kurz darauf eine Neufassung des deutschen Arbeitszeitgesetzes in den Bundestag eingebracht. Damit sollen die deutschen Regeln an die europäischen Vorgaben angepasst werden. Endgültig verabschiedet ist das Gesetz aber noch nicht, derzeit verhandelt der Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat darüber. Egal, was anschließend tatsächlich im Gesetzestext steht, kann sich der Assistenzarzt Oliver Maier aber keine revolutionären Veränderungen vorstellen:
Die EuGH-Klagen haben eine enorm wichtige Funktion gehabt, die Diskussion auf diese Missstände zu fokussieren, die einfach existieren. Diese Selbstverständlichkeit ärztlicher Präsenz zum Nulltarif ist mit Sicherheit in keiner Weise tragbar. Meine Befürchtung im Moment ist ein bisschen, dass sich faktisch aufgrund dieser finanziellen Ressourcen möglicherweise gar nicht so viel ändert. Weil einfach dann Ausnahmeregelungen zugelassen werden, die es den Krankenhausbetreibern weiterhin ermöglichen, mit einer dünnen Personaldecke zu arbeiten, und damit die Versorgung aufrecht zu erhalten.
Eine Portion Fatalismus findet man bei vielen Krankenhaus-Ärzten, wenn es um die Zukunft ihrer Arbeitszeiten geht. Ein Fatalismus, der seine Ursache in den engen Handlungsspielräumen der Krankenhaus-Leitungen hat, meint der Ärztliche Direktor des Augsburger Zentral-Klinikums, Professor Günther Schlimok. Denn er erklärt seinen Mitarbeitern - wie Oliver Maier oder Stefanie Fuhrmann - immer wieder, dass es ihm ausgesprochen schwerfalle, andere Arbeitszeiten einzuführen:
Das erfordert natürlich mehr Personal, das ist gar keine Frage. Im Moment werden ja weite Bereiche der 16 Stunden außerhalb der Kernarbeitszeit im Bereitschaftsdienstverfahren abgeleistet, und das ist ja das Problem des EuGH-Urteils, dass das eben als Arbeitszeit zählt. Und deshalb werden wir große Teile dieser restlichen 16 Stunden außerhalb der Kernarbeitszeit auf echte Arbeitszeit also auf eine Art Schichtdienst umstellen müssen.
Mehr als 3 Milliarden Euro zusätzliche Personalkosten könnten anfallen, wenn künftig auch Nacht-Bereitschafen als Arbeitszeit gelten und ein 24-Stunden-Tag im Krankenhaus in drei Schichten je 8 Stunden aufgeteilt werden müsste, so hat die Deutsche Krankenhausgesellschaft ausgerechnet. Siegfried Hasenbein vom Vorstand der Krankenhausgesellschaft räumt ein, dass das eine pessimistische Berechnung ist - aber übertrieben sei die Kalkulation nicht, meint er:
Sollte es so sein, dass sich der derzeitige Entwurf des Arbeitszeitgesetzes in Deutschland durchsetzt, dann wird der Mehrbedarf erheblich sein, weil wir dann generell nur mit so genannten Dreischicht-Modellen fahren können. Und dann halte ich die Zahlen, die die deutsche Krankenhausgesellschaft ermittelt hat von 25 bis 27.000 Ärzten plus nicht-ärztliches Personal, also insgesamt annähernd rund 40.000 für realistisch.
Milliarden-Mehraufwand und zehntausende neue Arbeitskräfte - Auch bei den einzelnen Krankenhäusern gibt es viele, die glauben, dass sich diese Herausforderung kaum bewältigen lässt. Der Augsburger Klinik-Chef Günther Schlimok teilt die Skepsis seines Verbandes:
Beides ist äußerst problematisch, beides. Also die Bezahlung - ich denke, da müssen neue Finanzierungswege gefunden, mit Nullrunden, wie es im Krankenhaussektor jetzt war mit BAT-Erhöhungen von fast 5 Prozent ohne Erhöhung des Budgets wird das nicht machbar sein, und das zweite Problem: Auch wenn das Geld da wäre. Es wird schwierig sein ausreichend qualifiziertes Personal zu finden.
Wird das Urteil der Europa-Richter zur Arbeitszeit der deutschen Klinik-Ärzte also im Sand verlaufen, weil es sich schlicht und einfach nicht umsetzen lässt - neue Gesetze hin oder her? Wenn man mit Klinik-Ärzten und ihren Chefs spricht, kann man leicht den Eindruck gewinnen, dass die große Wende bei den Arbeitszeiten noch lange nicht in Sicht ist.
Ganz anders sieht das Frank Ulrich Montgomery, der Chef der Gewerkschaft der Krankenhausärzte Marburger Bund. Über einen Urteilsspruch der obersten Richter in Europa und über neue Gesetze könne sich niemand einfach hinwegsetzen, glaubt er.
