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Ruprecht Polenz befürchtet Einfluss von Al-Kaida in Ägypten

Im islamistischen Spektrum Ägyptens gehe es gegenwärtig um die Frage, ob man demokratische Ziele verfolge oder auf Gewalt setze, sagt Ruprecht Polenz. Für den gewaltbereiten Flügel stehe die Terrororganisation Al-Kaida und diese habe gegenwärtig Oberwasser, so der CDU-Politiker.

Ruprecht Polenz im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 08.07.2013
    Tobias Armbrüster: Aus Ägypten wurden in der vergangenen Nacht wieder große landesweite Demonstrationen gemeldet. Die politische Lage im Land bleibt angespannt, noch immer dauert die Suche nach einer Übergangsregierung an.
    Mitgehört hat Ruprecht Polenz von der CDU, er ist der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Deutschen Bundestag. Schönen guten Morgen, Herr Polenz!

    Ruprecht Polenz: Guten Morgen, Herr Armbrüster!

    Armbrüster: Herr Polenz, bereiten Sie sich jetzt schon darauf vor, dass Sie nach den Muslimbrüdern jetzt mit Salafisten sprechen?

    Polenz: Ich hoffe erst einmal, dass es gelingt, die Situation in Ägypten zu deeskalieren. Ich denke, die Gefahr weiterer Gewalt ist noch lange nicht gebannt. Und wir sehen ja bei der Suche nach einer Übergangsregierung, dass das Grundproblem, nämlich einen Übergang hin zu Stabilität, einer verfassungsmäßigen Ordnung hinzubekommen, außerordentlich schwierig ist.

    Armbrüster: Was können Sie denn oder was kann die Bundesregierung tun, um die Lage zu deeskalieren, wie Sie sagen?

    Polenz: Ich glaube, von außen kann man sehr wenig tun. Man sollte nicht den Eindruck erwecken, als könne man eine revolutionäre Entwicklung in einem 80-Millionen-Volk - und das ist das, was man in Ägypten seit jetzt zwei Jahren beobachtet -, als könne man das von außen maßgeblich steuern. -Zum Zweiten muss man, glaube ich, darauf hinweisen, dass seit dem Sturz Mubaraks das Militär nach meiner Einschätzung die Macht eigentlich nie komplett abgegeben hat.

    Armbrüster: Das heißt jetzt also erst mal abwarten und gucken, was weiter passiert?

    Polenz: Nein. Man kann natürlich sagen, in welche Richtung wir uns eine Entwicklung wünschen würden. Wir können darauf drängen, dass alle beteiligten Akteure auf Gewalt verzichten, dass also gewaltfrei demonstriert wird. Wir können auf einen schnellen Übergang drängen, auf einen verfassungsmäßigen Prozess. Alles das kann man sagen und tun. Es gibt Möglichkeiten, die eigene Hilfe zu konditionieren. Ägypten ist angewiesen natürlich auf Entwicklungshilfe von außen.
    Aber in der jetzigen Situation, habe ich den Eindruck, gucken die beteiligten Akteure noch stärker nur auf sich und auf das, was aus ihrer Gruppe, ihrer Partei in den nächsten Tagen und Wochen wird, und die Frage, was sagt das Ausland zu A oder B, spielt, glaube ich, im Augenblick in der innerägyptischen Debatte eine relativ geringe Rolle.

    Armbrüster: Wäre die jetzige Situation nicht auch Anlass, mal auf die deutsche Außenpolitik zu gucken und sich so einige Lektionen vor Augen zu halten? Haben deutsche Politiker beispielsweise zu lange einen Schmusekurs mit Mohammed Mursi und den Muslimbrüdern gefahren?

