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"Russland den Russen"

Der 4. November ist seit zwei Jahren russischer Nationalfeiertag. Er gilt dem Gedenken der Befreiung Moskaus von der polnischen Okkupation im Jahr 1612. Der Kreml hatte dafür 2004 den noch aus sowjetischen Zeiten stammenden Revolutionsfeiertag am 7. November gestrichen. Schon im vergangenen Jahr nutzten Nationalisten den 4. November für ihre Zwecke. Einige tausend Rechtsradikale zogen Fahnen schwenkend durch die Moskauer Innenstadt, skandierten "Kaukasier raus", Skinheads hoben die Hand zum Hitler-Gruß. Die Polizei schritt nicht ein. In diesem Jahr wurde der "Russische Marsch" in Moskau und in Sankt Petersburg verboten. Die Veranstalter wollen ihn trotzdem durchführen. Sie rechnen mit mehr als zehntausend Menschen. Hauptorganisator des "Russischen Marsches" ist die so genannte "Bewegung gegen illegale Immigration", kurz DPNI.

Von Gesine Dornblüth |
    Aleksandr Belov ist ein etwas blasser Mann. Er trägt seine dunklen Haare exakt gescheitelt und einen runden Bart um Kinn und Mund. Belov ist der Anführer der DPNI, der so genannten "Bewegung gegen illegale Immigration", und wo er auftritt, hetzt er mit markigen Sprüchen gegen Ausländer. Wie zum Beispiel in der Talkshow "2 gegen 1" in einem regionalen Petersburger Fernsehsender.

    "Hierher kommen keine Nobelpreisträger, sondern Leute, die es in ihrer Heimat zu nichts gebracht haben. Sie nützen uns nicht, wie uns viele weismachen wollen, sondern sie stellen eine Gefahr für die Bewohner unseres Landes dar. Mit der Zahl der Immigranten steigt die Zahl der Sexualverbrechen. Nach Russland kommen junge Männer mit einer Arbeitserlaubnis von sechs Monaten oder einem Jahr. In ihnen kocht das Blut, aber natürlich lässt sich keine Moskauerin mit einem Mann ein, der auf einer schmutzigen Matratze schläft. Wir können uns der Unversehrtheit unserer Familien und Ehefrauen nicht mehr sicher sein."

    Was Belov nicht erwähnt: Die ausländischen Arbeiter erledigen die Jobs, zu denen viele Russen gar nicht bereit wären. Doch nationalistische Töne sind salonfähig in Russland. Auch der Moderator der Talkshow greift nicht ein, im Gegenteil:

    "Wir sind Russland. Wir sind eine einzigartige orthodoxe Zivilisation. Der Westen zwingt uns seine verbrecherische politische Korrektheit auf, die muslimischen Randgebiete breiten sich ethnisch und ökonomisch im orthodoxen Zentrum aus. Beides ist für uns gleich gefährlich."

    Die DPNI bewegt sich, bei aller Fremdenfeindlichkeit, im Rahmen der russischen Verfassung. Deshalb gilt sie als eine Art Schirmorganisation für verschiedene offen rechtsextreme, verbotene Gruppen. Dmitrij Dubrovskij ist einer der führenden Rechtsextremismusexperten in Russland. Er leitet den Lehrstuhl für Ethnologie an der Europäischen Universität Sankt Petersburg.

    "Die DPNI verfolgt eine Art Hausherrenrassismus. Das heißt: Wir sind Herr im Haus und wir bestimmen die Regeln. Sie nehmen Zusatzrechte in Anspruch, die nicht das geringste mit der Verfassung und Gesetzen zu tun haben, und wollen, dass die anderen sich fügen."

    Und die DPNI hat enormen Zulauf. Aufwind gewann sie vor allem durch den so genannten Russischen Marsch am 4. November vergangenen Jahres. Die Vorbereitungen für den diesjährigen Marsch laufen seit Monaten. Auf ihrer Homepage zählte gar ein Countdown die Stunden bis zum Marsch.

    In Moskau und in Sankt Petersburg ist der morgige Aufmarsch von den Behörden verboten worden. Auch die Website der DPNI wurde blockiert. Auf einer provisorischen Homepage fordert die Bewegung ihre Anhänger jedoch auf, trotzdem zu marschieren. Die Teilnehmer sollen den Ort kurzfristig per SMS erfahren. Menschenrechts- und linke Gruppen wollen gleichfalls demonstrieren. Doch erfahrungsgemäß ist die Beteiligung an Demonstrationen gegen rechts in Russland schwach, weiß der Rechtsextremismusexperte Dubrovskij.

    "Wenn in Sankt Petersburg bei einem Marsch gegen nazistische Ideen nur 400 oder 500 Menschen gegen auf die Straße gehen, und das in einer Stadt mit fünf Millionen Einwohnern, von denen viele Vorfahren haben, die die Blockade durch die deutschen Nazis miterlebt haben, dann ist das peinlich. Aber es ist so. Das liegt auch an der allgemeinen politischen Apathie. Die Leute glauben nicht, dass sich etwas ändert, wenn sie auf die Straße gehen."

    Auch der Staat scheint kein Rezept gegen die nationalistischen Strömungen zu haben. Im Gegenteil, mit der Kampagne gegen Georgier zum Beispiel trägt die Regierung zur chauvinistischen Grundstimmung bei. Präsident Vladimir Putin forderte unlängst, mehr für die Rechte der "angestammten" Bevölkerung in Russland zu tun. Die Nationalisten fühlten sich durch diese Worte, und erst recht durch die massenweise Abschiebungen von Georgiern, bestätigt.

    Einige russische Politologen vermuten gar, dass der Kreml bewusst Konflikte zwischen den Volksgruppen und Rassenhass schürt, damit Präsident Putin bzw. sein Nachfolger vor der Präsidentenwahl 2008 als gemäßigte Kraft auftreten können. Dmitrij Dubrovskij hält das allerdings für Verschwörungstheorien.

    "Das wäre zu einfach. Man kann dem Kreml und Präsident Putin viel vorwerfen. Aber sie sind keine Idioten. Russland ist ein multinationales Land, es könnte zerfallen, in Tatarstan, Baschkirien, Kalmyckien und so weiter, und wer wirklich ein Russland für Russen will, der hat am Ende nur noch einen Teil Zentralrusslands und Sibirien."