Ich bin ganz sicher, dass die 32-Stunden-Dienste recht schnell zu Ende sein werden. Wobei ich bei Prognosen in diesem sich langsam bewegenden Tanker deutsches Krankenhaus immer recht zurückhaltend bin. Aber ich glaube, die 32-Stunden-Dienste werden in der Tat ganz schnell vorbei sein, denn da machen sich Leute richtig strafbar, wenn sie weiterhin so etwas tun. Ich glaube, auch die Patienten sind sensibilisiert, weil die Patienten erkennen, dass ein Krankenhaus, das seinen Ärzten 32-Stunden-Dienste abfordert ein schlechtes Krankenhaus ist, weil das nicht gut organisiert ist. Ich persönlich rechne mit einer Übergangszeit von 2 bis 3 Jahren, bis wir Arbeitszeiten im Krankenhaus haben, die mit denen von Piloten, von Taxifahrern oder Bus-Chauffeuren vergleichbar sind.
Zuversichtlich ist der Chef der Klinikärzte-Gewerkschaft auch, weil die Bundesregierung die neuen Arbeitszeiten nicht einfach nur per Gesetz verordnen möchte. Sie will die Verantwortung für die konkreten Regeln weitgehend in die Hand von Arbeitgebern und Gewerkschaft legen - eine Verantwortung, der sich der Klinikärzte-Verband Marburger Bund stellen möchte. Und die Bundesregierung will 700 Millionen Euro bereitstellen, um den zusätzlichen Aufwand an Personal zu finanzieren. Allerdings wird diese Summe aufgeteilt auf sieben Jahres-Raten - also jährlich 100 Millionen Euro. Siegfried Hasenbein von der Krankenhausgesellschaft hält das für viel zu wenig:
Das ist eine Größenordnung, die bei weitem nicht ausreichen wird, um den zusätzlichen Personalbedarf zu finanzieren. Die Bundesregierung hat ja auch diese 100 Millionen ins Leben gerufen - nicht zur Umsetzung des EuGH-Urteils.
Sondern es ging angesichts eines drohenden Personal- und Ärztemangels in den Krankenhäusern darum, die Arbeitsbedingungen zu verbessern. Man hat jetzt diese 100 Millionen Euro im Jahr ausgedehnt auf sieben Jahre, also in sieben Jahresetappen sozusagen. Das ist sowohl von der Stückelung als auch von der absoluten Summe sicherlich unzureichend.
Bei ihrer Forderung nach mehr Geld für den zusätzlichen Personalaufwand stoßen die Krankenhäuser allerdings erst einmal auf taube Ohren - nicht nur bei der Bundesregierung. Auch die gesetzlichen Krankenkassen, die die Hauptverantwortung für die Verteilung der Klinikgelder tragen, sehen keinen Grund, ihre Budgetpolitik zu ändern. Doris Pfeiffer, die Vorsitzende des Verbandes der Angestellten-Krankenkassen, glaubt, dass man Marathon-Dienste auch durch arbeitnehmerfreundlichere Arbeitszeiten ersetzen kann, ohne dass Mehrkosten in Milliardenhöhe anfallen:
Wir sehen dieses Urteil eher als eine Chance für die Kliniken, doch noch mal sehr viel genauer ihre Organisation zu prüfen und zu verändern. Es gibt Beispiele, das Klinikum Ingolstadt und den Landesbetrieb in Hamburg, die zeigen, dass man mit intelligenten Arbeitszeitregelungen diese Bedingungen umsetzen kann, ohne dass es zusätzliche Kosten verursacht, weil hier eine ganze Reihe von Möglichkeiten bestehen, beispielsweise durch flexible Schichten und eine andere Organisation der Arbeit, das aufzufangen.
Auch bei der Bundesregierung heißt es, 100 Millionen Euro im Jahr seien das letzte Wort. Die Krankenhäuser müssten Kreativität zeigen, fordert Horst Schmidbauer, Gesundheitsexperte der SPD-Fraktion im Bundestag. Es gebe bereits vorbildliche Kliniken, denen die anderen nur nachfolgen müssten - das sei das Ziel des neuen Arbeitszeitgesetzes:
Dass neben dem Ingolstädter Modell weitere Modellvorhaben laufen sollen. Und es hat den Anreiz gesetzt, dass Kliniken, die eine Betriebsvereinbarung treffen, auch eine besondere Finanzierung erfahren. Also, ich denke, man muss die Gelegenheit auch nutzen und auch Druck ausüben zu sagen, die Kliniken müssen zu anderen Arbeitsabläufen, Betriebsstrukturen kommen, und dann muss man auf der Basis aufbauend prüfen, was dann notwendig ist, um mit moderneren Grundlagen die die Zukunftsaufgaben zu bewältigen.
Wenn es darum geht, wie die Dauer-Dienste in deutschen Krankenhäusern abgeschafft werden können, nennen die Fachleute immer wieder das Beispiel Ingolstadt. Sie meinen damit das Klinikum der bayerischen Industrie-Stadt, das bereits seit einigen Jahren die Arbeitszeiten neu geregelt hat. Die eigentliche medizinische und pflegerische Arbeit wird auf 10 bis 12 Stunden konzentriert:
In diesem Zeitkorridor ist der größte Teil des Personals anwesend - nach einem computergesteuerten Gleitzeit-System. Dauerdienste, bei denen eine Tagschicht, eine Nachtschicht und noch eine Tagschicht aufeinander folgten, wurden abgeschafft, erklärt der Verwaltungsdirektor Heribert Fastenmeier:
Wir haben zunächst das Arbeitszeit-Profil erweitert, auf mindestens 10 oder 12 Stunden pro Tag. Damit ist der Bereitschaftsdienst kürzer geworden. Und wir haben eine Nacharbeit am Folgetag, wenn jemand Nachtdienst gemacht hat nicht mehr möglich gemacht, und unsere Mitarbeiter gehen nach dem Bereitschaftsdienst am nächsten Tag nach Hause.
