Philipp Krohn: Freie Journalistenorganisationen und der Verband der Zeitungsverleger sehen eine zunehmende Aushöhlung der Pressefreiheit in Deutschland. Freie Recherche sei in Zeiten des Antiterrorkampfes keine Selbstverständlichkeit mehr, warnten sie anlässlich des heutigen Internationalen Tages der Pressefreiheit. Weit entfernt, aber auch das betonen sie, sei man nach wie vor von den Zuständen etwa in China, wo Dutzende von Journalisten aus politischen Gründen inhaftiert sind. Unklarer ist die Situation in Russland, wo der scheidende Präsident Putin immer wieder auf die Bedeutung der Pressefreiheit hingewiesen hat, aber gleichzeitig schärfere Mediengesetze erlässt. Bewerten möchte ich diese Entwicklung mit Thomas Roth, dem Leiter des ARD-Fernsehstudios in Moskau. Guten Morgen, Herr Roth!
Thomas Roth: Ja, schönen guten Morgen!
Krohn: Herr Roth, sind diese Äußerungen von Putin nur Lippenbekenntnisse?
Roth: Ja, das ist ganz eindeutig so. Denn unter Putin waren die Elemente, die es vorher noch unter Jelzin an Pressefreiheit gegeben hat, und es bezieht sich in Russland vor allem auf die elektronischen Medien. Denn das Land ist so riesig, das heißt Fernsehen vor allem, das Land ist so riesig, dass sich der normale russische Hörer oder Zuschauer natürlich übers Fernsehen versorgt, und dort ist inzwischen kein kritisches Wort mehr über Putin zu hören. Die Sender, die landesweiten Sender, sind alle mehr oder weniger unter staatlicher Kontrolle oder werden staatlich vom Kreml geführt, und das hat mit Pressefreiheit nichts mehr zu tun. Das war unter Jelzin noch anders. Da gab es mindestens einen Fernsehsender und in Teilen auch sogar der Staatskanal, der russische, damals schon Staatskanal, in dem durchaus heftige Kritik auch an der jeweiligen Politik geäußert worden ist. Das hat sich nun geändert. Obwohl Putin in der Tat, da haben Sie völlig recht, auch in den letzten Jahren immer wieder von Pressefreiheit gesprochen hat. Übrigens auch der neue Präsident, der am 7. Mai im Kreml die Inauguration bekommt, ins Amt eingeführt wird, hat noch ganz kurz vor der Wahl eine Rede gehalten, wo er sehr von der Notwendigkeit freier Presse sprach. Aber das bezieht sich bei den elektronischen Medien jedenfalls nicht auf die Wirklichkeit. Was die Zeitungen angeht, da muss man immer wissen, die Zeitungen, die ernsthaft sind, nicht die Boulevard-Presse, die haben kleine Auflagen. Da gibt es in der Tat eine, die sehr kritisch ist, sehr mutig ist. Das ist die sogenannte "Nowaja Gazeta", das ist die "Neue Zeitung". Das ist die Zeitung, bei der Anna Politkowskaja gearbeitet hat, unsere vor anderthalb Jahren ermordete russische Kollegin. Aber das sind dann Auflagen von etwa 180.000, und der Journalistenverband hier sieht das auch mehr als Alibi, dass so eine Zeitung noch möglich ist.
Krohn: Sie haben ja jetzt viele Aspekte schon angesprochen. Ein Aspekt, den ich etwas vertiefen will, ist die Kontrolle. Wie funktioniert diese Medienkontrolle, wenn es keine direkte Beteiligung des Staates gibt?
Roth: Es gibt mehrere Varianten, natürlich. Die allereinfachste ist die Besetzung der journalistischen Position zum einen, dann zum anderen, so sagen es auch russische Kollegen, die direkte Einmischung in das Programm. Das bezieht sich zum Beispiel auch darauf, während der sogenannten Wahlen, die jedenfalls keine Wahlen, die wir als demokratisch bezeichnen würden, für die Duma, das Parlament beziehungsweise auch für den Präsidenten, da erscheint die Opposition dann ganz einfach nicht mehr oder nur zu ganz, ganz kleinen Teilen. Und man sah dann in dem Fall dann immer Putin oder Medwedew lange im Fernsehen, und der Rest erschien gar nicht mehr. Das heißt, das ist die eine Variante. Die andere ist die direkte Einmischung. Da geht es weniger um Gesetz, um den staatlichen Sender, dem zweiten Kanal, das russische Fernsehen, der sowieso dem Staat gehört. Die anderen sind eigentlich private Sender. Aber entweder ist der Staat mehrheitlich dran beteiligt oder hat Aktienanteile, oder er mischt sich direkt ein. Weil jeder weiß, wenn er eine andere inhaltliche Programmpolitik machen würde, würde dieser Sender nicht allzu lange leben oder hätte jedenfalls große Schwierigkeiten. Natürlich sind wir auch nicht dabei, wenn solche Anrufe dann in diese Fernsehsender hineingehen, zum Beispiel vom Kreml, und die Direktiven da ausgegeben werden. Aber das Programm sieht jedenfalls so aus.
