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Russisches Projekt
Gratis-Grundstücke im Fernen Osten

Um den schwach besiedelten Fernen Osten zu beleben, hat sich die russische Regierung eine besondere Maßnahme ausgedacht. Jeder Bürger Russlands kann dort, wenn er will, kostenlos einen Hektar Land bekommen. Die Nachfrage bisher ist eher schwach - was auch am dortigen niedrigen Lebensstandard liegen könnte.

Von Gesine Dornblüth | 03.09.2016
    Petropawlowsk-Kamtschatski, die Hauptstadt der Region Kamtschatka.
    Die Gratis-Grundstücke im Fernen Osten liegen oft nicht nah genug an den Städten, kritisieren russische Bürger. (dpa / picture-alliance / ITAR-TASS / Alexander Petrov)
    Wadim Ostrowerch sitzt am Computer und zeigt Fotos eines Holzhauses: zwei Zimmer, ein Ofen, Küche, eine Banja. Ein Fluss. Bäume.
    "Da ist alles zugewachsen. Wir fahren mit dem Motorboot hin. Im Prinzip ist das wilde Natur. Es ist schön!
    Wadim Ostrowerch ist Landwirt. Er lebt in Archara, einer Siedlung mit einigen tausend Einwohnern im Amur-Gebiet nahe der Grenze zu China. Das Haus, von dem er erzählt, steht in Tatakan, einem verlassenen Dorf. Drei Stunden braucht er dort hin, erst mit dem Auto, dann auf dem Wasser. Ostrowerch hat dort ein Grundstück bekommen. Das neue Programm der russischen Regierung machte es möglich. Seit Juni läuft eine Pilotphase. Im Amur-Gebiet war Wadim Ostrowerch der Erste, der sich einen "Fernöstlichen Hektar" kostenlos sicherte.
    "Als Landwirt habe ich sowieso dauernd in der Gemeindeverwaltung zu tun. Nachdem ich von dem Projekt gehört hatte, habe ich mich jedes Mal nach dem Grundstück erkundigt. Wir haben das dann an einem Tag erledigt. Über das Internet. Ruckzuck."
    Grundstücksuche per Internet
    Im Internet kann sich jeder ein freies Grundstück aussuchen. Flächen an großen Straßen oder in der Nähe von Städten sind allerdings gesperrt. Die Behörden verlangen, dass die Teilnehmer den Gratishektar wirtschaftlich nutzen. Ostrowerch aber hat bereits 420 Hektar Land unter dem Pflug, baut Soja und Buchweizen an.
    Auf dem Grundstück in Tatakan möchte er seine Freizeit verbringen. Seine Vorfahren haben dort gelebt, das Haus mit der Banja hat er schon vor drei Jahren auf dem Fundament ihres zerstörten Hauses gebaut, ohne das offiziell anzumelden. Nun hat er das Ganze einfach legalisiert. Vielleicht schaffe er ein paar Ziegen an und stelle Käse her, sagt der 43jährige.
    Auch der Imker Aleksander Nechajew hat sich einen Hektar kostenloses Land gesichert. Auch er lebt in Archara am Amur, auch sein Grundstück liegt weit außerhalb der Stadt. Nechajew zerdrückt eine Mücke auf dem Oberarm.
    "Auf der Parzelle werden wir mobile Bienenstöcke aufstellen. Bisher haben wir das inoffiziell gemacht. Jetzt ist das Grundstück offiziell unser Eigentum. Sicher braucht nicht jeder Land. Aber wenn zehn oder fünf Prozent der Leute etwas damit anfangen können, ist das doch schon gut. Natürlich kann man auf einem Hektar keinen Großbetrieb aufziehen. Aber man kann dort zum Beispiel ein Haus bauen. Ich glaube, die soziale Lage wird sich durch das Projekt entspannen."
    Niedriger Lebensstandard im Fernen Osten
    Der Lebensstandard im Fernen Osten ist niedrig. 45 Prozent der Bewohner würden das Amur-Gebiet gern verlassen. Das hat eine Umfrage Anfang des Jahres ergeben.
    Natalja Kalinina ist Vorsitzende der Oppositionspartei Jabloko im Amur-Gebiet. Sie glaubt nicht, dass ein Hektar Land die Menschen in der Region halten wird. Der Staat ergreife halbherzige Maßnahmen.
    "Zunächst muss das Wohnungsproblem gelöst werden. Wir leben hier zwar an der Peripherie, aber trotzdem ist Wohnraum sehr teuer. Die Menschen fühlen sich von Moskau alleingelassen. Alle Gewinne gehen dorthin. Die Kleinunternehmer sind unter Druck. Geschäftsleute aus Moskau nehmen ihnen ihre Unternehmen ab, expandieren, monopolisieren ganze Branchen.
    Teures Leben
    Der Landwirt Ostrowerch bestätigt das. Er würde selbst gern Land dazu pachten und mehr Personal einstellen. Doch alles werde bereits von großen Agrarbetrieben bewirtschaftet.
    "In dem Ort, in dem mein Betrieb steht, wurde eine riesige Schule gebaut. Aber in der 8. Klasse sind nur zwei Kinder, in der 9. Klasse ein Kind, in der 10. Klasse zwei. Das Leben im Fernen Osten ist teuer. Alles muss von weit her gebracht werden. Manchmal ist die Qualität der Waren schlecht – aber es gibt nichts anderes, man muss das kaufen. Wer Kinder hat, möchte ihnen etwas ermöglichen. In den Dörfern gibt es keinerlei Jugendzirkel, nichts. Da muss man eben wegziehen."
    Die Gemeindeverwaltung von Archara sagt, es gäbe großes Interesse an dem Gratis-Land. In den ersten sechs Wochen wurden aber gerade mal vier Verträge unterzeichnet.
    Bisher schwache Nachfrage
    Ostrowerch glaubt, wenn das Ein-Hektar-Projekt Früchte tragen solle, müsse der Staat auch Grundstücke freigeben, die dichter an den Städten liegen, und nicht nur abgelegene Flächen.
    "Ich bin noch stark. Ich kann es mir erlauben, die lange Fahrt auf mich zu nehmen. Dabei kostet das auch: Benzin, das Boot, der Motor."
    Dass Menschen aus dem europäischen Teil Russlands wegen 1000 Quadratmeter Land in den Fernen Osten kommen, glaubt der Landwirt erst recht nicht.
    "Wenn ein einfacher Sterblicher so einen Hektar bekommt, was macht der damit? Den Spaten in die Hand nehmen? Ich weiß nicht, unser Volk ist nicht so."
    Hier gibt es Mücken. Harte Winter. Mir gefällt das, wir sind daran gewöhnt und haben keine Angst vor dem Frost. Bei Fremden bin ich mir da nicht sicher.