Allerdings sind auch am Ingolstädter Klinikum derzeit noch Schichten von bis zu 16 Stunden möglich - was ebenfalls gegen die Vorgaben der Europa-Richter verstößt. Denn die Europäische Arbeitszeitrichlinie sieht vor, dass es pro Tag eine Ruhezeit von mindestens elf Stunden geben muss - länger als 13 Stunden darf also keine Schicht dauern. Es werde aber für das Ingolstädter Klinikum nicht schwer sein, sich auch dieser Vorgabe anzupassen, meint der Verwaltungs-Chef Fastenmeier:
Die Umstellung wird uns nicht so sehr beschäftigen wie andere Krankenhäuser natürlich.
Fastenmeier ist durchaus stolz, dass sein Klinikum immer wieder als Vorbild genannt wird. Der Bund der Steuerzahler hat es sogar mit einem Preis ausgezeichnet. Siegfried Hasenbein von der Krankenhausgesellschaft will allerdings nicht ganz so laut in das Loblied einstimmen.
Den Kollegen in Ingolstadt ist sicherlich Respekt und Lob zu zollen, weil sie ein sehr innovatives und flexibles Arbeitszeitmodell geschaffen haben. Das steht außer Frage. Aber: Erstens hat Ingolstadt mit seiner Regelung kein EuGH-konformes Modell, wenn man so will. Sondern es hat sich ein Stück in diese Richtung bewegt, ist aber noch nicht am Ende. Zweitens, und das ist ganz wichtig, gibt es das Arbeitszeit-Modell für alle Krankenhäuser nicht. Ingolstadt lässt sich nicht auf 2000 Krankenhäuser umlegen. Sondern die Krankenhäuser sind in ihrer Struktur, in ihrem Betrieb, in ihrer personellen Zusammensetzung so unterschiedlich, dass Arbeitszeit-Modelle individuell für jedes Haus erarbeitet werden müssen.
Das Ingolstädter Arbeitszeit-Modell sei also keine Patentlösung, heißt es von der Krankenhausgesellschaft. Frank Ulrich Montgomery, der Chef der Klinikärzte-Gewerkschaft Marburger Bund, hält diese Behauptung allerdings für vorgeschoben:
Das ist natürlich ein reines Scheinargument, das ist die Unfähigkeit einer Dachorganisation konkrete Vorgaben für ihre Einzel-Einrichtungen zu machen. Man kann es auch so weit treiben zu sagen, dass man sagt, jede der 8000 bettenführenden Abteilungen in Deutschland muss einen eigenen Dienstplan haben und keine zwei davon sind miteinander vergleichbar. Das ist natürlich Quatsch und ist nur Ausdruck von Organisationsunfähigkeit. Wenn man will, kann man das sehr viel schneller, besser und konkreter machen. Hier muss die Deutsche Krankenhausgesellschaft mal beweisen, dass sie nicht nur die Deutsche Klage-Gesellschaft ist.
Ganz so heftig würde Heribert Fastenmeier, der Verwaltungs-Chef des Klinikums Ingolstadt, mit seinem Dachverband nicht ins Gericht gehen. Aber bei der Frage, inwieweit das Ingolstädter Arbeitszeitmodell auf andere Krankenhäuser übertragbar ist, hat er doch eine ganz klare Position:
Es ist keine Rezeptur, die wir erstellen können. Aber diese Modelle, die wir haben, die lassen sich auf alle Krankenhäuser implementieren. Was man tun muss, ist mit den Mitarbeitern reden. Also, wie sieht ein Zeitkontenmodell aus, wie sind die Rechte der Mitarbeiter, wie ist die Gruppendynamik, welche Einkommensverluste hat man?
Das Stichwort Einkommensverluste fällt beim Ingolstädter Arbeitszeit-Modell immer wieder. Denn einer der wesentlichen Effekte des neuen Schichtmodells ist es, dass Zulagen und Sondervergütungen für die oftmals überlangen Dienste wegfallen. Nur deswegen war es am Ingolstädter Klinikum möglich, 28 zusätzliche Ärzte ohne Mehrkosten einzustellen. - Die neuen Kollegen können bezahlt werden, weil die anderen Ärzte weniger verdienen. Die Einkommensverluste durch das neue Arbeitszeitmodell summieren sich im Klinikum Ingolstadt bei manchen Ärzten auf mehr als 7000 Euro im Jahr - In anderen Fällen könnten die Einbußen sogar noch höher sein, weiß der Gewerkschafts-Chef Montgomery. Und er weiß, dass etliche Mediziner auf dieses Geld nicht verzichten möchten.