    Polenz: Nein, das denke ich nicht. Die deutsche Außenpolitik hat immer darauf Wert gelegt, bestimmte Prinzipien in Ägypten sichergestellt sehen zu wollen und darauf hingewiesen. Aber ich sagte schon mal: Nach meiner Einschätzung war, anders als in Tunesien, wo der Übergangsprozess viel stärker von der Gesellschaft gesteuert wurde, wo er auch viel transparenter war, in Ägypten immer das Militär letztlich der entscheidende Faktor, der die Strippen gezogen hat, und das Militär hat zunächst mit den Muslimbrüdern paktiert. Nachdem die bei den Wahlen so viele Stimmen bekommen haben, hat das Militär gedacht, mit den Muslimbrüdern lassen sich die eigenen Privilegien am besten sichern. Jetzt sieht man nach einem Jahr, dass die Muslimbrüder politisch versagt haben, genauso wie Präsident Mursi, und jetzt schwenkt man um und versucht, mit einer anderen Konstellation wiederum vor allen Dingen die eigenen Privilegien zu sichern.

    Armbrüster: Hatten deutsche Außenpolitiker diese Entwicklung denn auf dem Schirm?

    Polenz: Ich denke schon! Ich denke, die Kritik an den ägyptischen Prozessen, die war richtig. Auf der anderen Seite war klar: Es hatte Wahlen gegeben, das ägyptische Volk hatte die Verfassung in einem Referendum angenommen. Wir hatten beim Verfassungsprozess kritisiert, dass er nicht inklusiv war, aber nach den Mehrheiten, die erforderlich waren, ist diese Verfassung verabschiedet worden und sie war jedenfalls offen genug, um von einem Parlament, was allerdings erst hätte gewählt werden müssen, in einer Gesetzgebung konkretisiert zu werden, und da wäre es dann auf die Zusammensetzung des nächsten Parlaments angekommen.
    Also Ägypten ist nach wie vor, finde ich, in einer sehr, sehr schwierigen Situation, und was man nicht übersehen darf, ist: Wir haben ja in dem islamistischen Spektrum eine grundsätzliche Auseinandersetzung über die Frage, ob man die eigenen Ziele demokratisch verfolgen kann und sollte, oder ob das überhaupt keinen Sinn hat und man besser nur auf Gewalt setzt. Für den letzten Flügel steht vor allen Dingen natürlich Al-Kaida, und die haben jetzt Oberwasser.

    Armbrüster: Wenn wir uns jetzt angucken, was passiert, was passiert ist in den vergangenen Tagen, auch die grausamen Szenen, von denen wir gehört haben, dass da von einem Moschee-Dach auf Demonstranten geschossen wurde, die 30 Toten bei den Demonstrationen am vergangenen Freitagabend, wie nahe steht Ägypten Ihrer Meinung nach am Bürgerkrieg?

    Polenz: Ich meine, wenn eine solche Entwicklung weiter eskaliert, gibt es ein historisches Beispiel. Das ist Algerien, wo das Militär zwischen erstem und zweitem Wahlgang, als die Islamisten zu gewinnen drohten, interveniert hat. Dann gab es in Algerien praktisch bürgerkriegsähnliche Situationen, das Militär herrscht dort bis heute, und zwar unmittelbar. Das will das ägyptische Militär sicherlich nicht. Aber die Gefahr ist aus meiner Sicht noch lange nicht gebannt und die Frage wird sein, verstehen in der jetzigen Krisensituation die ägyptischen Politiker - und zwar von allen Lagern - dass Demokratie vor allen Dingen auch Machtteilung heißt, Machtbalance und Kompromiss. Und dass Wählerauftrag nicht heißt, der Wähler hätte jetzt für Punkt und Komma ein gesellschaftliches Umgestaltungsprogramm entschieden, was nur in die Richtung einer Partei ginge.

    Armbrüster: Könnte Deutschland hier einen gewissen Druck ausüben, auch mit seinen finanziellen Hilfen? Die Bundesrepublik steckt da ja in einer sogenannten Transformationspartnerschaft mit Kairo. Da ist ein Betrag von 100 Millionen Euro an Hilfen im Spiel. Könnte man da sagen, Leute, wenn ihr es nicht richtig hinkriegt, dann überlegen wir noch mal, ob wir das Geld wirklich auszahlen?

