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Russischer Gelehrter mit hessischen Freiheiten

Michail Wassiljewitsch Lomonossow war ein Universalgelehrter, der die russische Wissenschaft begründete. Er regte auch die Gründung der Moskauer Universität an, die seinen Namen trägt. Einen guten Teil seiner Bildung erwarb sich Lomonossow im hessischen Marburg .

Von Mathias Schulenburg | 19.11.2011
    Michail Lomonossow, am 19. November 1711 in einem Dorf im hohen Norden Russlands nahe Archangelsk geboren, war ein sehr vielseitiger Mann, der es zu so großem Ruhm bringen sollte, dass die von ihm angeregte Moskauer Universität seinen Namen trägt. Die Geschichte seines Aufstiegs aber war abenteuerlich.

    Lomonossows Vater hatte als tatkräftiger Fischer ein vergleichsweise gutes Auskommen und er unterwies Michail erfolgreich in Schiffsdingen, als dieser gerade zwölf Jahre alt war. Der Junge erwies sich auch sonst als ausgesprochen gelehrig; die einzigen am Ort verfügbaren Lehrbücher - eines über Arithmetik und eines über russische Grammatik - lernte er auswendig.

    Im Dezember 1730 machte sich der 19-Jährige - so gut wie mittellos, gegen den Willen des Vaters - mit einer Karawane, die gefrorenen Fisch transportierte, auf den 1000 Kilometer weiten Weg nach Moskau. Gegen alle Wahrscheinlichkeit, unter großen Entbehrungen und abenteuerlichen Umständen, gelang ihm dort der Einstieg in eine wissenschaftliche Karriere. Nach drei Jahren hatte er sich als der Fähigste unter seinen Mitstudenten etabliert; er wurde zur Weiterbildung nach St. Petersburg geschickt und dann, 1736, mit zwei Kommilitonen nach Deutschland.

    Die russische Regierung wollte die Bodenschätze Sibiriens erschließen, aber es fehlten die Fachleute. Die notwendigen Kenntnisse sollten sich die Studenten an der Bergakademie im sächsischen Freiberg verschaffen; zunächst aber ging es zur Vorbereitung nach Marburg an der Lahn, wo der damals weltberühmte Universalgelehrte Christian Wolff die Betreuung der Gaststudenten zugesagt hatte.

    Michail Lomonossow studierte in Marburg mit großem Gewinn, wenngleich die - an Russland gemessen - paradiesischen akademischen Freiheiten auch ihn überforderten. Christian Wolff in einem Brief:

    Sie sind der Wollust zu sehr ergeben gewesen und haben sich an Weibs-Personen gehangen.

    Von Lomonossows Intellekt aber hielt Professor Wolff sehr viel:
    Der mit außerordentlichem Scharfsinn begabte junge Michail Lomonosov [...] war der Grundlagenlehre über alle Maßen zugetan. Wenn er sich auch in Zukunft mit solchem Fleiß fortentwickelt, so zweifle ich nicht daran, dass er nach seiner Rückkehr in sein Vaterland Nutzen daraus ziehen wird, was ich von Herzen wünsche.

    1739 reisten Lomonossow und Kollegen zum eigentlichen Ziel ihrer Deutschlandreise, nach Freiberg in Sachsen, um sich dort in Hüttenkunde unterweisen zu lassen. Nach nur zehn Monaten aber hatte Lomonossow von seinem dortigen Betreuer, dem Bergrat Henckel, ob dessen Knauserigkeit die Nase voll und kehrte Freiberg absprachewidrig den Rücken. Er wollte wieder nach Russland, allein - es fehlten die Mittel. Er schlug sich mit Gelegenheitsarbeiten durch; einmal wäre er fast für die Potsdamer Riesengarde zwangsverpflichtet worden - Lomonossow war groß. Später schrieb er über diese Zeit:

    Ich habe so viele Gefahren und Not auf dem Weg ertragen, dass ich mich nur mit Angst daran erinnern kann.

    Dann gelang es Lomonossow, die Petersburger Akademie mittels eines Bittbriefes wieder für sich einzunehmen. Die schickte Geld und er kehrte auf dem Seeweg heim.

    Jetzt endlich begann Lomonossows Stern aufzugehen. Mit einem Lehrstuhl für Chemie an der Akademie von St. Petersburg ausgestattet, befasste er sich bis zu seinem frühen Tod mit 54 Jahren erfolgreich mit einer Unzahl von Disziplinen; eine Biografie führt die ihm zu Dank verpflichteten auf:

    Physiker und Chemiker, Meteorologen und Geophysiker, Geografen und Ethnografen, Arktisforscher, Astronomen und Astrophysiker, Biologen, Bodenkundige und Agronomen, Techniker und Metallurgen, Glashersteller, Mosaikkünstler, Philosophen, Philologen und Historiker, Dichter, dazu Juristen, Volkswirte und Statistiker.

    Über die wissenschaftliche Qualität der Arbeiten urteilte der berühmte Schweizer Mathematiker Leonard Euler, damals ebenfalls in St. Petersburg:

    Er schreibt über die interessantesten physikalischen und chemischen Materien, die bis dato die scharfsinnigsten Leute nicht deuten konnten, mit einer derartigen Gründlichkeit, dass ich vollkommen von der Richtigkeit seiner Erklärungen überzeugt bin.

    Der Dichter Alexander Puschkin sagte es so:

    Er schuf die erste Universität. Besser gesagt: Er war selber unsere erste Universität.