Das ist in der Tat ein ganz großes Problem. Viele unserer Mitglieder, vor allem die etwas älteren, haben sich daran gewöhnt, ein erkleckliches Zubrot durch Bereitschaftsdienste und Überstunden zu verdienen und sie verkennen, welchen Wert die Vergütung für die Arbeit an sich hat und haben sich daran gewöhnt, mit 80-Stunden-Wochen hohe Einkünfte zu erzielen. Hier muss man in der Tat Überzeugungsarbeit leisten. Wobei ich es für legitim halte, dass jemand, der daran gewöhnt war, ein vernünftiges Einkommen nur durch so viel Arbeit zu erzielen, auch wenn er weniger arbeiten möchte, natürlich nicht auf das Einkommen verzichten muss. Und deswegen ist unser Ziel, hier zu einer vernünftigen Vergütung von Arbeit im Krankenhaus an sich zu kommen.
Eine leistungsgerechte Vergütung durchzusetzen, wie es Montgomery auch nennt, hat sich deshalb der Marburger Bund als Ziel gesetzt. Das Geld dafür müsse die Gesellschaft einfach bereit stellen, wenn ihr eine gute Gesundheitsversorgung wichtig sei, heißt es von der Gewerkschaft der Klinik-Ärzte.
Damit wäre allerdings noch nicht die Frage beantwortet, woher die Tausende von Ärzten kommen sollen, die nötig wären, um andere Arbeitszeiten in den Krankenhäusern zu verwirklichen. Der Marburger Bund hält zwar die Schätzung der Krankenhausgesellschaft, wonach 27 000 neue Ärzte gebraucht werden, für übertrieben. Aber auch die Gewerkschaft erwartet einen zusätzlichen Personalbedarf - In Höhe von immerhin rund 15 000 Medizinern. Die ließen sich aber in den nächsten Jahren durchaus finden, meint Frank Ulrich Montgomery. Denn in den vergangenen Jahren hätten viele fertig ausgebildete Ärzte den Kliniken den Rücken gekehrt:
Die Arbeitsbedingungen sind so schlecht im Krankenhaus, dass viele sich dieser Tätigkeit verweigern. Und deswegen muss man in den nächsten zwei, drei Jahren erstens die Arbeitsbedingungen im Krankenhaus verbessern, indem man Hierarchien abbaut, indem man auch mal was für die Arbeitnehmer tut, zweitens man muss die Leute im Krankenhaus besser bezahlen - das gilt für Krankenschwestern genauso wie für Ärzte - und dann wir auch all die Stellen füllen können, die man braucht, um in Zukunft vernünftige Arbeitszeiten im Krankenhaus einhalten zu können.
Der Chef der Klinikärzte-Gewerkschaft ist sich bewusst, dass es schwer sein wird, diese Forderungen gegenüber den Arbeitgebern und auch gegenüber der Politik durchzusetzen - zumal es inzwischen auch Gegenwind aus Brüssel gibt. Die EU-Kommission denkt inzwischen darüber nach, die Europäische Arbeitszeitrichtlinie zu ändern.
Nicht zuletzt, weil sich deutsche Politiker in den vergangenen Monaten hinter den Kulissen bei der EU-Kommission für eine solche Änderung stark gemacht haben. Denn wenn die europäische Rechtsgrundlage anders wäre, dürfte es auch keine Urteile des Europäischen Gerichtshofes gegen die deutsche Arbeitszeit-Praxis mehr geben, so das Kalkül. Die zuständige EU-Kommissarin hat erst vor kurzem signalisiert, dass es in Brüssel bald Bewegung in dieser Richtung geben könnte. Frank Ulrich Montgomery vom Marburger Bund will sich davon aber nicht verunsichern lassen:
Dass wir vernünftige Arbeitsnormen, die übrigens in den skandinavischen Ländern und in vielen Ländern der EU völlig normal sind, nun ändern müssten, nur damit man in Deutschland weiter Arbeitnehmer ausbeuten kann - In Zeiten eines modernen Arbeitsschutzes in Europa kann ich mir nicht vorstellen, dass, wer auch immer das versucht, hier Erfolg hat.
Und in diesem Punkt sind die Arbeitgeber mit dem Gewerkschafts-Chef einig. Siegfried Hasenbein von der Krankenhausgesellschaft hält es für einen Fehler, darauf zu warten, dass die Karten in Brüssel wieder völlig neu gemischt werden.
Das sehe ich realistischerweise nicht. Ich meine, wir haben eine langwierige Diskussion mit einem EuGH-Urteil jetzt hinter uns. Und deshalb denke ich, sollten wir uns an dieser EU-Richtlinie uns jetzt orientieren. Ich kann nicht nachvollziehen, wenn jetzt einige Stimmen nach einer Veränderung der EU-Richtlinie rufen. Wir sollten versuchen, das mühsam durchgekämpfte EuGH-Urteil umzusetzen.
Ich glaube schon, dass ich einfach merke, dass man etwas fahriger wird. Es fehlt einem so diese Reserve, diese Grundgelassenheit ab einem gewissen Punkt. Auch wenn man keine offensichtlichen Fehler macht und auch wenn man seine Arbeit zu Ende bringt, dennoch hat der Spaß ein Loch an einem gewissen Punkt. Ich glaube auch nicht, dass man da fit ist. Ich merke das auch, dass auch der Tag danach nicht so entspannt ist.
