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Russen staunen über den Fall Schröder

Das Engagement des Ex-Bundeskanzlers Gerhard Schröder im Konsortium für den Bau der deutsch-russischen Ostseegaspipeline erhitzt in Deutschland die Gemüter. Gar ein Untersuchungsausschuss wurde schon ins Gespräch gebracht, um zu erkunden, wie weit Schröder schon zu Amtszeiten die Nähe zum russischen Gasprom-Konzern gesucht hat. In Russland schaut man erstaunt auf das Spektakel. Isabella Kolar berichtet.

04.04.2006
    Donnerstag, 30. März, Gasprom-Zentrale Moskau. Der deutsche Ex-Kanzler Gerhard Schröder stellt sich den Fotografen. Soeben ist er einstimmig zum Aufsichtsratsvorsitzenden des Konsortiums für den Bau der deutsch-russischen Ostseegaspipeline gewählt worden. Neben ihm - - ebenfalls zufrieden - Gasprom-Chef Alexej Miller. Endlich hat sein Kreml-gesteuerter Erdgasmonopolist Schröder unter Vertrag, denn 51 Prozent der Aktien des neugeschaffenen Unternehmens hält Gasprom, neben der deutschen E.ON Ruhrgas und BASF. Durch seine guten Kontakte soll Schröder die Reputation des umstrittenen Projektes im Westen heben. Bis jetzt senkt er damit in erster Linie erst mal seine eigene. Politisch gefördert habe er ein Projekt, von dem er kurz darauf selbst wirtschaftlich profitierte - so der Vorwurf. 250 000 Euro im Jahr, sein Salär. Kritik? - Nicht angebracht, findet Schröder:

    "Denn dieses Projekt ist ein Projekt dreier unabhängiger privater Gesellschaften. Und es liegt im Interesse Deutschlands, und deswegen wird es von jeder deutschen Regierung unterstützt. Aber die Entscheidungen über den Bau sind unternehmerische Entscheidungen, und ich bin in die Unternehmensentscheidungen zu keiner Zeit eingeweiht gewesen, und deswegen ist diese Kritik nach meiner Auffassung auch falsch."

    Doch schon zwei Tage später, die zweite Welle der Entrüstung: Die Bundesregierung hat sich noch zur Amtszeit Schröders bereit erklärt, die Garantie für einen möglichen Kredit über eine Milliarde Euro beim Bau der Ostsee-Pipeline zu übernehmen - das Ganze so geheim, dass selbst Gerhard Schröder nach eigenen Angaben nichts davon wusste. Und Gasprom erklärt umgehend: Von dem Kredit wolle man auch nichts wissen, man lehne ihn ab, man sei ein erstklassiger Schuldner, der überhaupt kein Gebrauch von Staatsbürgschaften mache. Mysteriös und logisch zugleich, findet Lilia Schewzowa vom Moskauer Carnegie Zentrum:

    "Sowohl Gasprom als auch Schröder versuchen diese Geschichte zu vertuschen. Es ist nicht im Interesse von Gasprom, einen Skandal genau jetzt zu haben, wenn man Europa erobern will. Und man will auch nicht Schröders Ruf verderben, weil Gasprom und die russische Führung ihn für den wichtigsten Lobbyisten von Gasprom in Europa und in der Welt halten."

    Und selbst wenn Gasprom mit dem Kredit gerechnet haben sollte, so wird die entgangene Milliarde kein Hindernis beim Bau der deutsch-russischen Ostseepipeline sein, meint Wirtschaftsexperte Jewgenij Jasin:

    "Man muss zusätzliche Mittel zusammensuchen und Garantien privater Versicherer hinzuziehen, die teurer sein werden, doch den Bau wird das kaum stören."

    Das russische Volk unterdessen schaut sowohl mit Schadenfreude als auch mit Bewunderung auf das Schröder-Spektakel in Berlin. Der Politologe Leonid Radzichowski:

    "Die Mehrheit der Russen weiß, dass ihre Beamten und Minister je nach Dienstgrad entsprechende Bestechungsgelder nehmen. Deshalb freuen sich die meisten über diese Geschichte und sagen: 'Seht her, nicht nur bei uns, auch bei euch.' Und eine Minderheit, ist beeindruckt davon, dass, wenn in einem demokratischen Land wie Deutschland irgendwelche Verdachtsmomente entstehen, sofort ein Riesenskandal beginnt, so dass der Betreffende, ob ein Ex-Kanzler oder jemand anders, sich rechtfertigen muss und ganz unklar ist, wie das Ganze für ihn endet."

    Doch selbst zurückgeben, wie vereinzelt gefordert, müsse Schröder den Job gar nicht, glaubt Lilija Schewzowa. Sein neuer Arbeitgeber werde da nachhelfen, zu unterschiedlich seien die russischen und die deutschen Interessen beim Bau der Pipeline:

    "Russland hat ihn als Lobbyist angeheuert, damit er die Interessen von Gasprom in Europa vertritt. Aber wenn Europa nicht mit zweierlei Maß misst, dann wird Schröder kein effektiver Lobbyist sein und Gasprom muss ihn früher oder später entlassen. Wenn Deutschland an normalen Beziehungen zu Polen, dem Baltikum und Finnland interessiert ist, muss es erneut die Frage nach den Baubedingungen dieser Pipeline stellen."

    Dabei gehe es um die wirtschaftlichen und ökologischen Bedenken der Anrainerstaaten, so Schewzowa. Ums Gas geht es Gerhard Schröder nach eigenen Angaben bei seinem Engagement für die Pipeline. Um Kohle gehe es, behaupten böse Zungen. Bald könnte er ohne beides dastehen, das Geschmäckle aber wird bleiben.