Krohn: Sie selber sind ja jetzt schon das dritte Mal in Moskau. Wie hat sich das für Sie persönlich entwickelt?
Roth: Wir ausländischen Journalisten arbeiten hier immer noch frei. Wir haben keine Zensur, wir haben niemanden etwas vorzulegen. In den letzten Jahren ist es schwieriger geworden, Drehgenehmigungen, was das Fernsehen insbesondere angeht, Drehgenehmigungen in den sogenannten Sicherheitsbereichen zu bekommen, im Grenzgebiet etwa. Das Grenzgebiet ist erweitert worden, und da kommt man dann nur noch mit Drehgenehmigung zum freien Arbeiten. Das ist schwieriger geworden. Aber die ausländischen Journalisten arbeiten hier noch relativ frei. Aber, wie gesagt, wir senden ja nicht für Russland, sondern wir senden für das deutschen Publikum in unserem Fall. Und von daher sind wir da noch nicht im Fokus bislang.
Krohn: Zuletzt ist ja eine Internetzeitung geschlossen worden, weil sie über Putins angebliche Scheidung berichtet hatte, und das wurde erlaubt durch das neue Mediengesetz. Wie funktioniert dieses Mediengesetz?
Roth: Das war so ein ganz klassischer Fall. In der Tat waren wir alle überrascht, als plötzlich aus dem privaten Leben von Putin in dieser kleinen Internetzeitung berichtet worden ist. Dass er angeblich eine Beziehung habe mit einer anderen Dame, das ist vom Kreml dann zunächst verschwiegen, dann dementiert worden, und am Folgetag war die Zeitung dann zu. Die gibt es nicht mehr. Das Gesetz ist nachgereicht worden. Das hat dann erst die Duma eine Woche später, die sich ursprünglich damit eigentlich gar nicht befassen wollte, eine Woche später in erster Lesung dann durchgereicht, und es wird demnächst dann gültig sein. Das heißt, alles, was sozusagen in die Nähe des Präsidenten kommt und nicht so berichtet, wie berichtet werden soll, ist unmittelbar gefährdet. Interessant ist übrigens, dass diese kleine Internetzeitung einem der russischen Milliardäre gehört, der unter anderem auch die "Nowaja Gazeta", von der ich eben gesprochen habe, finanziert. Aber diese Zeitung ist dann sofort dichtgemacht worden. Und das kann eigentlich nur auf direkte Weisung geschehen sein.
Krohn: Zur Pressefreiheit gehören ja auch die Empfänger, die diese Freiheit in Anspruch nehmen. Warum lösen solche Entwicklungen keine größeren Proteste aus?
Roth: Das kann man nur verstehen, überhaupt die gesamte politische Situation in Russland, wenn man sich noch mal ganz kurz die 90er Jahre ins Gedächtnis ruft, die Transformation, um es neutral zu sagen, vom Sowjetstaat in einen, na, wie soll man sagen, kapitalistischen, neokapitalistischen Staat, der in den 90er Jahren nichts anderes war als eine Art Raubtierkapitalismus. Das war das eine. Das hat ganz große Teile der Bevölkerung um die 70 Prozent unmittelbar in Armut gestürzt. Es war politisch ein relatives Chaos. Sie erinnern sich, wir hatten zweimal in den 90er Jahren Panzer in der Moskauer Innenstadt. Und die Russen, die normale russische Bevölkerung sagte, alles, bloß das auf gar keinen Fall wieder, und ist deshalb auch bereit, wenn es dazu nicht kommt, eben solche Dinge hinzunehmen. Das ist das eine. Das andere, die Zivilgesellschaft, die Reste davon, die noch übrig sind, in den 90er Jahren hatte sich ein bisschen was davon entwickelt, ist unter enormen Druck der Sicherheitsdienste, alle, zum Beispiel Nicht-Regierungsorganisationen, also solche, die von der Regierung nicht direkt kontrolliert werden, aber kritisch sind, sind enorm unter Druck gekommen. Und deshalb kann sich da gar nicht mehr viel entwickeln. Am Ende, glaube ich, wird das solange bleiben, wie der Öl- und Gasboom, der enorm viele Milliarden nach Russland hereinspült, anhält und für einen Teil der Bevölkerung davon auch was abfällt. Dann ist die Bevölkerung bereit, das auch hinzunehmen. Ob das immer so bleibt, wage ich zu bezweifeln. Ich glaube, auch dieses System wird natürlich an sein Ende kommen. Aber im Moment ist das nicht so.