Die Dauer-Dienste, die den Ärzten zumindest die Gelassenheit rauben, wie Doktor Maier es ausdrückt, sollten eigentlich bald der Vergangenheit angehören. Der Europäische Gerichtshof hat Anfang September festgestellt, dass die deutsche Praxis solcher Endlos-Schichten gegen die Arbeitszeit-Richtlinie der Europäischen Union verstößt. Das deutsche Prinzip, wonach so genannte Bereitschaften, in denen Ärzte in der Klinik theoretisch schlafen können, keine Arbeitszeit sind, haben die Europa-Richter kategorisch verworfen. Auch Bereitschaftszeit sei Arbeitszeit, hieß es aus Luxemburg.
Die Bundesregierung hat deshalb kurz darauf eine Neufassung des deutschen Arbeitszeitgesetzes in den Bundestag eingebracht. Damit sollen die deutschen Regeln an die europäischen Vorgaben angepasst werden. Endgültig verabschiedet ist das Gesetz aber noch nicht, derzeit verhandelt der Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat darüber. Egal, was anschließend tatsächlich im Gesetzestext steht, kann sich der Assistenzarzt Oliver Maier aber keine revolutionären Veränderungen vorstellen:
Die EuGH-Klagen haben eine enorm wichtige Funktion gehabt, die Diskussion auf diese Missstände zu fokussieren, die einfach existieren. Diese Selbstverständlichkeit ärztlicher Präsenz zum Nulltarif ist mit Sicherheit in keiner Weise tragbar. Meine Befürchtung im Moment ist ein bisschen, dass sich faktisch aufgrund dieser finanziellen Ressourcen möglicherweise gar nicht so viel ändert. Weil einfach dann Ausnahmeregelungen zugelassen werden, die es den Krankenhausbetreibern weiterhin ermöglichen, mit einer dünnen Personaldecke zu arbeiten, und damit die Versorgung aufrecht zu erhalten.
Eine Portion Fatalismus findet man bei vielen Krankenhaus-Ärzten, wenn es um die Zukunft ihrer Arbeitszeiten geht. Ein Fatalismus, der seine Ursache in den engen Handlungsspielräumen der Krankenhaus-Leitungen hat, meint der Ärztliche Direktor des Augsburger Zentral-Klinikums, Professor Günther Schlimok. Denn er erklärt seinen Mitarbeitern - wie Oliver Maier oder Stefanie Fuhrmann - immer wieder, dass es ihm ausgesprochen schwerfalle, andere Arbeitszeiten einzuführen:
Das erfordert natürlich mehr Personal, das ist gar keine Frage. Im Moment werden ja weite Bereiche der 16 Stunden außerhalb der Kernarbeitszeit im Bereitschaftsdienstverfahren abgeleistet, und das ist ja das Problem des EuGH-Urteils, dass das eben als Arbeitszeit zählt. Und deshalb werden wir große Teile dieser restlichen 16 Stunden außerhalb der Kernarbeitszeit auf echte Arbeitszeit also auf eine Art Schichtdienst umstellen müssen.
Mehr als 3 Milliarden Euro zusätzliche Personalkosten könnten anfallen, wenn künftig auch Nacht-Bereitschafen als Arbeitszeit gelten und ein 24-Stunden-Tag im Krankenhaus in drei Schichten je 8 Stunden aufgeteilt werden müsste, so hat die Deutsche Krankenhausgesellschaft ausgerechnet. Siegfried Hasenbein vom Vorstand der Krankenhausgesellschaft räumt ein, dass das eine pessimistische Berechnung ist - aber übertrieben sei die Kalkulation nicht, meint er:
Sollte es so sein, dass sich der derzeitige Entwurf des Arbeitszeitgesetzes in Deutschland durchsetzt, dann wird der Mehrbedarf erheblich sein, weil wir dann generell nur mit so genannten Dreischicht-Modellen fahren können. Und dann halte ich die Zahlen, die die deutsche Krankenhausgesellschaft ermittelt hat von 25 bis 27.000 Ärzten plus nicht-ärztliches Personal, also insgesamt annähernd rund 40.000 für realistisch.
Milliarden-Mehraufwand und zehntausende neue Arbeitskräfte - Auch bei den einzelnen Krankenhäusern gibt es viele, die glauben, dass sich diese Herausforderung kaum bewältigen lässt. Der Augsburger Klinik-Chef Günther Schlimok teilt die Skepsis seines Verbandes:
Beides ist äußerst problematisch, beides. Also die Bezahlung - ich denke, da müssen neue Finanzierungswege gefunden, mit Nullrunden, wie es im Krankenhaussektor jetzt war mit BAT-Erhöhungen von fast 5 Prozent ohne Erhöhung des Budgets wird das nicht machbar sein, und das zweite Problem: Auch wenn das Geld da wäre. Es wird schwierig sein ausreichend qualifiziertes Personal zu finden.
Wird das Urteil der Europa-Richter zur Arbeitszeit der deutschen Klinik-Ärzte also im Sand verlaufen, weil es sich schlicht und einfach nicht umsetzen lässt - neue Gesetze hin oder her? Wenn man mit Klinik-Ärzten und ihren Chefs spricht, kann man leicht den Eindruck gewinnen, dass die große Wende bei den Arbeitszeiten noch lange nicht in Sicht ist.