    Polenz: Ich glaube, dass man natürlich deutlich machen muss, dass eine Transformationspartnerschaft nur dann Sinn hat, wenn sich Ägypten erstens als Partner empfindet, aber wenn es dann auch zweitens bereit ist, über bestimmte Dinge mit sich reden zu lassen. Denken Sie noch mal zurück an das Schicksal der Adenauer-Stiftung, die ja seit 30 Jahren im Land gearbeitet hat und dann in einem außerordentlich fragwürdigen Prozess verboten worden ist, mit Gefängnisurteilen für die leitenden Mitarbeiter. Zum Glück waren sie schon außer Landes gebracht vorher. Und dieser Prozess – das muss man noch mal betonen – ist auch von den alten Kräften angestrengt worden.
    Also die Justiz, über die ja auch immer in dem Zusammenhang geredet wird, die Justiz ist ja auch weitgehend schon unter Mubarak mit denselben Personen im Amt gewesen. Das darf man auch nicht vergessen.

    Armbrüster: Sollte dieses Geld also weiterhin fließen, auch wenn jetzt weitere, möglicherweise noch stärkere Islamisten an die Macht kommen?

    Polenz: Ich denke, man muss unterscheiden zwischen humanitären Projekten, zwischen Projekten der Trinkwasserversorgung, die die Gesundheit verbessern sollen, und so etwas. Wenn man das noch sinnvoll durchführen kann in der Sache, dann fände ich es verkehrt, solche Projekte zu streichen. Andererseits braucht Ägypten natürlich – das Land ist nahe dem Staatsbankrott – wesentlich mehr Hilfe, um auf die Beine zu kommen, und die kann man ja wirklich nur verantworten, wenn eine Regierung ins Amt kommt und Prozesse erkennbar werden, die tatsächlich auch in der Lage sind, Ägypten aus der Krise zu bringen und nicht weiter in eine bürgerkriegsähnliche Situation zu führen.

    Armbrüster: Was ist denn Ihr Eindruck? Wie aufmerksam wird in Ägypten überhaupt verfolgt, was aus Deutschland und aus Europa zu der Entwicklung gesagt wird?

    Polenz: Man verfolgt sicherlich die Frage, wie haltet ihr es mit der Demokratie. Ihr habt früher Mubarak unterstützt, dann habt ihr die Revolution bejubelt, und jetzt sagen zum Beispiel die Islamisten, jetzt habt ihr einem Militärputsch mehr oder weniger Beifall geklatscht. Deshalb sollte man das auch in dieser Form nicht tun. Ich denke, man kann das Eingreifen des Militärs verstehen, möglicherweise rechtfertigen, um eine bürgerkriegsähnliche Situation zu verhindern, denn die Demonstranten pro Mursi, gegen Mursi waren ja sehr zahlreich auf den Straßen, es war schon zu Gewalt gekommen.
    Aber wenn wir jetzt den Anschein erwecken, wir paktierten erneut mit dem Militär, das, glaube ich, wäre ein Signal, was die Ägypter in der ganzen Breite verstehen würden und nicht gut fänden.

    Armbrüster: Was ist denn Ihre Prognose? Wie wird es aussehen in Kairo, in Ägypten in einem halben Jahr?

    Polenz: Ich habe natürlich die Hoffnung, dass es gelingt, jetzt eine Übergangsregierung zu bilden, die als eine Regierung der nationalen Einheit empfunden wird. Ich erwarte nicht, dass sich die Muslimbrüder daran jetzt schon beteiligen, aber ich hoffe, dass sie es akzeptieren, dass jetzt dieser Prozess erst einmal so weitergeht und dass man dann unter Beteiligung aller Kräfte erneut an einer Verfassung arbeitet und zu demokratischen Wahlen kommt.
    Das wäre das optimistische Szenario und ich möchte mit meiner Erwartung lieber in diese Zukunftsrichtung schauen. Aber das andere Szenario haben wir vorhin besprochen, das wären algerische Verhältnisse der 1990er-Jahre.

    Armbrüster: Ruprecht Polenz war das, der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Deutschen Bundestag. Besten Dank, Herr Polenz, für dieses Gespräch heute Morgen.

    Polenz: Bitte schön, Herr Armbrüster.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.