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Russisches Gas für lettische Kraftwerke

Beim morgigen Treffen des Ostseerats in Riga wird das Thema Energieversorgung wieder eine große Rolle spielen. Denn Gastgeber Lettland sorgte bei seinen baltischen Nachbarn mit der Nachricht für Aufsehen, ein neues Kraftwerk bauen zu wollen. Es soll mit russischem Gas betrieben werden. Ein Vorhaben, das nicht nur in Litauen und Estland für Protest sorgt, sondern auch im eigenen Land. Birgit Johannsmeier berichtet.

    Die Nachricht ist seit Wochen Gesprächsthema Nummer eins auf Rigas Straßen: Siebzehn Jahre nach Lettlands Austritt aus der ehemaligen Sowjetunion plant die lettische Regierung den Bau eines neuen Kraftwerks, das mit russischem Gas betrieben werden soll.

    "Wir haben keine andere Wahl. Wir benötigen Energie. Unsere Wälder sind
    bald ausgeplündert, und wir haben keine weiteren Rohstoffe."

    "Aber wir werden wieder abhängig von Russland sein. Wir waren doch von den Kommunisten besetzt. Und wir haben gesehen, was in der Ukraine passiert ist. Moskau wird uns dann politisch in der Hand haben."

    "Ich bin dafür. Wir benötigen Energie, und Russland hat Gas. Und wenn Deutschland Russland bei der Ostseepipeline vertrauen kann, weshalb können wir nicht mit unserem direkten Nachbarn zusammenarbeiten?"

    Neben dem Holz verfügt Lettland vor allem über Wasserkraft. Trotzdem muss das Land 40 Prozent des benötigten Stroms importieren. Größter Energielieferant ist der Atommeiler "Ignalina" im benachbarten Litauen. Der muss allerdings Ende nächsten Jahres abgeschaltet werden, weil er baugleich dem Unglücksreaktor von Tschernobyl ist.

    Ein Gaskraftwerk wäre die schnellste Lösung, meint der lettische Ministerpräsident Ivars Godmanis. Seit der Verabschiedung des gemeinsamen Grenzvertrags Ende vergangenen Jahres habe man die Furcht vor Russland verloren.

    "Wir denken heute im Europäischen Maßstab. Wir sind Mitglied der Europäischen Union und stehen Russland nicht mehr allein gegenüber. Alle europäischen Energiefragen werden über Brüssel geregelt. Da spielen Gefühle keine Rolle mehr."

    Am Lettischen Gaskonzern "Latvijas Gaze" ist auch die deutsche Eon beteiligt. Jörg Tumat ist verantwortlich für die Preisverhandlungen mit Moskau. "Latvijas Gaze" will das geplante Gaskraftwerk mit Gas beliefern. Die Angst vieler Letten vor energiepolitischer Abhängigkeit hält Jörg Tumat für absurd:

    "Das irgendjemand den Gashahn abdreht, das droht nicht, das wird Russland nicht machen. Die Fälle, in denen es Abdrehungen gegeben hat - und da wird natürlich auf die Ukraine immer gerne angespielt - waren Fälle, in denen jahrelange Streitereien mit unglaublichen Anhäufungen von Schulden stattgefunden haben, sodass Gazprom seinerzeit auch irgendwann einmal etwas tun musste, um die Situation zu bereinigen. Mit unserem Verhältnis zu Gazprom stimmt alles. Sie sind selbst Aktionär, würden sich selbst extrem schaden, und das wissen sie auch selbst."

    Im lettischen Institut für Außenpolitik beobachtet der Politologe Atis Lejins seit der Unabhängigkeit, wie sich das Verhältnis zwischen Lettland und Russland gewandelt hat. Wiederholt hatte Moskau versucht, Lettlands Beitritt zur EU und zur Nato zu verhindern. Vor zehn Jahren bestrafte Moskau die Baltenrepublik mit einem Wirtschaftsboykott für den Umgang mit der russischen Minderheit in Lettland. Heute hingegen werde eine gemeinsame Eishockeymannschaft und eben das Gaskraftwerk geplant. Doch Atis Lejins traut dem Frieden nicht:

    "Früher war Lettland der Böse unter den baltischen Ländern, plötzlich sind wir die Guten. Das wird sich wieder ändern. Außerdem fürchte ich, dass gewisse Kreise bei uns Wirtschaftsinteressen in Russland haben. Aber wir wollen nicht durch die neue Energiepolitik ein Satellit Russlands werden. Lettland ist klein, nicht so stark wie Deutschland. Obwohl wir in der EU und in der Nato sind, könnten wir wieder unter das Diktat Moskaus geraten."

    Morgen beginnt in der Lettischen Hauptstadt Riga das Gipfeltreffen der Ostseeanrainer, der Ostseerat. Er steht ganz im Zeichen energiepolitischer Fragen zwischen Europa und Russland. Die Letten erhofften sich auch eine Stellungnahme des neuen Russischen Ministerpräsidenten zur Versorgungssicherheit für das geplante Gaskraftwerk.

    Aber Vladimir Putin sagte kurzfristig ab. Dennoch rechnet die lettische Regierung fest damit, dass sie sich auf die Gaslieferungen verlassen kann, und will sobald wie möglich mit dem Bau des Kraftwerks beginnen.