Ganz anders sieht das Frank Ulrich Montgomery, der Chef der Gewerkschaft der Krankenhausärzte Marburger Bund. Über einen Urteilsspruch der obersten Richter in Europa und über neue Gesetze könne sich niemand einfach hinwegsetzen, glaubt er.
Ich bin ganz sicher, dass die 32-Stunden-Dienste recht schnell zu Ende sein werden. Wobei ich bei Prognosen in diesem sich langsam bewegenden Tanker deutsches Krankenhaus immer recht zurückhaltend bin. Aber ich glaube, die 32-Stunden-Dienste werden in der Tat ganz schnell vorbei sein, denn da machen sich Leute richtig strafbar, wenn sie weiterhin so etwas tun. Ich glaube, auch die Patienten sind sensibilisiert, weil die Patienten erkennen, dass ein Krankenhaus, das seinen Ärzten 32-Stunden-Dienste abfordert ein schlechtes Krankenhaus ist, weil das nicht gut organisiert ist. Ich persönlich rechne mit einer Übergangszeit von 2 bis 3 Jahren, bis wir Arbeitszeiten im Krankenhaus haben, die mit denen von Piloten, von Taxifahrern oder Bus-Chauffeuren vergleichbar sind.
Zuversichtlich ist der Chef der Klinikärzte-Gewerkschaft auch, weil die Bundesregierung die neuen Arbeitszeiten nicht einfach nur per Gesetz verordnen möchte. Sie will die Verantwortung für die konkreten Regeln weitgehend in die Hand von Arbeitgebern und Gewerkschaft legen - eine Verantwortung, der sich der Klinikärzte-Verband Marburger Bund stellen möchte. Und die Bundesregierung will 700 Millionen Euro bereitstellen, um den zusätzlichen Aufwand an Personal zu finanzieren. Allerdings wird diese Summe aufgeteilt auf sieben Jahres-Raten - also jährlich 100 Millionen Euro. Siegfried Hasenbein von der Krankenhausgesellschaft hält das für viel zu wenig:
Das ist eine Größenordnung, die bei weitem nicht ausreichen wird, um den zusätzlichen Personalbedarf zu finanzieren. Die Bundesregierung hat ja auch diese 100 Millionen ins Leben gerufen - nicht zur Umsetzung des EuGH-Urteils.
Sondern es ging angesichts eines drohenden Personal- und Ärztemangels in den Krankenhäusern darum, die Arbeitsbedingungen zu verbessern. Man hat jetzt diese 100 Millionen Euro im Jahr ausgedehnt auf sieben Jahre, also in sieben Jahresetappen sozusagen. Das ist sowohl von der Stückelung als auch von der absoluten Summe sicherlich unzureichend.
Bei ihrer Forderung nach mehr Geld für den zusätzlichen Personalaufwand stoßen die Krankenhäuser allerdings erst einmal auf taube Ohren - nicht nur bei der Bundesregierung. Auch die gesetzlichen Krankenkassen, die die Hauptverantwortung für die Verteilung der Klinikgelder tragen, sehen keinen Grund, ihre Budgetpolitik zu ändern. Doris Pfeiffer, die Vorsitzende des Verbandes der Angestellten-Krankenkassen, glaubt, dass man Marathon-Dienste auch durch arbeitnehmerfreundlichere Arbeitszeiten ersetzen kann, ohne dass Mehrkosten in Milliardenhöhe anfallen:
Wir sehen dieses Urteil eher als eine Chance für die Kliniken, doch noch mal sehr viel genauer ihre Organisation zu prüfen und zu verändern. Es gibt Beispiele, das Klinikum Ingolstadt und den Landesbetrieb in Hamburg, die zeigen, dass man mit intelligenten Arbeitszeitregelungen diese Bedingungen umsetzen kann, ohne dass es zusätzliche Kosten verursacht, weil hier eine ganze Reihe von Möglichkeiten bestehen, beispielsweise durch flexible Schichten und eine andere Organisation der Arbeit, das aufzufangen.
Auch bei der Bundesregierung heißt es, 100 Millionen Euro im Jahr seien das letzte Wort. Die Krankenhäuser müssten Kreativität zeigen, fordert Horst Schmidbauer, Gesundheitsexperte der SPD-Fraktion im Bundestag. Es gebe bereits vorbildliche Kliniken, denen die anderen nur nachfolgen müssten - das sei das Ziel des neuen Arbeitszeitgesetzes:
Dass neben dem Ingolstädter Modell weitere Modellvorhaben laufen sollen. Und es hat den Anreiz gesetzt, dass Kliniken, die eine Betriebsvereinbarung treffen, auch eine besondere Finanzierung erfahren. Also, ich denke, man muss die Gelegenheit auch nutzen und auch Druck ausüben zu sagen, die Kliniken müssen zu anderen Arbeitsabläufen, Betriebsstrukturen kommen, und dann muss man auf der Basis aufbauend prüfen, was dann notwendig ist, um mit moderneren Grundlagen die die Zukunftsaufgaben zu bewältigen.
