Archiv


Runterschalten

Eine Kutsche ohne Pferde, eine Stahlkarosse in dunkelgrünem Lack und mit zurückklappbarem Verdeck. Sechs dieser Gefährte steuern durch den Feldensteiner Forst im Naturpark Fränkische Schweiz - mit der AAGLAND'schen Kutschhalterei die Langsamkeit neu entdeckt.

Von Henning Hübert |
    "Wir fahren jetzt auf einer kleinen Ortsverbindungsstraße. Aber wir fahren größtenteils jetzt dann auf Wald, Feld- und Wiesenwegen und auch auf Fahrrad- und Wanderwegen. Für diese Wege haben wir eine Sondergenehmigung. Erfreulich ist, dass uns die Fahrradfahrer und auch die Wanderer immer freundlich grüßen und nicht sauer sind. Die Freude ist auf beiden Seiten groß, wenn man gegrüßt wird."

    Das liegt ganz bestimmt an dem fahrbaren Untersatz, den Rudolf Mauderer da steuert. Eine Kutsche ohne Pferde, eine Stahlkarosse in dunkelgrünem Lack und mit zurückklappbarem Verdeck. Sechs dieser Gefährte steuern durch den Feldensteiner Forst im Naturpark Fränkische Schweiz. Von Muggendorf aus geht es an der Wiesent entlang zur Burg Rabeneck, einem alten Raubritternest. Die Fahrgäste im Fonds der grünen Motorkutsche tragen Strohhüte. Tauschen freundliche Blicke und Grüße mit entgegen kommenden Radfahrern und Wanderern. Hoch oben auf dem Bock sitzt Rudolf Mauderer. Die Karosse lenkt er mit zwei lederummantelten Stangen mit Griff – eine Hommage an das Pferdezeitalter. Die Stangen hat der TÜV, genauer: die Dekra, als Lenkrad genehmigt. Wegen dieser Leinen ist die Berufsbezeichnung für den Mann auf dem Kutschbock: Leinenführer. Rudolf Mauderer:

    "Bei einer Kutsche sind es Zügel, mit denen die Pferde entsprechend gelenkt werden durch Ziehen bzw. Kommando geben. Und hier sind die Leinenstangen fest. Die sind auch sehr schön dekoriert, vergoldet, mit Kalbsleder überzogen. Damit sie gut in der Hand gehalten werden können. Und ein kompletter Schub bedeutet ungefähr so einen Lenkausschlag, wie sie ihn beim Auto für drei Lenkradumdrehungen brauchen."

    Das kräftige Stangen-Drücken haben die Konstrukteure der motorisierten Kutsche so gewollt. Sie trägt den Fantasienamen Aaglander und hat unter der Haube sowohl alte als auch moderne Techniken eingebaut bekommen. So ist vor den Kutschbock ein Kasten aus edlem Wurzelholz montiert. Klappt man den Deckel mit seinen Intarsienarbeiten auf, blinkt drinnen ein Navi. Das soll verhindern, dass sich der Wagen nicht auf den schmalen Feldwegen zwischen Muggendorf, Tüchersfeld und Gössweinstein verfährt.

    "Die Hartgummibereifung macht natürlich das Gefühl der Kutsche. Aber wir haben auch Blattfedern, die aus dem LKW- und Fahrzeugbau kommen, eingebaut. Die dämpfen die großen Schlaglöcher etwas ab. Aber wenn ich die großen Löcher komplett ausfahre, dann merken Sie, dass es etwas ruckelt. Das ist auch unsere Absicht, nicht hier ein komfortables Fahrzeug zu schaffen, sondern ein authentisches, was Kutsche fahren für jedermann erfahrbar macht – sofern er einen Führerschein hat."

    Am meisten Spaß macht die Landpartie a la 19. Jahrhundert aber im Pulk. Der Konvoi aus sechs Fahrzeugen ist ein Hingucker, überall, wo man hinfährt in der Fränkischen Schweiz. Auch die Urlauber Ingrid und Roland Sachse aus Erfurt fahren mit ihrem Pkw sofort rechts an den Straßenrand, um das Motorkutschen-Corso zwischen Pottenstein und Kühlenfels zu bestaunen. Ingrid und Roland Sachse:

    "Ich bin richtig begeistert. Wir haben schon Ballonfahrten, Schiffsfahrten, Kutschenfahrten gemacht. Aber das haben wir noch nicht gesehen. Mein Mann hat gesagt: Jetzt muss man anhalten. Aber dass das hier umgebaute Kutschen sind, hallo! Das ist nicht schlecht."

    Station in der Manufaktur, in der mittlerweile schon 16 dieser Motorkutschen gebaut wurden. Die neuesten Modelle teilen sich den Wirtschaftsflügel von Schloss Kühlenfels mit echten Pferden. Der Geschäftsführer der Aaglander-Manufaktur, Roland Belz, setzt auf seinem Schloss alles daran, das gemächliche Reisetempo von einst heute wieder einzuführen. Er macht es sich in einem seiner Duc-Cabriolets bequem, die im Halbrund in der Vorfahrt seines mittelalterlichen Schlosses aufgereiht stehen.

