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Russische Melancholie, französische Zoten

Für das alteingesessene Festspielpublikum in Salzburg hatte Markus Hinterhäuser mit den beiden Stars Patricia Petibon und Anna Netrebko durchaus ungewöhnliche Liederabende konzipiert. Nachdem sie zwei Jahre nicht mit von der Partie gewesen war, gab Netrebko ausschließlich melancholische Lieder aus Russland - nicht unbedingt zur Freude des Publikums.

Von Jörn Florian Fuchs |
    Vermutlich war es das begehrteste Ticket der Saison und doch applaudierte und komplimentierte das Publikum die russische Stardiseuse Anna Netrebko am Ende glatt aus dem Großen Festspielhaus. Es war schon recht spät geworden, die vorigen zwei Stunden herrschte eine vorwiegend düstere Stimmung, auf mehr denn zwei Zugaben hatte man offenbar keine Lust. Nach den knappen Gustostückerln von Dvorak und Richard Strauss erhob sich die erlauchte Festspiel-Klientel zu stehenden Ovationen - und verließ hernach rasch das Auditorium.

    Mit hohen Erwartungen kam die Adabei und Bussi-Bussi-Gesellschaft, doch all die TV-Serienstars und Großindustriellengattinnen durften diesmal keine Operettenfrechheiten erleben, keinerlei Champagnerseligkeit wollte sich einstellen, außer in der Pause, wo der überteuerte Blubbersaft wie immer reißenden Absatz fand.

    Mitten im Salzburger Festspielsommer wurde es plötzlich Herbst. Der Grund: ein melancholisch versonnener Liederkreis aus Werken von Rimski-Korsakow und Tschaikowski. Das Kernthema heißt Abschied. Es wird freiwillig oder unfreiwillig Abschied genommen von der oder dem Geliebten, von der verklärten Jugendzeit oder gleich ganz vom irdischen Leben. Immer wieder durchzieht die Nachtigall als schattig-lunares Wesen die Texte und Melodien.

    Auf der Bühne steht indes die russische Nachtigall Anna Netrebko, zunächst in einem schön fließenden Altrosé-Kleid, nach der Pause wechselt sie zu schwerem schwarzen Stoff mit weißem Saum und hübschen Stoffintarsien. Unerwartet unprätentiös sind Gestik und Mimik, wenn man vom Händchenhalten mit Klavierpartner Daniel Barenboim absieht. Barenboim war übrigens die Enttäuschung des Abends, zwar spielte er einige Begeleitfiguren wunderbar zart, öfters stimmte er jedoch sehr eigene Tempi an und verschliff zudem manches beim Abdämpfen recht unschön.

    Netrebko jedoch gelang ein Triumph. Den Jungmädchencharme ihrer Donna Anna hat sie verloren, jetzt singt da eine reife Frau mit kräftiger, bronzen-timbrierter Stimme von nahegehenden Gefühlen und den Weiten Russlands. Wie sie in Rimski-Korsakows Puschkin-Vertonung "Es lichtet sich der Zug der fliegenden Wolken" die Landschaft zum Klingen bringt oder Tschaikowskis ekstatischen Ewigkeitsschwüren "Ob Tag herrscht" (Text von Alexei Apuchtin) zaubrisch sichere Bögen verleiht - das alles ist von ergreifender Schönheit. Netrebkos Salzburger Liederabend bedeutet nicht geringeres als den Triumph einer Ausnahme-Sängerin über ihre mediale Vermarktung.

    Einige Tage vor Netrebko stellte sich im Haus für Mozart eine andere Sopranistin mit einem eigenwilligen, aber leichter konsumierbaren Programm vor. Patricia Petibon ließ sich vom französischen Regisseur Olivier Py in Szene setzen. Dieser erfand für Petibon eine Fülle von Gags und Verwandlungen, wobei sich die hauptsächlichen Sangesaktionen vor einem andeuteten Schminkspiegel aus Glühbirnen nebst einer Galerie von Sonnenblumen abspielen.

    Recht zotig wird da mit Erik Satie oder Francis Poulenc Cabaret-Stimmung verbreitet, Aaron Coplands Folksongs erzählen von einfachen Leuten und großen Hoffnungen. Und gelegentlich befasst sich Petibon auch mit der Tierwelt, indem sie knurrt, jault und faucht. Zum Finale lässt sie sich dann noch - beinahe - zu einem Bad in der jubelnden Menge hinreißen, dafür nahm man dann auch einige vokale Schärfen, etwa in Rachmaninows berühmter Vocalise, gern in Kauf ...