Krohn: Im Deutschlandfunk war das Thomas Roht, der ARD-Fernsehkorrespondent. Schönen Dank und viele Grüße nach Moskau!
Thomas Roth: Ja, schönen guten Morgen!
Krohn: Herr Roth, sind diese Äußerungen von Putin nur Lippenbekenntnisse?
Roth: Ja, das ist ganz eindeutig so. Denn unter Putin waren die Elemente, die es vorher noch unter Jelzin an Pressefreiheit gegeben hat, und es bezieht sich in Russland vor allem auf die elektronischen Medien. Denn das Land ist so riesig, das heißt Fernsehen vor allem, das Land ist so riesig, dass sich der normale russische Hörer oder Zuschauer natürlich übers Fernsehen versorgt, und dort ist inzwischen kein kritisches Wort mehr über Putin zu hören. Die Sender, die landesweiten Sender, sind alle mehr oder weniger unter staatlicher Kontrolle oder werden staatlich vom Kreml geführt, und das hat mit Pressefreiheit nichts mehr zu tun. Das war unter Jelzin noch anders. Da gab es mindestens einen Fernsehsender und in Teilen auch sogar der Staatskanal, der russische, damals schon Staatskanal, in dem durchaus heftige Kritik auch an der jeweiligen Politik geäußert worden ist. Das hat sich nun geändert. Obwohl Putin in der Tat, da haben Sie völlig recht, auch in den letzten Jahren immer wieder von Pressefreiheit gesprochen hat. Übrigens auch der neue Präsident, der am 7. Mai im Kreml die Inauguration bekommt, ins Amt eingeführt wird, hat noch ganz kurz vor der Wahl eine Rede gehalten, wo er sehr von der Notwendigkeit freier Presse sprach. Aber das bezieht sich bei den elektronischen Medien jedenfalls nicht auf die Wirklichkeit. Was die Zeitungen angeht, da muss man immer wissen, die Zeitungen, die ernsthaft sind, nicht die Boulevard-Presse, die haben kleine Auflagen. Da gibt es in der Tat eine, die sehr kritisch ist, sehr mutig ist. Das ist die sogenannte "Nowaja Gazeta", das ist die "Neue Zeitung". Das ist die Zeitung, bei der Anna Politkowskaja gearbeitet hat, unsere vor anderthalb Jahren ermordete russische Kollegin. Aber das sind dann Auflagen von etwa 180.000, und der Journalistenverband hier sieht das auch mehr als Alibi, dass so eine Zeitung noch möglich ist.
Krohn: Sie haben ja jetzt viele Aspekte schon angesprochen. Ein Aspekt, den ich etwas vertiefen will, ist die Kontrolle. Wie funktioniert diese Medienkontrolle, wenn es keine direkte Beteiligung des Staates gibt?
Roth: Es gibt mehrere Varianten, natürlich. Die allereinfachste ist die Besetzung der journalistischen Position zum einen, dann zum anderen, so sagen es auch russische Kollegen, die direkte Einmischung in das Programm. Das bezieht sich zum Beispiel auch darauf, während der sogenannten Wahlen, die jedenfalls keine Wahlen, die wir als demokratisch bezeichnen würden, für die Duma, das Parlament beziehungsweise auch für den Präsidenten, da erscheint die Opposition dann ganz einfach nicht mehr oder nur zu ganz, ganz kleinen Teilen. Und man sah dann in dem Fall dann immer Putin oder Medwedew lange im Fernsehen, und der Rest erschien gar nicht mehr. Das heißt, das ist die eine Variante. Die andere ist die direkte Einmischung. Da geht es weniger um Gesetz, um den staatlichen Sender, dem zweiten Kanal, das russische Fernsehen, der sowieso dem Staat gehört. Die anderen sind eigentlich private Sender. Aber entweder ist der Staat mehrheitlich dran beteiligt oder hat Aktienanteile, oder er mischt sich direkt ein. Weil jeder weiß, wenn er eine andere inhaltliche Programmpolitik machen würde, würde dieser Sender nicht allzu lange leben oder hätte jedenfalls große Schwierigkeiten. Natürlich sind wir auch nicht dabei, wenn solche Anrufe dann in diese Fernsehsender hineingehen, zum Beispiel vom Kreml, und die Direktiven da ausgegeben werden. Aber das Programm sieht jedenfalls so aus.