Wenn es darum geht, wie die Dauer-Dienste in deutschen Krankenhäusern abgeschafft werden können, nennen die Fachleute immer wieder das Beispiel Ingolstadt. Sie meinen damit das Klinikum der bayerischen Industrie-Stadt, das bereits seit einigen Jahren die Arbeitszeiten neu geregelt hat. Die eigentliche medizinische und pflegerische Arbeit wird auf 10 bis 12 Stunden konzentriert:
In diesem Zeitkorridor ist der größte Teil des Personals anwesend - nach einem computergesteuerten Gleitzeit-System. Dauerdienste, bei denen eine Tagschicht, eine Nachtschicht und noch eine Tagschicht aufeinander folgten, wurden abgeschafft, erklärt der Verwaltungsdirektor Heribert Fastenmeier:
Wir haben zunächst das Arbeitszeit-Profil erweitert, auf mindestens 10 oder 12 Stunden pro Tag. Damit ist der Bereitschaftsdienst kürzer geworden. Und wir haben eine Nacharbeit am Folgetag, wenn jemand Nachtdienst gemacht hat nicht mehr möglich gemacht, und unsere Mitarbeiter gehen nach dem Bereitschaftsdienst am nächsten Tag nach Hause.
Allerdings sind auch am Ingolstädter Klinikum derzeit noch Schichten von bis zu 16 Stunden möglich - was ebenfalls gegen die Vorgaben der Europa-Richter verstößt. Denn die Europäische Arbeitszeitrichlinie sieht vor, dass es pro Tag eine Ruhezeit von mindestens elf Stunden geben muss - länger als 13 Stunden darf also keine Schicht dauern. Es werde aber für das Ingolstädter Klinikum nicht schwer sein, sich auch dieser Vorgabe anzupassen, meint der Verwaltungs-Chef Fastenmeier:
Die Umstellung wird uns nicht so sehr beschäftigen wie andere Krankenhäuser natürlich.
Fastenmeier ist durchaus stolz, dass sein Klinikum immer wieder als Vorbild genannt wird. Der Bund der Steuerzahler hat es sogar mit einem Preis ausgezeichnet. Siegfried Hasenbein von der Krankenhausgesellschaft will allerdings nicht ganz so laut in das Loblied einstimmen.
Den Kollegen in Ingolstadt ist sicherlich Respekt und Lob zu zollen, weil sie ein sehr innovatives und flexibles Arbeitszeitmodell geschaffen haben. Das steht außer Frage. Aber: Erstens hat Ingolstadt mit seiner Regelung kein EuGH-konformes Modell, wenn man so will. Sondern es hat sich ein Stück in diese Richtung bewegt, ist aber noch nicht am Ende. Zweitens, und das ist ganz wichtig, gibt es das Arbeitszeit-Modell für alle Krankenhäuser nicht. Ingolstadt lässt sich nicht auf 2000 Krankenhäuser umlegen. Sondern die Krankenhäuser sind in ihrer Struktur, in ihrem Betrieb, in ihrer personellen Zusammensetzung so unterschiedlich, dass Arbeitszeit-Modelle individuell für jedes Haus erarbeitet werden müssen.
Das Ingolstädter Arbeitszeit-Modell sei also keine Patentlösung, heißt es von der Krankenhausgesellschaft. Frank Ulrich Montgomery, der Chef der Klinikärzte-Gewerkschaft Marburger Bund, hält diese Behauptung allerdings für vorgeschoben:
Das ist natürlich ein reines Scheinargument, das ist die Unfähigkeit einer Dachorganisation konkrete Vorgaben für ihre Einzel-Einrichtungen zu machen. Man kann es auch so weit treiben zu sagen, dass man sagt, jede der 8000 bettenführenden Abteilungen in Deutschland muss einen eigenen Dienstplan haben und keine zwei davon sind miteinander vergleichbar. Das ist natürlich Quatsch und ist nur Ausdruck von Organisationsunfähigkeit. Wenn man will, kann man das sehr viel schneller, besser und konkreter machen. Hier muss die Deutsche Krankenhausgesellschaft mal beweisen, dass sie nicht nur die Deutsche Klage-Gesellschaft ist.
Ganz so heftig würde Heribert Fastenmeier, der Verwaltungs-Chef des Klinikums Ingolstadt, mit seinem Dachverband nicht ins Gericht gehen. Aber bei der Frage, inwieweit das Ingolstädter Arbeitszeitmodell auf andere Krankenhäuser übertragbar ist, hat er doch eine ganz klare Position:
Es ist keine Rezeptur, die wir erstellen können. Aber diese Modelle, die wir haben, die lassen sich auf alle Krankenhäuser implementieren. Was man tun muss, ist mit den Mitarbeitern reden. Also, wie sieht ein Zeitkontenmodell aus, wie sind die Rechte der Mitarbeiter, wie ist die Gruppendynamik, welche Einkommensverluste hat man?
Das Stichwort Einkommensverluste fällt beim Ingolstädter Arbeitszeit-Modell immer wieder. Denn einer der wesentlichen Effekte des neuen Schichtmodells ist es, dass Zulagen und Sondervergütungen für die oftmals überlangen Dienste wegfallen. Nur deswegen war es am Ingolstädter Klinikum möglich, 28 zusätzliche Ärzte ohne Mehrkosten einzustellen. - Die neuen Kollegen können bezahlt werden, weil die anderen Ärzte weniger verdienen. Die Einkommensverluste durch das neue Arbeitszeitmodell summieren sich im Klinikum Ingolstadt bei manchen Ärzten auf mehr als 7000 Euro im Jahr - In anderen Fällen könnten die Einbußen sogar noch höher sein, weiß der Gewerkschafts-Chef Montgomery. Und er weiß, dass etliche Mediziner auf dieses Geld nicht verzichten möchten.
