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Russische und afrikanische Töne

F.I.N.D das steht für das Festival Internationale Neue Dramatik an der Berliner Schaubühne. Gezeigt werden Arbeiten zeitgenössischer Autoren und Theatermacher. Deutsche Fördergelder haben in diesem Jahr gefehlt, deshalb ist das Festival zwar eine eher kleine, aber beachtliche Gastspielreihe.

Von Eberhard Spreng |
    Eine leere Bühne mit einer alten dreiteiligen Couch, eine paar Lichtstimmungen und eine Schauspielerin, die mit ihrem Solo die seelische Verfasstheit eines jungen Middle-Class- Mädchens offenbart und eine ganz alltägliche Geschichte, ins Gefährliche umschlagende Geschichte einer Rangelei zwischen jungen Leuten erzählt. Autor Jack Thorne verknüpft vor dem Hintergrund einer drohenden Fabrikschließung klug die Geschichte einer Aggression zwischen jungen, Rassismus zwischen verschiedenen ethnischen Minderheiten, erotischen Verwirrungen und Wünschen nach Anerkennung einer jungen Frau.

    "Jedes Mal, wenn wir den Jungen irgendwo verschwinden sehen, sagt Abe 'Lass mich raus ich schnapp ihn mir' aber Aziz sagt immer 'Alter, vergiss es, du bist zu fuß er auf dem Rad, du kriegst ihn nicht, außerdem kenn ich diese Straßen wie den Arsch von meiner Ex. Er wirft mir einen Blick zu. 'Ich weiß wo die Gasse rauskommt.'"

    Jenny Königs von Christoph Schletz eingerichtetes Solo ist genau das, was F.I.N.D. im Idealfall sein kann: Eine Begegnung mit Gegenwartsdramatik in schlanken szenischen Lesungen oder wie hier, leicht hingeworfenen Inszenierungen und die Begegnung mit Stoffen, aus denen der Weltzustand immerhin in Facetten sichtbar wird. Aber "Bunny", das gestern Abend Premiere hatte, ist im bisherigen Programm eher eine Ausnahme. Vor allem das Eröffnungswochenende war geprägt von großen Gastspielen, in denen die Gegenwart aus Adaptionen klassischer Stoffe ablesbar sein soll.

    Thomas Ostermeiers hat für seine am Moskauer Theater der Nationen inszenierte "Fräulein Julie" zusammen mit dem russischen Dramatiker Michail Durnenkow Strindbergs Vorlage in eine heutiges winterliches Russland versetzt. Vor allem für den Diener Jean haben die Adaptateure entsprechend der Russlanderfahrungen von Thomas Ostermeier einen neuen Job als Fahrer eines Ex-Generals gefunden.
    "Was sind das eigentlich für junge Männer, die Morgens um Acht die Leute abholen, und dann bis in die Nacht, vor dem Club bis zwei drei Uhr früh parken. Arbeitnehmerschutz gibt es da nicht, es sind wie ich dann erfahren viel Kriegsheimkehrer aus dem Tschetschenienkrieg, was jede kriegsführende Gesellschaft als Problem hat: Wie gliedere ich die Soldaten wieder ein ins Leben wird dort oft gelöst über diesen Job als Chauffeur und das sind zum Teil Leute, die in den Autos sogar richtiggehend leben."

    Die Gräuel des Tschetschenienkrieges brechen in dem von Jewgenij Mironow vorzüglich gespielten Angestellten immer wieder als schwer gebändigtes Trauma durch, die moderne Partygöre Julie ist ihrerseits auch dann, wenn Jean nach der Partynacht Macht über sie bekommen hat, nicht völlig wehrlos und auch die Köchin Kristin bekommt in diesem Endspiel mit ihrem eigenen Lebensplan eine deutlich aktivere Rolle. So gelingt hier, was oft genug scheitert: Strindbergs Figuren schaffen im Spiel dieser in Russland berühmten Film- und Theaterschauspieler den Sprung von der ständischen Gesellschaft in den entfesselten, gewalttätigen Kapitalismus des postsozialistischen Russlands.

    Wo Ostermeier einen präzisen, psychologischen Blick auf eine Geschlechter- und Gesellschaftskonstellation wirft und damit in einem völlig neuen Umfeld Strindbergs Kampf zwischen Mann und Frau für heute neu erschließt, ist auf Krzysztof Warlikowskis gewaltiger Bühne das Verhältnis zwischen Menschen in wuchtige Bilder gepackt, in Stereotypen, Parabeln und Metaphern. Er hat die Kernszenen aus Shakespeares "Lear", dem "Kaufmann von Venedig" mit dem Juden Shylock und "Othello" mit Texten des südafrikanischen Nobelpreisträgers Coetzee kollagiert. "Afrikanische Erzählungen nach Shakespeare" nennt der polnische Regisseur seine Chiffren des Ausschlusses, der gesellschaftlichen Isolierung.

    Am stärksten sind Warlikowskis Etüden über die Jagd auf den Anderen wenn Othellos Frau Desdemona zum Opfer einer Bande von Männern um Jago und Cassio wird, allesamt pornografiehörige, psychisch verwahrloste Machos. Antisemitismus, Rassismus, Sexismus, Isolierung des Demenzkranken - das Gastspiel des Warschauer neuen Theaters holt aus seinem dramatischen Material jeweils die Kernaussage, den Kernkonflikt heraus und lässt Figurenentwicklungen beiseite.

    Man mag bei F.I.N.D., abgesehen von manchem Beiläufigen und Unwichtigen bislang einiges über Bearbeitungsmöglichkeiten klassischen Dramenmaterials erfahren, ein Internationales Festival Neue Dramatik ist dies natürlich nur noch als Etikettenschwindel. Deutsche Fördergelder haben in diesem Jahr gefehlt und andere, der Schaubühne zu Gebote stehende, europäische Mittel im Rahmen des Prospero-Theater-Verbundes fördern Gastspiele üppiger Inszenierungen und eben keine Skizzen kleiner neuer Stücke. Und deshalb ist F.I.N.D. in diesem Jahr eher eine kleine, aber beachtliche Gastspielreihe.