"Der Krieg ist eine Droge", sagt Arkadi Babtschenko, er verändert einen völlig. Und er macht abhängig. Fast 20 Jahre ist es her, dass Babtschenko als junger Soldat nach Tschetschenien geschickt wurde. Zurückgekehrt ist er und doch hat er den Krieg nie verlassen. Oder der Krieg ihn. Als Journalist zieht es ihn immer wieder zurück auf die russischen Schlachtfelder, er trifft Soldaten und Veteranen. Schildert den Krieg, so, wie er ihn erlebt hat, so wie ihn andere erleben. Wie er sie alle gezeichnet und zerstört hat. Den Schreibblock scheinbar immer auf dem Schoss, lässt er den Angriff unvorbereitet kommen, die Sätze im Stakkato der Kugeln auf den Leser einprasseln:
"Unter solch einem Feuer war ich noch nie. Ich versuche, den Kopf mit den Armen zu schützen, ich spüre dennoch geradezu körperlich, wie viel weicher menschliches Fleisch als Eisen ist. Es schlägt einfach durch. Auch am Kopf. Ich bekomme Angst. Wir hören Schreie. Ein Verwundeter. Zwei tragen einen Dritten. Noch eine Salve. Erde im Mund. Die Luft gespickt von Metall. Ringsum schmatzen und Staubfontänen. Die Erde kocht. Erdschollen fliegen 50 Meter durch die Luft. Der Planet wird aufgeschlitzt. Leere im Inneren. Die Zeit verschwindet. Aus und vorbei, Schluss. Verschissen."
"Einem Menschen, der nie im Krieg gewesen ist, kann man den Krieg nicht erzählen", gibt sich Babtschenko überzeugt. Und hört doch nicht auf, es zu versuchen. Nun also – nach "Die Farbe des Krieges" und "Ein guter Ort zum Sterben" - in seinem dritten Werk "Ein Tag wie ein Leben". In einzelnen Episoden erzählt Babtschenko vom Krieg, so der Untertitel des Buches. Der russische Journalist ist dabei kein distanzierter Beobachter, nicht unparteiisch. Und so ist man auf auch der Hut, wenn er Jahre später wieder in den Nordkaukasus reist und die scheinbar friedliche Atmosphäre der Militärbasis schildert. Die Kantinen, Klubs und Saunen, die schnurgeraden Fußwege aus Betonplatten, sauber gefegt. Die absurde Idylle:
"Abends gehen unter dem Laternenlicht die Offiziere spazieren. Wirklich, hier gibt es Straßenlaternen. Und es gibt ein Offizierswohnheim. Nicht wenige Offiziere ziehen mit ihren Frauen her. "Meine Liebe, ich muss zum Dienst, reich mir bitte mein Bajonettmesser." Und abends: "Liebster, hattest Du einen guten Tag?" – "Ja, mein Schatz. Habe zwei getötet." Manche haben Kinder. Auch sie wachsen hier auf."
Für jene, die im Krieg und mit dem Krieg aufgewachsen sind, zieht Arkadi Babtschenko nun also schreibend zu Felde. Für solche, die viel zu jung, oft auch freiwillig, aber völlig unvorbereitet und mit mangelhafter Ausrüstung an die Front geschickt werden. Die Russland, so klagt er in fast jeder Episode an, verheizt und im Stich gelassen hat. Soldaten, denen Minen die Gliedmaßen weggefetzt haben, die sterben müssen, weil es an Geld für Medikamente und Behandlungen fehlt, die aus dem Krieg zurück ins Leben gespuckt werden und nun in den Moskauer U-Bahnstationen hausen:
"Sie sehen die Welt von unten. Nicht, weil von ihrem Körper nur die Hälfte geblieben ist. Auch von ihrer Seele ist nur die Hälfte geblieben. Sie haben es näher zum vollgerotzten Asphalt als zu den Gesichtern der Menschen. Und sie haben nicht mehr die Kraft, aufzustehen und auf ihren Kunststoffbeinen in ein neues Leben zu gehen. Nicht einmal das Verlangen. Diese jungen Männer wollen das Leben nicht mehr im Sturm erobern. Sie wollen nur eines - dass immer Krieg sei und dass sie immer in diesem Krieg seien."