Das ist in der Tat ein ganz großes Problem. Viele unserer Mitglieder, vor allem die etwas älteren, haben sich daran gewöhnt, ein erkleckliches Zubrot durch Bereitschaftsdienste und Überstunden zu verdienen und sie verkennen, welchen Wert die Vergütung für die Arbeit an sich hat und haben sich daran gewöhnt, mit 80-Stunden-Wochen hohe Einkünfte zu erzielen. Hier muss man in der Tat Überzeugungsarbeit leisten. Wobei ich es für legitim halte, dass jemand, der daran gewöhnt war, ein vernünftiges Einkommen nur durch so viel Arbeit zu erzielen, auch wenn er weniger arbeiten möchte, natürlich nicht auf das Einkommen verzichten muss. Und deswegen ist unser Ziel, hier zu einer vernünftigen Vergütung von Arbeit im Krankenhaus an sich zu kommen.
Eine leistungsgerechte Vergütung durchzusetzen, wie es Montgomery auch nennt, hat sich deshalb der Marburger Bund als Ziel gesetzt. Das Geld dafür müsse die Gesellschaft einfach bereit stellen, wenn ihr eine gute Gesundheitsversorgung wichtig sei, heißt es von der Gewerkschaft der Klinik-Ärzte.
Damit wäre allerdings noch nicht die Frage beantwortet, woher die Tausende von Ärzten kommen sollen, die nötig wären, um andere Arbeitszeiten in den Krankenhäusern zu verwirklichen. Der Marburger Bund hält zwar die Schätzung der Krankenhausgesellschaft, wonach 27 000 neue Ärzte gebraucht werden, für übertrieben. Aber auch die Gewerkschaft erwartet einen zusätzlichen Personalbedarf - In Höhe von immerhin rund 15 000 Medizinern. Die ließen sich aber in den nächsten Jahren durchaus finden, meint Frank Ulrich Montgomery. Denn in den vergangenen Jahren hätten viele fertig ausgebildete Ärzte den Kliniken den Rücken gekehrt:
Die Arbeitsbedingungen sind so schlecht im Krankenhaus, dass viele sich dieser Tätigkeit verweigern. Und deswegen muss man in den nächsten zwei, drei Jahren erstens die Arbeitsbedingungen im Krankenhaus verbessern, indem man Hierarchien abbaut, indem man auch mal was für die Arbeitnehmer tut, zweitens man muss die Leute im Krankenhaus besser bezahlen - das gilt für Krankenschwestern genauso wie für Ärzte - und dann wir auch all die Stellen füllen können, die man braucht, um in Zukunft vernünftige Arbeitszeiten im Krankenhaus einhalten zu können.
Der Chef der Klinikärzte-Gewerkschaft ist sich bewusst, dass es schwer sein wird, diese Forderungen gegenüber den Arbeitgebern und auch gegenüber der Politik durchzusetzen - zumal es inzwischen auch Gegenwind aus Brüssel gibt. Die EU-Kommission denkt inzwischen darüber nach, die Europäische Arbeitszeitrichtlinie zu ändern.
Nicht zuletzt, weil sich deutsche Politiker in den vergangenen Monaten hinter den Kulissen bei der EU-Kommission für eine solche Änderung stark gemacht haben. Denn wenn die europäische Rechtsgrundlage anders wäre, dürfte es auch keine Urteile des Europäischen Gerichtshofes gegen die deutsche Arbeitszeit-Praxis mehr geben, so das Kalkül. Die zuständige EU-Kommissarin hat erst vor kurzem signalisiert, dass es in Brüssel bald Bewegung in dieser Richtung geben könnte. Frank Ulrich Montgomery vom Marburger Bund will sich davon aber nicht verunsichern lassen:
Dass wir vernünftige Arbeitsnormen, die übrigens in den skandinavischen Ländern und in vielen Ländern der EU völlig normal sind, nun ändern müssten, nur damit man in Deutschland weiter Arbeitnehmer ausbeuten kann - In Zeiten eines modernen Arbeitsschutzes in Europa kann ich mir nicht vorstellen, dass, wer auch immer das versucht, hier Erfolg hat.
Und in diesem Punkt sind die Arbeitgeber mit dem Gewerkschafts-Chef einig. Siegfried Hasenbein von der Krankenhausgesellschaft hält es für einen Fehler, darauf zu warten, dass die Karten in Brüssel wieder völlig neu gemischt werden.
Das sehe ich realistischerweise nicht. Ich meine, wir haben eine langwierige Diskussion mit einem EuGH-Urteil jetzt hinter uns. Und deshalb denke ich, sollten wir uns an dieser EU-Richtlinie uns jetzt orientieren. Ich kann nicht nachvollziehen, wenn jetzt einige Stimmen nach einer Veränderung der EU-Richtlinie rufen. Wir sollten versuchen, das mühsam durchgekämpfte EuGH-Urteil umzusetzen.