Krohn: Sie selber sind ja jetzt schon das dritte Mal in Moskau. Wie hat sich das für Sie persönlich entwickelt?
Roth: Wir ausländischen Journalisten arbeiten hier immer noch frei. Wir haben keine Zensur, wir haben niemanden etwas vorzulegen. In den letzten Jahren ist es schwieriger geworden, Drehgenehmigungen, was das Fernsehen insbesondere angeht, Drehgenehmigungen in den sogenannten Sicherheitsbereichen zu bekommen, im Grenzgebiet etwa. Das Grenzgebiet ist erweitert worden, und da kommt man dann nur noch mit Drehgenehmigung zum freien Arbeiten. Das ist schwieriger geworden. Aber die ausländischen Journalisten arbeiten hier noch relativ frei. Aber, wie gesagt, wir senden ja nicht für Russland, sondern wir senden für das deutschen Publikum in unserem Fall. Und von daher sind wir da noch nicht im Fokus bislang.
Krohn: Zuletzt ist ja eine Internetzeitung geschlossen worden, weil sie über Putins angebliche Scheidung berichtet hatte, und das wurde erlaubt durch das neue Mediengesetz. Wie funktioniert dieses Mediengesetz?
Roth: Das war so ein ganz klassischer Fall. In der Tat waren wir alle überrascht, als plötzlich aus dem privaten Leben von Putin in dieser kleinen Internetzeitung berichtet worden ist. Dass er angeblich eine Beziehung habe mit einer anderen Dame, das ist vom Kreml dann zunächst verschwiegen, dann dementiert worden, und am Folgetag war die Zeitung dann zu. Die gibt es nicht mehr. Das Gesetz ist nachgereicht worden. Das hat dann erst die Duma eine Woche später, die sich ursprünglich damit eigentlich gar nicht befassen wollte, eine Woche später in erster Lesung dann durchgereicht, und es wird demnächst dann gültig sein. Das heißt, alles, was sozusagen in die Nähe des Präsidenten kommt und nicht so berichtet, wie berichtet werden soll, ist unmittelbar gefährdet. Interessant ist übrigens, dass diese kleine Internetzeitung einem der russischen Milliardäre gehört, der unter anderem auch die "Nowaja Gazeta", von der ich eben gesprochen habe, finanziert. Aber diese Zeitung ist dann sofort dichtgemacht worden. Und das kann eigentlich nur auf direkte Weisung geschehen sein.
Krohn: Zur Pressefreiheit gehören ja auch die Empfänger, die diese Freiheit in Anspruch nehmen. Warum lösen solche Entwicklungen keine größeren Proteste aus?
Roth: Das kann man nur verstehen, überhaupt die gesamte politische Situation in Russland, wenn man sich noch mal ganz kurz die 90er Jahre ins Gedächtnis ruft, die Transformation, um es neutral zu sagen, vom Sowjetstaat in einen, na, wie soll man sagen, kapitalistischen, neokapitalistischen Staat, der in den 90er Jahren nichts anderes war als eine Art Raubtierkapitalismus. Das war das eine. Das hat ganz große Teile der Bevölkerung um die 70 Prozent unmittelbar in Armut gestürzt. Es war politisch ein relatives Chaos. Sie erinnern sich, wir hatten zweimal in den 90er Jahren Panzer in der Moskauer Innenstadt. Und die Russen, die normale russische Bevölkerung sagte, alles, bloß das auf gar keinen Fall wieder, und ist deshalb auch bereit, wenn es dazu nicht kommt, eben solche Dinge hinzunehmen. Das ist das eine. Das andere, die Zivilgesellschaft, die Reste davon, die noch übrig sind, in den 90er Jahren hatte sich ein bisschen was davon entwickelt, ist unter enormen Druck der Sicherheitsdienste, alle, zum Beispiel Nicht-Regierungsorganisationen, also solche, die von der Regierung nicht direkt kontrolliert werden, aber kritisch sind, sind enorm unter Druck gekommen. Und deshalb kann sich da gar nicht mehr viel entwickeln. Am Ende, glaube ich, wird das solange bleiben, wie der Öl- und Gasboom, der enorm viele Milliarden nach Russland hereinspült, anhält und für einen Teil der Bevölkerung davon auch was abfällt. Dann ist die Bevölkerung bereit, das auch hinzunehmen. Ob das immer so bleibt, wage ich zu bezweifeln. Ich glaube, auch dieses System wird natürlich an sein Ende kommen. Aber im Moment ist das nicht so.
Krohn: Im Deutschlandfunk war das Thomas Roht, der ARD-Fernsehkorrespondent. Schönen Dank und viele Grüße nach Moskau!