Der Krieg als Droge, als einzig mögliche Perspektive. Trost oder Zuversicht finden sich selten in den Skizzen des russischen Autors. Ob sich der Krieg gelohnt hat? Ob er die Zahl der Gefallenen rechtfertigt? "Ich weiß es nicht, urteilen Sie selbst", fordert Arkadi Babtschenko den Leser zu Beginn auf und urteilt doch, indem er immer wieder verurteilt - nicht jene, die töten, sondern jene, die sie zum Töten in den Krieg geschickt haben. Russland.
"Der erste "kleine, siegreiche" Krieg bei uns begann 1905. Das ist 100 Jahre her. Und nichts hat sich geändert. Nach wie vor eine Sklavenarmee, die erst ganz zuletzt an ihre eigenen Soldaten denkt. Immer noch das gleiche großmannsüchtige Imperium mit einer viehischen Einstellung zu den eigenen Menschen, mit keiner anderen Macht als der gottgegebenen. Und die gleiche Bereitschaft, das Leben der Kinder für Glauben, Zar und Vaterland zu opfern."
Mit der Konsequenz, dass der Krieg nicht nur das Leben einzelner, sondern auch die russische Gesellschaft zerstört. Unversöhnlich und entfremdet stehen sich Daheimgebliebene und Heimkehrer wie dieser Veteran gegenüber:
"Ihr Land führt Krieg und sie scheißen drauf! Dann scheiße ich auch auf sie. Nicht einer von ihnen soll sterben, ohne erfahren zu haben, was Krieg ist. Ich will, dass auch sie in den Nächten schreien und im Schlaf weinen und dass sie unters Bett kriechen, wenn auf dem Hof ein Silvesterknaller explodiert. Und vor Angst winseln, so wie wir gewinselt haben! Auch sie sind Schuld an unseren Toten, so wie die, die uns getötet haben, die uns in dieses Schlachthaus geschickt haben. Warum haben sie nicht gestreikt in Moskau und die Straßen gesperrt, als wir in Grosny umgebracht wurden? Erklär mir das! Warum haben sie nicht geschrien und sich die Haare gerauft, als sie im Fernsehen sahen, wie die Hunde die Leichen ihrer Kinder fraßen?"
Unkommentiert lässt Babtschenko Ausbrüche wie diesen stehen, weil er, früher Soldat und nun Journalist, selbst nicht sicher ist, ob er inzwischen zu denen gehört. Resigniert meint er, zu beobachten, wie sich die Geschichte in Russland immer und immer wieder wiederholt. Der Milizterror, die weisungsabhängige Justiz, die Abschätzigkeit gegenüber menschlichem Leben an sich.
"Stattdessen hat man uns das Virus der Grausamkeit und Unterwürfigkeit eingeimpft. Nicht einmal eingeimpft – wir selber haben die Ärmel aufgekrempelt, eine Faust gemacht und den Arm zur Impfung hingehalten. Die Zeit dreht sich im Kreis. Die Wende, zu der das Land im Jahre 1991 ansetzte, ist vorüber, und alles geht wieder seinen gesetzmäßigen Gang."
Es ist ein trostloses, düsteres Fazit, das Arkadi Babtschenko am Ende seines Buches zieht. Sicher, die Skizzen, die er zeichnet, ähneln sich. Und auch die ständige Kritik am russischen Großmachtstreben auf Kosten der jungen Generation wiederholt sich. Doch durch Babtschenko bekommt diese junge Generation Namen und Gesichter. Er schildert nicht nur den Krieg, sondern den Kampf eines jeden einzelnen. Dieses unmittelbare Miterleben sorgt dafür, dass die Episoden nicht eine nach der anderen vorbeirauschen, sondern schmerzhaft nachhallen. Auch, weil Babtschenko im großen Gedenkjahr nicht 100 Jahre zurückblicken muss, um an gesellschaftliche Katastrophen zu erinnern, sondern weil er die Gegenwart schildert.