    ""Ich selber bin begeisterter Kutschfahrer. Und da ist die schönste Geschwindigkeit zwischen sieben und zwölf Kilometern in der Stunde. Wo man genügend Muße hat, die Landschaft auch physisch zu erleben."

    Oft besuchten Geschäftsleute Roland Belz, der sein berufliches Hauptstandbein im Kunststoffrecycling hatte. Sie kamen zu einer erholsamen Landpartie heraus zum Schloss in dem 1000 Jahre alten Bergdörfchen inmitten der Fränkischen Schweiz. Dann hieß es: Pferde anschirren, ausfahren, abschirren. Das fällt jetzt immer öfter weg. Geblieben ist das Tempo aus dem Pferdekutschenzeitalter.

    "Früher kannte man nur eine Geschwindigkeit. Da war der Wunsch, immer schneller zu werden. Dann wurde man immer schneller. Und heute ist ein Wunsch spürbar, wieder langsamer zu werden. Das ist ja auch die typische Geschwindigkeit von einem Pferd, das einen guten Schritt geht. Sind etwa sechs bis sieben km/h. 12 bis 14 km/h ist ein Trab. Und das sind Geschwindigkeiten, wo man früher Kontinente durchquert hat. Und das in einer Atmosphäre, wo man heute noch, wenn man alte Reiseberichte liest, von den Leuten berichtet bekommt, wie sie dieses Tempo als sehr angenehm empfunden haben."

    In der Manufaktur arbeitet Goldschmied Markus Scharnagel an Goldverzierungen fürs Heck. Er ist dran am Aaglander Nummer 18. Auch das ein Dieselfahrzeug. Daneben steht aber auch schon ein Prototyp mit Elektromotor. Von dem sollen künftig mehr gebaut werden. Alle haben Servolenkung für die Lenkstangen und: eine Temposperre. Bei 20 km/h wird automatisch gedrosselt. Weil es der Firmenchef so will, sagt Markus Scharnagel.

    ""Rein rechnerisch, wenn man das so übersetzen würde wie bei einem PKW, wären wir bei 300 km/h, durch die großen Räder. Hier ist der Luxus der Langsamkeit. Die große Aufgabe war, das erst einmal wirklich langsam zu bekommen."

    Dafür müssen stufenloser Antrieb, Differenzialgetriebe und Kettenantrieb zusammenspielen. Für das neue, alte Tempogefühl.

    "Dadurch, dass es ein komplett offenes Fahrzeug ist, bekommt man erstmal die Geschwindigkeit 20 km/h wieder zu spüren. Der Fahrtwind einfach. Im Auto spürt man das nicht mehr. Da ist alles schön ruhig, gedämmt, windstill. Da meint man mit 20, man steht."

    Normalerweise fahren die Gäste aber mit fünf bis sieben km/ h. Kreuzfahrt zu Lande heißen die Touren, die die Kutschhalterei durch deutsche Heile-Welt-Landschaften anbietet. Etwa auf Fontanes Spuren durch die Mark Brandenburg, durch das barocke Oberschwaben, durch Taubertal, Bodenseehinterland oder eben die Fränkische Schweiz, wo auch der Fuhrpark stationiert ist. Ansonsten bringt ein Sattelzug die Kutschen dorthin, wo es besonders schön und ruhig ist.

    Nach zwei Tagen ruckeln über Stock und Stein, vorbei an Forsthäusern, Dörfern und durch Streuobstwiesen hindurch zieht ein Fahrgast der Landpartie durchs Fränkische, Michael Winter, seine Bilanz. Er rückt seinen Strohhut zurecht, und lässt noch mal seinen Blick über das Hügelland schweifen. Michael Winter:

    "Ähm, ich habe gerade überlegt, ob Schnelligkeit ein Fortschritt ist. Und da kann man lang lange drüber nachdenken, wenn man hier lang fährt. Es passt einfach alles zusammen. Diese Langsamkeit, die Brauereien, diese kleinen Hofläden. Hier gibt es weder Lidl noch McDonalds. Ich glaube, es ist schon eine ganz tolle Erfahrung. Besonders auch bei diesem etwas dunstigen Wetter, Nebel. Es ist auch schön: Man fährt an den Pflaumenbäumen vorbei, pflückt die, kann die Essen, großartig."

    Dann wird der Diesel wieder angeworfen und die Fahrt geht langsam weiter, diesmal durch Maisfelder zum Wallfahrtsort Gössweinstein. Als es in der Dämmerung empfindlich kühl wird, werden Decken hervorgekramt und ein Schnaps gereicht. Und als das nichts hilft, greift Leinenführer Rudolf Mauderer zum letzten Trick, ehe das Verdeck zugeklappt wird: Er wirft für die ledernen Sitzplätze die Sitzheizung an.

    "Das gibt es natürlich nicht nur im Fonds. Auch wir hier auf dem Kutschbock haben eine Sitzheizung. Und ich werde sie jetzt mal anmachen. Sie sagen bitte Bescheid, wenn es zu warm wird. Wir haben zwei Stufen. Also wir können es etwas wärmer machen, so wie es die Damen bevorzugen. Für die Herren haben wir auch noch eine leichtere Stufe eingebaut."

    Weitere Informationen:
    AAGLAND`sche Kutschhalterei
    Schloss Frankenberg
    97215 Weigenheim
    www.aaglander.de